Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 4 Minuten

Thank You Run

Das Laufen ist seit den letzten Sommerferien selbstverständlich geworden. Wetter, leichte Erkältungen, Muskelkater oder Sitzungstermine haben ihre Macht über die Laufroutine längst verloren. Laufen war wie Zähneputzen: Man nimmt sich dafür immer Zeit und vergisst es nie.

Viel Brutto-Zeit für wenig Netto-Spass

Vor ungefähr drei Monaten wurde ich aus meiner Routine herausgerissen. Die rechte Wade schmerzte so sehr, dass an Training nicht mehr zu denken war. Etwa eine Woche lang bin ich in ein Loch gefallen. Dünnhäutig, schlecht gelaunt, ohne emotionalen Puffer. Ich war irgendwie nicht mehr vollständig.

Würde ich den GP von Bern laufen können? Den Dreiländerlauf in Basel? Den Nacht-Halbmarathon in Biel?

Ich begann zu Schwimmen. Zunächst in der Halle, dann im Freibad. Ob das eine Zwischenetappe zum Triathlon ist? Jedenfalls waren die Schwimmtrainings – ich schaffte im besten Fall eine knappe Stunde am Stück – kein Ersatz für die langen Läufe. Schwimmen ist eine Slalom-Disziplin. Du teilst dir deine Bahn mit anderen Schwimmer:innen, an denen du vorbeikommen musst oder die dich überholen wollen. Beim Schwimmen kannst du auch keine Podcasts hören. Und du brauchst Zeit für den Weg ins Schwimmbad. Viel Brutto-Zeit für wenig Netto-Spass. Laufen dagegen ist einfach. Umziehen, Loslaufen, Duschen.

Go & Run!

Natürlich habe ich immer wieder vorsichtig und hoffnungsvoll versucht eine kleine Runde zu laufen. Aber nach zwei bis drei Kilometern war jeweils Schluss. Meine Uhr hat das bemerkt. Der VO2Max-Wert geht in den Sturzflug. Du wechselst vom Fortschritts- in den Erholungs- und schliesslich in den Formverlust-Modus.

Die Uhr versteht nicht, dass du gar nicht laufen kannst. Sie schickt dir motivierende Botschaften, Warnungen, Analysen, die alle sagen: Go & Run!

Am GP von Bern habe ich dann spontan doch mitgemacht. Und musste nach vier Kilometern schon aufgeben. Humpelnd bin ich dem Läufer:innen-Feld entgegengehinkt. «Die denken jetzt sicher, dass ich zu schnell losgelaufen sei, die Strecke schlecht eingeteilt habe…»

Allmählich habe ich mich mutwillig vom Laufen gelöst, Podcasts gehört, die erklären, weshalb Cardio-Training nutzlos ist, mir eingeredet, dass die Familie unter meinem Hobby gelitten habe und ich viel zu viel Zeit in Turnschuhen verbracht hätte.

In Badehosen und T-Shirt

Als wir ein Familien-Wochenende zusammen am See verbracht haben, bin ich am Mittag einfach losgelaufen. In Badehosen und einem Baumwoll-Shirt und meinen alten Laufschuhen, die ich schon lange nur noch für Spaziergänge nutze. Ohne Handy und ohne Trinkflasche. Es würde wohl eh nicht lange dauern. Kleine Runde zum Campingplatz und zurück. Als ich den Campingplatz erreicht hatte, war ich schon in einem Automatismus drin.

Ich bin einfach weitergelaufen.

«Was, wenn ich wieder abrechen muss? Dann würde ich alles zurück humpeln…»

Nach ungefähr drei Kilometern waren auch diese Gedanken weg. Da war nur noch der Rhythmus, der Atem, das Bächlein, der Mergelweg, der Wind, der Schatten, Pferde, ein Schmetterling, ein Feldweg…  Und in mir spürte ich eine Verbundenheit mit allem und eine Dankbarkeit gegenüber der Welt. Ich war der glücklichste Läufer. Glücklicher, als ich am Ziel der Laufveranstaltungen war. Nicht einfach erleichtert, wirklich erfüllt. Am Schluss bin ich gut elf Kilometer gelaufen. Das ist nicht so weit und ich war nicht so schnell unterwegs wie im Frühjahr. Aber ich hatte diese Kilometer und meine Schritte nicht mehr selbstverständlich genommen.

Selbstzufriedenheit

Dieser Lauf war keine Challenge. «Beat Yesterday!» war kein Thema. Diese Stunde war einfach ein Geschenk. Und vielleicht ein Versprechen, dass Laufen wieder möglich wird? Und ich habe mich über mich selbst gewundert. Aus einer wunderbaren Sache habe ich einen Wettkampf mit mir selbst gemacht.

Manchmal hing meine Selbstzufriedenheit davon ab, ob ich die Intervall-Vorgaben einhalten konnte. Und manchmal bin ich gelaufen, ohne Freude.

Am Samstag hat mich meine Uhr wieder zum Intervall-Training eingeladen. Etwas zögerlich habe ich zugesagt. Und es war richtig toll! Danach habe ich gleich zwei Folgen eines Running-Podcasts gehört. Ich habe gelernt, dass Laufen nicht mehr als selbstverständlich zu nehmen. Und weiss trotzdem ganz genau, dass ich nicht ewig die Bächlein und Schmetterlinge sehen will, sondern ab und zu gerne auf die Uhr blicke. Und bis das wieder selbstverständlich wird, hoffe ich, dass meine Dankbarkeit laufen zu können grösser bleibt, als das Laufziel.

Foto von Alexander Savchuk

 

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