Erst mal: unerhört wenig
Ich habe früher mehr gebetet. „So oft wie möglich über alles mit Gott im Gespräch sein!“ Das galt als Siegel für eine lebendige Spiritualität. Ich bin bleibend dankbar für die geistliche Tradition, die mich beten gelehrt hat. Ohne sie könnte ich heute gar nicht anders beten … weniger. Dafür gibt es einen Haufen Gründe: Ich vernehme von Gott einfach nicht die Reaktionen wie in zwischenmenschlichen Gesprächen. Weniger sagen lässt mich auch die zunehmende Inflation spiritueller Worte. Beten soll mir heilig und wertvoll bleiben. Während das Elend anderer zum Himmel schreit, hören sich meine „Schönwetter-Bitten“ lächerlich an.
Und dann blicke ich mein unüberschaubares Leben nicht. Ich weiss oft gar nicht, um was ich überhaupt bitten soll.
„Was wollt ihr?“ Dieser erste Satz Jesu im Johannesevangelium klingt, als würden uns unsere Gebete vorläufig zurückgegeben.
Dann: mehrfach unerhört
Was mich gegenüber Gott aber vor allem verstummen lässt, sind die nicht erhörten Gebete. Und damit meine ich jene Bitten, die ein allgütiger und allmächtiger Gott aus Sicht der Beter*innen niemals übergehen sollte. Schon gar nicht, ohne die Gründe dafür mitzuteilen – wir würden sie gerne betend verstehen.
Es mag ja sein, dass die Anfrage „Gebet“ in diesem Krisenfrühling bei Google durch die Wolkendecke ging. Und auch die Gebetsaufrufe von Johannes Hartl haben es auf bild.de geschafft. Wenn aber unser Ruf einfach so verhallt, lehrt Not anscheinend nicht beten. Die Lernerfahrung läuft eher umgekehrt:
„Versuch es erst gar nicht, dann ersparst Du Dir wenigstens die Gottesenttäuschung.“
Wir dürfen unsere Bitten Gott hinhalten als möglichen Grund für sein Handeln. Was biblisch und traditionell so unerhört klingt, wird durch die erfahrene Nicht-Erhörung zu einer unerhörten Enttäuschung, die heute als kollektives Glaubensgefühl spürbar ist. Die Selbstverständlichkeit des Gebets als „vornehmste Übung des Glaubens“ (Calvin) hat einen Knacks abbekommen. Das Wörtchen „unerhört“ beschreibt die Bedingungen, unter denen unser Bittgebet stattfindet. Dann aber wäre jede (Für)Bitte ein nicht-selbstverständliches, sondern widerständiges Weiterbeten und damit ein erstaunlicher, geradezu unerhörter Glaubensakt.
Zwischenzeitlich: weiterbeten?
Für viele Gläubige ist ein Weiterbeten nur noch möglich, wenn sie die beterische Reibungsfläche mit Gott verringern oder ganz aufheben. Die einen machen Abstriche an der theistischen Vorstellung von Gott als handlungsmächtiger Person, die fähig ist, unsere Bitten zu hören und – wenn sie will – auch zu erhören. Andere beten nach-theistisch, indem sie Gott anonymer denken. Das Göttliche ist dann eine Wirklichkeit, in der wir beten, ohne zu ihr zu beten. Solche Ansätze können helfen, die menschliche Sinnhaftigkeit des Bittgebetes neu zu entdecken.
Als Überforderung empfinde ich es jedoch, wenn das Bittgebet nur noch selbstmeditierenden und -therapierenden Charakter haben soll.
Gott lediglich als Chiffre, damit ich mir selbst eine neue Befindlichkeit oder eine andere Sicht meiner Not herbeibete? Mit einem Gott als Postulat der betenden Vernunft wäre für mich die „Schmerzgrenze der Unanschaulichkeit im Glauben“ (Karin Scheiber) berührt.
Und schliesslich: ins Gebet genommen
Unerhört weiterzubeten, das hole ich nicht aus mir selbst. Beschreiben kann ich diese Gebetserfahrung nur zaghaft: Es ist, als würde Gott selbst in mir beten und mein Gebet erneut anstimmen. Ist es das Seufzen des Heiligen Geistes in mir und durch mich (Römer 8)? Der nicht erhörte, klagende und protestierende Sohn erklingt auf meiner Seite des Gebets (Hebräer 4,15-16). Das starre Gegenüber zwischen Beter*in und Gott wird so trinitarisch aufgehoben, weil Gott mich in sein Gebet nimmt.
Was diese Resonanzerfahrung mit mir macht, ist genauso unkontrollierbar wie das Erlebnis selbst. Vielleicht entsteht jener wohltuend abgedunkelte Raum, in dem ich schweigen, ungehemmt weinen kann.
Oder ich begebe mich auf den Weg der Trauer und hoffe, irgendwann gelernt zu haben, dass man mit einer nicht erfüllten Bitte kein Leben zweiter Klasse lebt. Möglich ist auch, dass der Geist Gottes mich ergreift und mir Anteil gibt an der Autorität des bittenden Christus gegenüber Gott. Ich protestiere im Namen der Opfer und erinnere Gott an sein Versprechen, der Gott für uns zu sein. Neben meinem Elend bringe ich so meine Gottesbeziehung und sogar Gott selbst vor Gott zur Sprache! Von Gott ins Gebet genommen „nehme ich ihn ins Gebet“. Der Glaube, auf diese Weise neu von Gott gehört und vielleicht sogar erhört zu werden, wäre gesteigert unerhört. Auch, weil er sich selbst riskiert. Aber wir wären nicht die ersten, die widerborstig weiterbeten: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich“ (1Mose 32,27).
4 Gedanken zu „Unerhört beten“
Abstriche an der “theistischen Vorstellung von Gott als handlungsmächtiger Person” zu machen, empfinde ich nicht als hilfreich.
Ich brauche einen Retter, nicht nur einen Therapeuten.
Ich ringe lieber mit einem übermächtigen Gott, der mir nicht immer die Wünsche erfüllt, als mir diesen zurecht zu Stutzen in der Hoffnung, das mir so Enttäuschungen, unbeantwortete Fragen oder gar Verletzungen erspart bleiben.
Nur ein handlungsmächtiger Gott kann den letzendlichen Segen sicherstellen. Und nur angesichts dieses Gottes werden Identitäten gewandelt: aus einem Jakob wird ein Israel, aus einem Simon wird ein Petrus, aus einem Saulus wird ein Paulus.
Da hinke ich lieber an einer Hüfte, als auf den Namen zu verzichten, den Gott für mich bereit hat.
Ein mutiges Plädoyer für eine gott-widerständige Art von “unterhört beten”. Danke dafür. Ich bin jetzt neugierig, ob mit diesem Kommentar nicht eine lebendige Diskussion mit anderen Leserinnen und Lesern entsteht.
Zu bedenken gebe ich, dass eine personal-theistische Gottesvorstellung nun aber genauso ein Grund dafür sein kann, mit Beten aufzuhören statt ringend mit Gott weiterzubeten. Denn die Theodizee kehrt hier unter Umständen wuchtig zurück: Ein allgütiger und allmächtiger Gott … kann er nicht oder will er nicht meine Bitte um Heilung erhören? Was, wenn er einfach nur schweigt? Also noch nicht mal mit sich ringen lässt? Ist es dann nicht mehr als verständlich, gar nötig, dass eine solche, andauernde Gebetserfahrung ein neues Gottesverständnis erschliesst?
“kann er nicht oder will er nicht meine Bitte um Heilung erhören?” oder er handelt anders als wir es uns denken und wünschen? Vielleicht wäre es für das Gebet befruchtender anstelle des Gottesverständnisses das Menschenbild zu überdenken?
Dein Wille geschehe – Das Komplott
Menschen haben versagt, versüssen sich’s mit Foltermord. Verehren Folterholz.
Schubst ein Gott den Menschen hin zur Ausübung von Recht, Gerechtigkeit, Bamherzigkeit, Frieden …
für den Armen, den Kranken, den Trauernden, den Missbrauchten, den Versklavten, den Heimatlosen,
den Verfolgten, den Fremden… den blinden Feind?
Er tut’s.
Sieh’. Es ist gut.
Gott prüft sein Ebenbild.
Hiob klagt. Gott gibt ihm recht…..und bezichtigt seine Verkläger.
Mit Gefühl will ich Hiob begleiten,
Jesus,
den, der ist.