Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 4 Minuten

Ostern brauchen wir nicht

«An Karfreitag wissen wir schon, dass das Licht von Ostern auch in unsere dunkelsten Stunden scheint.» Zum ersten Mal bewusst, habe ich dieses Prachtexemplar frommer Rede etwa als Zehnjähriger gehört. In mir entstand das Bild einer Höhle, in die vom Ausgang her ein Lichtstrahl einfällt. Und vielleicht ist das pure Einbildung aber ich glaube, dass ich mich schon damals gewundert habe: Wenn das Licht hineinscheint, dann ist es doch gar nicht mehr wirklich dunkel, oder? Und dann müsste man ja nicht in der Höhle bleiben, sondern könnte dem Ausgang entgegen gehen.

Gut, jede Metapher hat irgendwo Grenzen. Eigentlich möchte dieser Satz wohl nur sagen: Wir sind traurig. Aber noch in der Trauer hoffen wir auf einen Wendepunkt, lassen Raum für das, was man nicht erwarten, sondern nur herbeisehnen kann.

Wenn deine Welt zusammenbricht

Aber genau das ist das Problem: Wenn die Welt zusammenbricht, dann ist auch diese Hoffnung weg. Und dann wird Ostern zur Aufgabe. «Komm schon, du glaubst doch! Also lasse den Kopf nicht hängen!» Dann ist Ostern eine Self-Enhancement Technik und Karfreitag ein Ernährungs-, Muskelaufbau- oder Motivationsproblem. (Und unter uns gesagt: Manche dieser Coaches haben bessere Bilder, als Lichtstrahlen, die in die Dunkelheit einfallen.) Um wieder aufzustehen, um sich zu motivieren, um dran zu bleiben, brauchen wir kein Kreuz und keine Auferstehung. Das gelingt besser mit Achtsamkeitsübungen und Autosuggestionen. «Fake it till you make it!» ist ein wirksames Doping für den eigenen Selbstwirksamkeits-Bizeps.

Als Ostern passiert ist

Aber genau das ist Ostern nicht. Ostern ist nicht das Motivationsprogramm für besonders Wehleidige. Ostern ist die Kraft der Realistinnen und Realisten, die nicht faken. Und von denen, die die Grenzen dessen kennen gelernt haben, dessen, was sie machen, herstellen und hinbiegen können. Ostern ist so unwahrscheinlich und unerwartbar, dass man es nicht zu hoffen gewagt hätte. Und als Ostern passiert ist, hat man es kaum glauben können. Sogar die nicht, die dabei waren.

Und der Auferstandene hat zu ihnen nicht gesagt: «So Leute, passt mal auf: Ich bin da jetzt mal gestorben. War alles halb so schlimm. Nach der Nacht kommt der Tag, nach dem Winter der Frühling.» Er hat ihnen etwas gesagt, das stimmt: «In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.» Denn es stimmt eben auch dies: Nach dem Tag kommt die Nacht und nach dem Frühling wird es irgendwann auch wieder Winter. Die Hoffnung ist nicht der neue Tag. Nicht, dass wir wieder aufstehen. Und nicht, dass es wieder wärmer wird. Sondern, dass er auch die Dunkelheit, unsere Todmüdigkeit und die Kälte überwunden hat. Dass ein ganz anderer Tag kommen wird.

Weshalb ist es noch dunkel?

Aber genau das ist das Problem: Wenn er es überwunden hat, weshalb ist es dann noch dunkel, anstrengend und kalt? Die Antwort des Glaubens darauf ist kein Licht und keine intellektuell überzeugende These. Der Glaube weiss auch nicht, wie man das Licht in die Welt bringt, Tote lebendig, Kranke gesund macht oder Trauer stillt. Der Glaube hat kein Rezept gegen Angst, Depression oder Sinnlosigkeit.

Ostern ist das Fest für diejenigen, die immer wieder aufgestanden sind, die es versucht haben. Und jetzt nicht mehr mögen. Nicht mehr kämpfen. Keine Hoffnung haben und auch gar nicht mitfeiern. Ostern gilt denen, die sich aufgegeben haben und nicht mehr an sich glauben.

Nichts mehr wünschen

Für meinen Alltag brauche ich Ostern nicht. Und auch keinen «christlichen» Glauben. Denn um mit Aufgaben, Terminen und Verpflichtungen fertig zu werden, hilft es mir, wenn ich mir gut zurede, wenn ich mich motiviere oder mich an Vorbildern orientiere. Um gut zu leben, brauche ich ein Verantwortungsgefühl und den Glauben an meine Selbstwirksamkeit, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Wo das nicht gelingt, kann ich das durch Grosszügigkeit gegenüber mir selbst auffangen.

Ostern aber ist nichts, was ich brauche. Ostern ist da. Ostern ist das unheimliche Bild, dass es dort Leben gibt, wo ich nicht mehr leben kann und mag. Ostern brauchen wir nicht. Aber Ostern wird uns bereitet werden, wo wir nichts mehr wünschen können und darum auch nichts mehr brauchen. Darum kann man mit Ostern sterben trotz Tod. Und in der Welt weiter Angst haben. Sich bemühen. Und hoffen, ohne genau zu wissen, was.

Wenn wir das glauben könnten

Wenn wir das glauben könnten, dann bliebe die Welt dunkel, aber für uns wäre es hell. Oder wir meinten dann, die helle Welt zu sehen und würden uns über die wundern, die in der Dunkelheit sind. Wir würden sie nicht verstehen. Und sie uns nicht. Gut, dass Ostern unglaublich bleibt. Und wir die Welt und uns selbst, wie durch einen Spiegel in einem dunklen Wort schauen.

3 Kommentare zu „Ostern brauchen wir nicht“

  1. Also brauchen wir Ostern trotzdem, denn jede(r) mag mal nicht mehr. Es gibt auch Menschen, die den normalen Alltag ohne Ostern nicht schaffen und dadurch motiviert werden. Und ich halte es für möglich, dass Ostern wie Karfreitag uns niemals wirklich erschliesst, wir abschliessend sagen können: „Jetzt haben wir es begriffen.“ Karfreitag wie Ostern werden immer geheimnisvoll bleiben. Unser Wissen ist und bleibt eben „Stückwerk.“ Trotzdem oder gerade deshalb „Frohe Ostern.“

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox

RefLab-Newsletter
Podcasts, Blogs und Videos, alle 2 Wochen
Blog-Updates
nur Blogartikel, alle 2 bis 3 Tage