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Jan Assmann: Spuren der Lichttheologie

Johanna Di Blasi: Ein Licht ist uns erschienen heißt es zu Weihnachten. Was denken Sie als Ägyptologe, wenn Sie das hören?

Jan Assmann: Menschen wandeln nun einmal, wie Thomas Mann sagte, in Spuren. Sie erfahren und erinnern das Neue im Rahmen überlieferter kultureller Muster. Zu diesen kulturellen Mustern gehört die Lichthaftigkeit des Göttlichen. Wenn sich die Ägypter von Gott verlassen fühlten, klagten sie über «Finsternis am Tage», auch wenn die Sonne schien. Vom Göttlichen ging ein «Licht» aus, das die Welt mit Sinn und Orientierung erfüllte. Im Christentum kommt hinzu: Die Evangelien beziehen sich ganz explizit auf das Alte Testament und seine Verheißungen. Wenn es zu Weihnachten heißt «ein Licht ist uns erschienen«», dann bezieht sich das auf Jesaja. Jesaja aber wandelt, wenn er dies schreibt, in den Spuren altorien-talischer Erfahrung.

Di Blasi: Vor allem für den Pharao Echnaton, dessen Gemahlin die berühmte Nofretete war und der mit Amarna in der Wüste eine neue Stadt gründete, war die Sonne zentral. Wieso diese Fixierung auf die Sonne als Gott?

Assmann: Den Kern ihrer Lichttheologie bildet der Gedanke, dass die gesamte sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit unablässig von der Sonne geschaffen wird, die durch ihre Strahlung Licht und Wärme und durch ihre – scheinbare, wie wir heute wissen – Bewegung die Zeit hervorbringt. Zeit und Licht reichen aus, die Wirklichkeit zu erklären. Die Sonne – der Sonnengott – herrscht über alles, wozu auch die Fülle der anderen Götter gehört. Damit schafft Echnaton die anderen Götter als überflüssige Fiktionen ab. Sie müssen verschwinden, weil sein Sonnengott im Licht unmittelbar gegenwärtig ist und mit seiner Gegenwart tagsüber die ganze Welt erfüllt. Da bleibt kein Raum für andere Götter.

Di Blasi: Wieso radierte Ägypten nach Echnatons Tod das Experiment Amarna, seine Reformkommune, aus dem Gedächtnis?

Assmann: Echnaton hatte mit dem Ausradieren angefangen. Ihn traf dasselbe Schicksal, das er der traditionellen Religion zugedacht hatte. Dass seine Tat von der Mehrzahl der Ägypter, die nicht zu dem engeren Kreis der Anhänger Echnatons gehörten, als furchtbarer Frevel empfunden wurde, lässt sich verstehen und geht aus verschiedenen Quellen hervor.

Di Blasi: Echnatons Monotheismus ist eine der Wurzeln des Gottesbegriffs des Alten Testaments und er wirke indirekt auf Judentum und Christentum, meint Dietrich Wildung. Ist der 104. Psalm von Echnatons Hymnus an Aton inspiriert?

Assmann: Zweifellos gehen die Verse 20 bis 30 des 104. Psalms auf Echnatons großen Atonymnus zurück. Eine hebräische Übersetzung dieses Textes muss in der Amarnazeit an einen oder mehrere kanaanäische Fürstenhöfe geschickt worden sein, um sie über die neue Religion zu unterrichten. Im Alten Testament gibt es verschiedene Gottesbegriffe. Es gibt den Gott Israels, den Befreier aus Ägypten, den Gott des Exodus. Der hat mit Echnatons Gott aber ganz gewiss nichts zu tun.

Di Blasi: Sie bezeichnen Echnaton als «Ketzerpharao». Worin liegt die Ketzerei und war auch Nofretete Ketzerin?

Assmann: «Ketzer» ist eigentlich eine unpassende Bezeichnung, die ich nur als Abkürzung für den unerhörten religiösen Frevel verwende, als der Echnatons Umsturz empfunden worden sein muss. «Ketzer» und «Häresien» gibt es nur, wo es eine Orthodoxie gibt, und die gibt es erst in gestifteten, monotheistischen Religionen und nicht in einem komplexen, historisch gewachsenen System wie dem altägyptischen Polytheismus. Echnatons Frevel bestand darin, dieses System abzuschaffen, woran Nofretete allem Anschein nach sehr maßgeblich beteiligt war.

Di Blasi: Schon den Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, elektrisierte die Vorstellung, dass der biblische Moses ein Echnaton-Anhänger gewesen sein könnte, der die in Ägypten verfolgte Lehre auf die Halbinsel Sinai rettete. Wie wahrscheinlich ist diese These?

Assmann: Es ist eine gelehrte Phantasie, ein «Tagtraum», wie Ilse Grubrich-Simitis schreibt. Das tut aber der Bedeutung von Freuds Buch «Der Mann Moses» kaum Abbruch. Dieses Buch ist trotz der Unhaltbarkeit seiner historischen Kon-struktion voller tiefer Einsichten, was die Rolle unbewusster Übertragungen in der Religion – und weit darüber hinaus – angeht.

Di Blasi: Zu Weihnachten hat die Heilige Familie Konjunktur. Schon im 14. Jahrhundert vor Christus ließen sich Echnaton und Nofretete samt Töchtern als «heilige Familie» feiern und abbilden. Zufall oder doch Verwandtschaft der Theologien?

Assmann: Die Idee einer heiligen Familie gehört zur Grundstruktur der ägyptischen Religion. So gut wie jeder ägyptische Tempel war von einer Trias aus Vater-Mutter-Kind bewohnt: Amun, Mut und Chons in Karnak, Osiris, Isis und Horus in Abydos, Ptah, Sachmet und Nefertem in Memphis und so weiter. In Hunderten, vielleicht Tausenden von ägyptischen Kleinbronzen sitzt das Horuskind auf dem Schoß der Isis. Die Madonnenikonografie hat die Isisikonografie beerbt und die christliche Idee der heiligen Familie ist aufs Intensivste von Ägypten beeinflusst. Selbst die revolutionäre Aton-Religion hielt daran fest, den neuen und einzigen Gott mit König und Königin als seinen Kindern in eine Dreiheit einzubinden. Und die frühen Christen hatten Spätformen ägyptischer Religion noch lebendig vor Augen.

Psalm 104 und der Hymnus Echnatons im Vergleich.

Jan Assmann ist einer der bekanntesten Ägyptologen. Er war Professor für Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz. Ende November 2022 war der 84-Jährige Gastredener bei der 6. Thomas Mann Lecture der ETH Zürich. Assmanns Zürcher Vortrag zu Thomas Manns Josephsromanen kann man hier nachhören.

Foto: Jan Assmann, Wikimedia Commons

Foto 2: (Detail) Akhenaten, Nefertiti; from Amarna; 18th dynasty; ca 1345 BCE; Pergamon Museum Berlin; Richard Mortel; Wikimedia Commons.

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