Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 4 Minuten

Selbstsorgegespräche (2): No pressure!

Ein gemütlicher Hofladen. Sonnenlicht ergiesst sich wie Milch auf weisse Häkeltischdecken im Gartencafé. Tee aus Omaporzellan mit Rosendekor, dazu hausgemachter Streusselkuchen. Wir reden über dies und das, die, den und uns, da sagt meine Freundin zu mir:

«Es ist komisch, manche Leute gehen mit leichtem Gepäck durchs Leben, während auf anderen immer eine Schwere lastet.»

Woher kommt die ungleiche Lastenverteilung. Woher das auffallende Beladensein manchmal ganzer Familien? Und wie lässt sich der Bann auflösen, der wie böser Feenzauber auf manchen von uns zu liegen scheint?

Last von drei, vier Elefanten

Tatsächlich lastet auf allen Erdenwesen ein schier absurdes Gewicht, und zwar gemäss unseres jeweiligen Körpervolumens. Die durchschnittliche Körperoberfläche einer Frau beträgt 1,6 Quadratmeter, die eines Mannes 1,9 Quadratmeter, habe ich gelesen. Berechnet man die Luftsäule bis hinauf zur Stratosphäre, drücken auf jedem Menschen zirka 17’300 Kilogramm Luft.

Auf jedem von uns lastet so viel Gewicht wie das von drei bis vier ausgewachsenen Elefanten.

Die elefantöse Luftsäule über mir zermalmt mich glücklicherweise nicht. Der Grund dafür ist, dass der innere Druck der Körperzellen dem Gewicht von aussen entgegenwirkt und auf einzelne Körperzellen jeweils nur geringer Luftdruck entfällt. Eine innere Spannung oder Kraft neutralisiert äusseren Druck.

Heute ist nicht mein Tag

Dasein bedeutet Luft verdrängen und Druckverhältnisse aushalten.

Es gibt aber Tage, da fühlt sich der Kopf an wie ein Medizinball. Druck auf Schläfen, Hirnplatte, Ohrknöchelchen. Die Glieder lasch, der Bauch flau, der Kopf schwindlig. Bin ich heute wieder wetterfühlig? Ist das äussere oder das innere Wetter schuld, oder ein Mischmasch aus Körper und Psyche?

Oder ich «funktioniere» zwar äusserlich, bin symptomfrei, gesellig, tüchtig, aber doch wie unter einer diffusen Last, ohne einen genauen Grund dafür angeben zu können.

Wie funktioniert Druckausgleich?

Manche Menschen begeben sich intuitiv auf die innere Krisenherd-Suche.

Ein Freund von mir analysiert sich seit seiner Kindheit minutiös selbst und lässt nicht locker, bis er Bedrückendes eingrenzen und isolieren kann. Häufig sei mit der Erkenntnis auch schon das Problem gelöst, sagt er.

Ich lenke mein Bewusstsein auf mein Inneres, auf psychische Vorgänge, und nehme ernst, was ich fühle. Der Satz: «Du bildest dir das nur ein» huscht vorüber. Ich lasse ihn ziehen.

Ich stelle fest, dass die innere Landschaft an einigen Stellen klar, an anderen neblig ist. Sind die Nebelstellen Hinweise auf das, was in der Sprache der Psychologie Verdrängung heisst? Wie kann ich sehen, was ich nicht sehe?

Ich brauche den Distanzblick und zugleich die grösste Intimität mit mir selbst. Wenn es mir gelingt, Sorgen oder Ängste zu identifizieren, muss ich versuchen, das darin gebundene Gefühl auszuhalten. Dann kann sich der Druck vielleicht lösen, können Schatten weichen.

Seelendetektiv

Lasten können aus der eigenen Biografie herrühren, aber auch geerbt sein. Die Bibel spricht von der «Schuld», die Nachkommen bis in die dritte oder vierte Generation verfolgt. Übersetzt in psychologische Sprache könnte man von intergenerationeller Auswirkung von Trauma sprechen.

Unsagbares in Familien, etwa Erlebnisse von Kriegsgenerationen, pflanzt sich oft in subtilen Formen fort.

Von Kriegs- oder Scheidungskindern wird nicht selten stillschweigend erwartet, dass sie der Trost ihrer belasteten Elternteile sind. Diese nicht-kindgemässe Rolle kann dazu führen, dass sie eigene Gefühle und Trostbedürfnisse vergessen.

Ein für Aussenstehende irrational erscheinendes Versagens- oder Schuldgefühl kann sich in der Seele einnisten; eine Neigung vielleicht auch zu diffusem schlechten Gewissen gewissermassen als Basso Continuo des Lebens, so selbstverständlich, dass es kaum noch bemerkt wird.

Auf einen möglichen Umgang mit innerer Zerklüftung der Seele, niederdrückenden Lasten oder sogar Schuld hat der Berliner Theologe Notger Slenczka in einem Vortrag hingewiesen. Er schlägt vor, gerade nicht bei der Belastung oder Schuld zu verharren, sondern sich zu sagen:

Ich bin belastet oder sogar schuldig, aber das ist nicht alles, es gibt noch etwas anderes. Ich bin ein anderer, oder: Ich bin auch eine andere.

Heilwerden in der Tiefe

Christlich gesprochen kommt hier das Motiv des «Nicht ich, sondern Jesus in mir» ins Spiel; nicht als Selbstverleugnung, sondern als Angebot eines Identitätswechsels von einer bedrückenden zu einer befreienden Identität.

«Ich habe zerbrochene Flügel, ich bin gescheitert, aber ich bin auch unversehrt, ich bin nicht gescheitert.»

Sicherlich ist dies nicht der einzige Weg, aber doch ein Angebot, dass einen Versuch wert ist. Von dem Slenczka-Vortrag habe ich noch den Satz notiert:

«Das liebe Jesulein kommt nicht um die Ecke, weil Theologen an der Stelle sowieso eine Klatsche haben, sondern als Angebot eines Heilwerdens in der Tiefe.»

 

Grafik: Rodja Galli

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