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Nicht im Namen Christi!

Merkwürdig, dass man es extra sagen muss: Religiöse Hasspredigten und die Billigung des Blutvergiessens Unschuldiger sind unorthodox, unchristlich und inhuman. Das Putin-freundliche Moskauer Patriarchat aber scheint das andes zu sehen. In einer Deklaration wenden sich jetzt knapp 350 Unterzeichnende gegen Kyrills I. Lehrmeinung als «falsche Lehre» einer «Russischen Welt» oder eines «Russkii mir».

Zunächst erfolgten Einsprüche vereinzelt, etwa von Johannes von Dubna. Der Metropolit des Erzbistums der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa wandte sich an den Primas der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill I. und forderte diesen in einem offenen Schreiben dringend auf, seine Stimme gegen den Machthaber der Russischen Föderation zu erheben und sich «gegen diesen abscheulichen und absurden Krieg» auszusprechen.

In seiner Homilie ausgerechnet zum Versöhnungssonntag hatte nämlich der eng mit Putin verbundene Moskauer Patriarch in der pompösen Christ-Erlöser-Kathedrale den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gebilligt als «einen metaphysischen Kampf» im Namen «des Rechts, sich auf der Seite des Lichts zu positionieren, aufseiten der Wahrheit Gottes, aufseiten dessen, was uns das Licht Christi, sein Wort, sein Evangelium offenbaren».

Die «Russische Welt»

Eine derartige Auslegung des Evangeliums könne er, bei allem gebotenen Respekt, nicht unterschreiben, so Johannes von Dubna. Nichts könne nämlich rechtfertigen, als Christ die Seite der Friedensstifter zu verlassen. Ein Krieg wie jetzt in der Ukraine sei bis vor nicht langer Zeit «zwischen zwei Völkern und zwei Nationen, die Jahrhunderte einer gemeinsamen Geschichte und ihr gemeinsamer Glaube an Christus eint», undenkbar gewesen. Der Metropolit aktivierte einen Hilfsfonds für durch den Krieg in Not geratene Menschen der Ukraine.

Inzwischen ist auf der Onlineplattform «Public Orthodoxy» des Orthodox Christian Studies Center of Fordham University eine Deklaration veröffentlicht worden. Unterzeichner sind bislang knapp 350 Vertreter der orthodoxen Theologie, darunter das Who’s who aus Universitäten von den USA über Deutschland bis Griechenland und insbesondere auch ökumenische Vertreter. Überschrieben ist der Text mit «A Declaration on the ‹Russian World› (Russkii mir) Teaching».

«Russische Welt» ist die Bezeichnung für den russisch-orthodoxen Einflussraum über die russischen Grenzen hinaus. Laut Deklaration handelt es sich um eine Ideologie mit Wurzeln im sogenannten ethnophyletistischen religiösen und totalitären Fundamentalismus, wo sich Kirchen als Träger und Verfechter nationaler Identität sehen.

Es handle sich um «a false teaching which is attracting many in the Orthodox Church and has even been taken up by the Far Right and Catholic and Protestant fundamentalists.» Also eine falsche Lehre, die viele in der Orthodoxen Kirche anzieht und die sogar in der extremen Rechten und von katholischen und protestantischen Fundamentalisten aufgenommen worden sei.

Als vermeintlicher Antagonist der «Russischen Welt» werde ein «korrupter Westen, angeführt von den US und westeuropäischen Nationen» in Stellung gebracht, die gegenüber dem «Liberalismus», der «Globalisierung», der «Christianophobie», der «Homosexuellenrechte» und einem «militanten Säkularismus» kapituliert hätten.

Absage an Nationalspiritualismus

In der Deklaration wird daran erinnert, dass eine ethnische Organisation der Kirche bereits auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 1872 eine Absage erteilt worden war. Die Ideologen der «Russischen Welt» ignorierten dies und verkehrten die christliche Lehre:

«So wie Russland in die Ukraine einmarschiert ist, ist auch das Moskauer Patriarchat von Patriarch Kirill in die orthodoxe Kirche einmarschiert».

In sechs Paragrafen erfolgen explizite und biblisch unterlegte Zurückweisungen einer Engführung von himmlischem Reich und konkreten irdischen und politischen Herrschaftsbereichen («Holy Rus», «Sacred Byzantium»), jeglicher Formen des Cäsaropapismus, der Theokratie und der politischen Absorption der Kirche und mithin ihrem Freiheitsverlust, der Dämonisierung politischer Gegner wie auch minoritärer Gruppen sowie scharfer Widerspruch gegen eine Abkehr vom Weg des Friedens («The making of war is the ultimate failure of Christ’s law of love»).

Und ausdrücklich gegen die Moskauer Sprachregelung der Vermeidung des Ausdrucks «Invasionskrieg»: Die «umfassende Invasion» eines Nachbarlandes durch die zweitgrösste Militärmacht der Welt sei nicht bloss eine «militärische Spezialoperation», ein «Ereignis» oder ein «Konflikt» – oder wie Euphemismen sonst lauten mögen –, sondern eben eine militärische Invasion mit schon jetzt vielen Toten und Millionen Vertriebenen. Diese Wahrheit müsse klar und eindeutig benannt warden.

Die Form der Deklaration erinnert an die Barmer Theologische Erklärung: die von Karl Barth mitverantwortete theologische Erklärung zur Lage der Deutschen Evangelischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Deklaration zur Ideologie der «Russischen Welt» reagiert auf Spaltungen und gefährliche Aufladungen von Religion und Spiritualität. Zugleich macht sie deutlich, dass der Common Ground mit westlichen Kirchen viel grösser ist als befremdliche Töne aus Moskau derzeit glauben lassen.

Von einer einheitlichen Haltung aber scheint die orthodoxe Christenheit weit entfernt. Eine Erklärung der europäischen Bischöfe der russischen Auslandskirche vom 22. Februar zur Lage in der Ukraine enthält vage Formulierungen. Unterzeichner sind u.a. der Metropolit von Berlin und Deutschland und der Bischof von London und Westeuropa. Es werden Märtyrerblut und die «Heilige Rus» beschworen. Es sei «unmöglich, der äußerst einseitigen Darstellung der Ereignisse zuzustimmen, wie sie die westlichen Informationsquellen zeichnen. Das Geschehen ist wesentlich komplexer.»

Aber was ist so kompliziert an der Tatsachse, dass ein Land ein anderes unprovoziert überfällt?

Nachtrag:

Photo by Rafik Wahba on Unsplash

1 Kommentar zu „Nicht im Namen Christi!“

  1. Danke für diesen Einblick in orthodoxe Reaktionen auf den Ukraine-Krieg und die hochproblematische Haltung und Äusserungen des Moskauer Patriarchen.
    Wenn man sich nicht intensiv damit beschäft, bekommt man diese Stimmen aus der orthodoxen theologischen Welt nicht mit.

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