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Tag und Nacht

Ich habe ein Federbett, ein sehr altes. Es knarrt. Als Kind bin ich drauf rumgehüpft. Jetzt hat es einen Senkrücken. Heute hüpfe ich nicht mehr allein. Wir hüpfen zu dritt. Das Nachtkind, das Tagkind und ich. Das Tagkind hüpft nicht gerne. Es macht trotzdem mit. Das Nachtkind hüpft manchmal so hoch, dass es sich den Kopf an der Decke stösst. Wenn es draussen dunkel wird, will das Tagkind schlafen, das Nachtkind will hüpfen. Ich hasse das Gequengel.

Früher habe ich mir einfach die Ohren zugehalten. Heute sage ich «Halt». Dann legen wir uns hin: rechts das Tagkind, links das Nachtkind, in der Mitte ich. Das Tagkind legt den Kopf an meine Schulter. Ich streiche ihm übers Haar.

Es schläft schnell ein. Aber dann erwacht es noch einmal, richtet sich auf und beugt sich über mich. «Ich werde da sein, wenn du erwachst», versichere ich ihm.

Das Nachtkind rutscht unterdessen näher ans Fenster und streckt die Finger gegen das Glas. Ich fasse seine erhitzten Wangen. Schulter an Schulter, Wange an Wange, Hand auf Hand tasten wir nach den Farben der Neumondnacht.

Die Autorin Beate Krethlow studiert Theologie und lebt in Bern.

Abbildung: Beate Krethlow, Installation Fremdlinge (2016)

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