Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 4 Minuten

Gestus der Überlegenheit?

Der Erzbischof Jānis Vanags hat erklärt, die Kirche habe sich in dieser Frage an der Heiligen Schrift, der apostolischen Praxis und den lutherischen Bekenntnissen zu orientieren und nicht «an den Prozessen der Frauenemanzipation». Fischer kritisiert in seinem Beitrag auf zeitzeichen.net, dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland der lettischen Kirche daraufhin die Hoheit über die von ihr gezahlten Hilfsgelder entzogen hat.

Die Geschichte der eigenen Überzeugungen

Er erinnert daran, dass auch in Deutschland um die Frage des Amtsverständnisses gerungen worden sei und die konservative Seite sich auf dieselben Argumente und Grundlagen gestützt habe wie Vanags.

Dieser habe recht, wenn er darauf insistiere, dass in der Frage der Frauenordination «nicht der Gesichtspunkt der Frauenemanzipation oder der Gleichstellung von Frauen» ausschlaggebend sein könne, «sondern allein das Verständnis dieses Amtes.»

Dass wir heute in dieser Frage anders urteilen, habe mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, insbesondere «der grundlegend veränderten Stellung der Frau in der Gesellschaft».

Wer diesen Wandel nicht mitgemacht hat, dem ist das Thema grundsätzlich fremd. Deshalb treffe frühere Generationen auch keine Schuld: Ihnen waren unsere Gründe schlicht nicht zugänglich.

Dieses historische Mindgame überträgt Fischer auf die Lutherische Kirche Lettlands: Kann man ihnen vorwerfen, dass sie wider bessere Einsichten und Gründe handeln? Dies sei nicht der Fall. Vielmehr müsse die Einsicht in die Genealogie der eigenen Überzeugung dazu führen, den Geltungsanspruch derselben einzuschränken:

«Müsste das Innewerden der historischen und gesellschaftlichen Bedingtheit der eigenen Überzeugung nicht in die Einsicht münden, dass er von jenem Synodalen unmöglich verlangen oder gar einfordern kann, dass dieser seine eigene Überzeugung teilt oder übernimmt?»

Nur bloss kein Prinzip

Es sei falsch, wenn diese kontextbedingte Entwicklung ihrem Kontext entrissen und zu einem allgemeingültigen Prinzip erklärt werde. Im Ergebnis bedeutet dies:

Frauenordination ist das Ergebnis einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Entwicklung und sie hat ihre Geltungsgrundlage innerhalb desjenigen Kulturraums, der diese Entwicklung teilt.

Fischer veranschaulicht diesen Punkt am Thema Menschenrechte: «Man meint dann zum Beispiel, dass die Menschenrechte überall auf der Welt normativ gültig seien, ungeachtet der kulturellen Gegebenheiten, unter denen Menschen leben, und dass man sie deshalb überall einklagen könne. Auch bei den Menschen in den entlegenen Hochtälern Afghanistans, die von Menschenrechten keine Ahnung haben und für die zuerst zählt, ob jemand Mann oder Frau ist und welchem Stamm er angehört und ob er zu den Gläubigen gehört oder zu den Ungläubigen, nicht aber, dass er ein Mensch ist.»

Man begegne dann diesen Menschen und ihren Wahrheiten nicht auf Augenhöhe, sondern disqualifiziere ihre Lebensform als Ausdruck kultureller Rückständigkeit.

Relativismus und Standpunkt

Diese kulturrelativistische Betrachtungsweise ist innerhalb der Sozialwissenschaften sehr beliebt. Fischer wendet sie lediglich auf ein kirchenpolitisches Themenfeld an.

Aber müsste eine solche Perspektive konsequenterweise nicht auch den eigenen Standpunkt, die eigenen Privilegien, den eigenen sozialen Status in Relation zu der verhandelten Thematik setzen?

Wenn die sozio-kulturelle Genese von Überzeugungen deren Geltung derart begrenzt, ist es sehr entscheidend, ob ein emeritierter Professor, mit Status und Einfluss, in sozialer und existenzieller Sicherheit lebend, dazu aufruft die «Schwesterkirche» zu umarmen oder ob eine lettische Pastorin dies tut. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir in der westlichen Selbstverständlichkeit rechtsstaatlicher Privilegien in seminaristischer Manier über die Universalität von Menschenrechten und deren Geltung «in den entlegenen Hochtälern Afghanistans» nachdenken, oder ob dies eine Studentin in Kabul tut, die nach dem Sommer 2021 von der Universität ausgeschlossen worden ist.

Wie viel Relativismus kannst du dir leisten?

Entweder ist die kulturrelativistische Betrachtungsweise von Normen, Recht und Geltung selbst ein allgemeingültiges Prinzip, oder man müsste jedes Mal verhandeln, wer aus welcher Position, mit welchen Privilegien und von welchem Status her, diese Relativität all jenen verkünden darf, die unter den bestehenden Zuständen leiden. Denn aus der Perspektive der Nicht-Privilegierten klingt jener Realtivismus aus dem Mund des Muezzins des theologischen Elfenbeinturms vielleicht selbst wie ein Gestus der Überlegenheit.

Der abgesicherte weisse Akademiker kann sich viel Relativismus leisten. Alle anderen brauchen Gleichberechtigung, Menschenrechte und eine starke Idee von moralischen Werten, die ihre Rechte stützen.

Woher kommt bloss diese akademische Skepsis gegenüber einem Bild von Gesellschaft, das diese innerhalb einer Lerngeschichte begreift? Diese Lerngeschichte ist nicht zwangsläufig als lineare Fortschrittsgeschichte zu denken. Aber sie fördert eine Haltung aus Fehlern zu lernen, Fehler künftig zu vermeiden und das gelernte als Teil der eigenen Identität demütig anzueignen.

Vielleicht ist es aber weniger ein intellektueller Vorbehalt, als eine kulturelle Technik der eigenen Machtabsicherung:

Überlegen bleibt, wer erklären darf, was gilt. Und was nicht unbedingt gelten muss. Das muss man nur verstehen, nicht begründen.

 

Johannes Fischer reagierte auf diesen Beitrag wiederum mit einer Replik.

 

1 Kommentar zu „Gestus der Überlegenheit?“

  1. Das „hochkarätige ping-pong“ qualifizierter Meinungen belustigt mich insofern, weil nichts durchschimmert von dieser Wahrheit:
    „Genieße die Gegenwart dann hat deine Zukunft eine wunderbare Vergangenheit „.
    Dahinter steckt die Erkenntnis, dass unser Verständnis vom SEIN diktiert wird von menschlichem Vorstellungsvermögen über die Zeit.

    Ein Ameisenvolk hat vermutlich kein Zeitgefühl. Die hochentwickelte Kultur funktioniert trotzdem

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox

RefLab-Newsletter
Podcasts, Blogs und Videos, alle 2 Wochen
Blog-Updates
nur Blogartikel, alle 2 bis 3 Tage