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Hans Küng: Dogmatik zum Frühstück

Gerne wird dazu auf «Unfehlbar?» (1970) verwiesen. In diesem Werk bestreitet Küng die Gültigkeit der Päpstlichen Unfehlbarkeit. (Die Unfehlbarkeit kommt dem Papst übrigens nicht als Person zu, sondern beschränkt sich auf endgültige Aussagen zu Moral- oder Glaubensfragen, die der Papst als «Lehrer aller Christen» verkündigt.)

In Küngs Augen war diese Schrift ausschlaggebend für den Bruch mit Rom und den Entzug der Missio, also der Lehrbefugnis.

Das Bild scheint gemacht: Küng, der smarte Theologe, der mit guten Argumenten gegen die autoritäre römisch-katholische Kirche aus dem letzten, beziehungsweise vorletzten Jahrhundert streitet.

Das Verbindende

Damit habe ich kein Problem. Viele seiner Anliegen sind tatsächlich auf der Strecke geblieben: Frauenordination, Akzeptanz der Anglikanischen Weihen, Zölibat oder die Empfängnisverhütung. Aber dieser Fokus verpasst das Verbindende – nicht nur zwischen den Weltreligionen im «Projekt Weltethos» – seines Wirkens zwischen Katholik*innen und Protestant*innen hervorzuheben. Und die Tragik, dass dieses Verbindende nichts zusammenhält.

In seiner Doktorarbeit «Rechtfertigung. Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung» (1957) setzte sich Küng mit dem Zankapfel konfessioneller Querelen schlechthin auseinander: Der Rechtfertigungslehre. Und er versuchte wirklich den Stier bei den Hörnern zu packen und nicht ein zahmes Kalb vermittlungstheologischer Provenienz zu vereinnahmen:

Karl Barth hat die Rechtfertigungslehre schärfer und gegen die römisch-katholische Kirche abgrenzender beschrieben als viele seiner Vorfahren und als jeder Zeitgenosse.

Zudem ist die Rechtfertigungslehre als Kern der Erwählungslehre das Zentrum seiner Theologie, von dem aus Christologie, Gotteslehre, Sündenlehre, Erkenntnistheorie, Trinität und die Ämterlehre dirigiert werden.

Ziemlich selbstbewusst

Ziemlich selbstbewusst für einen 29-Jährigen, dieses konfessionelle Minenfeld in seiner Dissertation räumen zu wollen! Und mutig, das in der Auseinandersetzung mit Barth zu tun. Aber Küng war mindestens so erfolgreich, wie selbstbewusst. Barth höchstpersönlich beschied ihm in seinem «Geleitwort»: «Wenn das, was Sie in Ihrem zweiten Teil als Lehre der römisch-katholischen Kirche entfalten, ihre Lehre tatsächlich ist, dann muß ich gewiß zugeben, daß meine Rechtfertigungslehre mit der ihrigen übereinstimmt. Ich muß das schon darum zugeben, weil die römisch-katholische Lehre ja dann – auch ganz auffallend mit der meinigen übereinstimmt.»

Wie muss sich das angefühlt haben? Keine dreissig Jahre alt und der «protestantische Kirchenvater» selbst attestiert einem, dass man aus seiner Sicht das theologisch schwerwiegendste Problem der Kirchenspaltung gelöst habe …

Allerdings – und hier mochten Barths 50 Jahre Alters- und Erfahrungsvorsprung ihn weise gemacht haben – mischte sich eine unüberhörbare Skepsis in die Formulierung seiner Zustimmung: Er warte »mit Teilnahme und Spannung« darauf zu hören, wie dieses Buch »von katholischen Sachverständigen« aufgenommen werde.

Theologie und Kirchenpolitik

Ohne den Ökumeniker*innen zu nahe treten zu wollen: Barths Zurückhaltung ist im Rückblick sicherlich gerechtfertigt. Zwar konnten sich die Kirchen 1999 (!) zu einer «Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre» durchringen, wofür Küngs Untersuchung sicherlich als wertvolle Vorarbeit dienen mochte. Bloss: Der Konsens mag theologisch gewaltig wirken – «Wir sagen dem Herrn Dank für diesen entscheidenden Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung.» – kirchenpolitisch war er de facto wirkungslos.

Vielleicht ist dies die Tragik, die den überaus erfolgreichen Theologen Küng seit den 60er-Jahren begleitete:

Theologisch gut zu argumentieren, reicht nicht aus, um in der Kirche etwas zu bewegen.

Um im schrecklichen Bild des Minenfelds zu bleiben: Man müsste nicht nur als Einzelner heil über das Feld gelangen, sondern die Minen gleich wegräumen. Und die bestehen in der Sakramentenlehre und dem Amtsverständnis. Also in der konkreten Ausgestaltung der Heilsvermittlung und nicht in der Frage, ob Gott in diesem Geschehen frei und souverän bleibt.

Das Amtsverständnis

Im Kern stossen die Reformbemühungen immer dort an Grenzen, wo das Amtsverständnis der römisch-katholischen Kirche auf dem Spiel steht. Hans Urs von Balthasar und Erich Przywara haben nur wenige Jahre vor Küng ein anderes grosses, konfessionell spaltendes Thema bearbeitet: Die Frage, ob Gott in der Schöpfung erkannt werden kann, ohne zusätzliche Offenbarung. Und sie haben dabei aus theologischer Sicht ebenfalls Grosses geleistet: Das Unendliche kann nur im Spiegel des Endlichen erfasst werden. Also Offenbarung in der Geschichte, Gott als Mensch, Wahrheit in unserer Wirklichkeit.

Damit haben beide die katholische Fundamentaltheologie aus der Engführung einer bestimmten Thomas-Rezeption herausgeführt und die Theologie erkenntnistheoretisch anschlussfähig gemacht.

Theologisch stehen evangelische und römisch-katholische Christ*innen spätestens seit den 60er-Jahren also eigentlich auf einem gemeinsamen Fundament: Ohne Gottes Gnade wird kein Mensch gerecht und dass diese Gnade uns Menschen gilt, wissen wir durch die Offenbarung der Heiligen Schrift, welche durch die Kirche als Evangelium verkündigt wird. Warum haben sich die Kirchen dann aber seither so unterschiedlich entwickelt?

Wege, nicht Wahrheiten

Weil nicht die Grundlagen, sondern die Vermittlungswege entscheidend sind: Erreicht uns Gottes Gnade durch das kirchlich verwaltete Sakrament (Taufe, Abendmahl, Sterbesakrament) oder sind die Sakramente ein Ausdruck der Beziehung, die Gott mit jedem Menschen einzugehen bereit ist? Ist immer dort Kirche, wo das Evangelium verkündigt wird, oder wird das Evangelium nur in der Kirche verkündigt? Hat Gott innerhalb seiner Schöpfung Ordnungen gestiftet, aus denen wir heute legitime und sündhafte Formen des Zusammenlebens und der Liebe unterscheiden können oder sind dies kontextuell bedingte Vorstellungen «des Richtigen», die in das Gottesbild der damaligen Zeit hineininterpretiert worden sind? Und die alles entscheidende Frage: Beantwortet uns diese Fragen ein kirchliches Lehramt oder machen das Christ*innen zwischen ihrem Wissen, Gewissen und Gott aus?

Ethos und Pragmatismus

Vielleicht hat Küng das alles schon früh erkannt. Man könnte dann seine Werkgeschichte folgendermassen deuten: Nach dem Frontalangriff auf das römisch-katholische Amtsverständnis (1970) anhand der Kritik an der Päpstlichen Unfehlbarkeit, sortierte er seine theologischen Grundlagen, wollte verstehen, wie man in dieser Gegenwart an Gott glauben kann («Christ sein», 1974; «Existiert Gott?», 1978). Aber weder durch die Grundlagenarbeit noch mittels Konfrontation war etwas zu bewegen. 1979 verlor er das Recht, als katholischer Theologe zu lehren.

Vielleicht führte ihn diese sicherlich schmerzliche Einsicht dazu, das Thema des religiösen Pluralismus anders, nämlich pragmatischer anzugehen: Die Weltreligionen solle ein «Weltethos» verbinden, das den Religionsgemeinschaften ein positives Verhältnis zur Moderne erlaube und ihnen dazu verhelfe, eine gestalterische Kraft zu entwickeln, welche die Gesellschaften bereichern und nicht gefährden werde.

Er fand damit nicht nur ein neues Thema, er erfand sich selber neu.

Küng wurde ein intellektueller Weltstar, sprach vor der UN-Vollversammlung, erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und verband in seiner Person das interessante Paradox, einer der berühmtesten katholischen Theologen zu sein, ohne sich so nennen zu dürfen. Dass Papst Benedikt 2005 seinen ehemaligen Kollegen anlässlich der Audienz auf Castel Gandolfo nicht umfassend rehabilitiert hat, mag Küng ein weiteres Mal gekränkt haben. Es ist wohl eher zum Schaden der Kirchengeschichte als zum Schaden seiner eigenen Biografie geschehen.

Wie weiter?

Über Rechtfertigung zu streiten, ist heute eine Sache für Nerds. Die zweite Schaffensphase unter dem Titel «Dialog der Weltreligionen» aber wird zweifelsohne über seinen Tod hinaus Früchte tragen. Die Stiftung «Weltethos» und das Tübinger Institut sichern die Fortsetzung dieser Arbeit.

Für mich als reformierter Christ ist sein bewegtes Leben eine Mahnung: Dasselbe zu glauben, hilft nicht immer auch gut zusammen leben zu können. Religionskultur frisst Dogmatik, gelehrte Kirchenpapiere und theologische Expertisen zum Frühstück.

 

1 Kommentar zu „Hans Küng: Dogmatik zum Frühstück“

  1. Das ist prima, insgesamt, es gibt nichts zu ‚kritteln‘. Nur eine Winzigkeit, am Rande: Schade, dass HK’s Lebens- und Denkzeugnis nur bis zur „Mahnung“ reicht – und nicht ein Körnchen „Bestärkung“?

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