Etel Adnan, die libanesisch-amerikanische Künstlerin und Philosophin, erklärte einmal, bei ihrem Aufwachsen in Beirut habe der Begriff Seele keine besondere Rolle gespielt. Anders als bei ihren christlichen Bekannten und Freunden.
Plötzlich aber sei die Seele dagewesen. Wie eine Gefährtin oder ein Schatten des Ich.
Die Seele tauchte auf, als dichter Nebel herrschte und die Poetin durch ihre Umgebung veranlasst war, einen Schritt in sich hinein zu machen.
«Auf einmal machte es Sinn, dass wir zwei Wesen sind.»
Etel Adnan begann, mit ihrer Seele Dialoge zu führen. Sie veröffentlichte diese auch in Buchform («Gespräche mit meiner Seele»).
Sie schrieb: «Ich kann nicht anders, als mit dieser Seele zu sprechen, als wäre sie eine lebenslange Gefährtin. Wir waren eins, und wir waren verschieden.»
Ich und meine Seele
Adnan hatte das Gefühl, dass ihre innerlichen Dialoge etwas anders sind als narzisstische Selbstbespiegelungen. Sie hatte den Eindruck, dass da neben dem Körper mindestens zwei Dinge sind: das Ich und die Seele; zwei Entitäten – vielleicht sogar mehr.
Eine Beobachtung, die sich auch mit Befunden des Philosophen Richard David Precht deckt. Dieser veröffentlichte bekanntlich ein Buch mit dem sprichwörtlich gewordenen Titel: «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?»
Um in einen Dialog einzutreten, braucht es mindestens zwei Seiten. Das leuchtet unmittelbar ein. Was aber sagt das über die Seele und über innere Dialoge aus?
Um eine Person handelt es sich bei der Seele ja wohl kaum. Wer also spricht in meinem Inneren mit wem?
Innere Dialoge
Beten, an das wir, wenn nicht im Elternhaus, dann im Religionsunterricht herangeführt werden, kann man als eine Kulturtechnik des inneren Dialogs ansehen: mit der Seele und zwischen der Seele und dem, was wir Gott nennen.
Kinder tun sich mit inneren Dialogen, glaube ich, leichter als Erwachsene. Sie sprechen mühelos mit Engeln oder Feen. Sie imaginieren sich Gesprächspartner herbei. Auch Dinge sind für Kinder beseelt: Puppen, Kuscheltiere oder Spielzeugautos. Und Tiere allemal. Diese heissen ja sogar Anima-ls. Tragen die Seele also sogar im Namen.
Kinder sind Animisten. Sie leben in einer all-beseelten Welt.
Kindlicher Animismus
Ich erinnere mich an ein kleines Mädchen, dass immer mit einer Schafherde spazieren ging. Die Schafe waren imaginiert, aber für das Kind gleichwohl real.
Das Kind sagte: «Schau, das sind meine Schafe!»
Mir selbst drängten sich als Kind auch unangenehme Gegenüber auf. Hexen zum Beispiel beim ungeliebten Mittagsschläfchen. Sie rüttelten am Vorhang meines Kinderzimmers. Sie jagten mir panischen Schrecken ein und verschwanden nach einer Weile wieder in Richtung Wald.
Vielleicht war es nur der Windhauch, aber es ängstigte mich trotzdem tief in der Seele.
Ob die Empfindung, eine empfindsame Seele zu haben, aus meinem Inneren erwuchs oder aber von ausserhalb als kulturelle Prägung an mich herangetragen wurde («Liebes Kind, du hast eine Seele …»), kann ich nicht mehr sagen.
Es, Ich und Über-Ich
Die wissenschaftliche Psychologie kommt ohne den Begriff Seele aus und spricht lieber von «Es», «Ich» und «Über-Ich». Ins «Es» spielen Triebhaftes und Unbewusstes hinein. Das «Über-Ich» als verinnerlichte Autorität kann aufsässige Züge aufweisen. Es straft das Ich mitunter ab, geisselt es sogar. Es sagt z.B.: «Du kannst nichts, du hast wieder eimal versagt …» usf.
Dies kann sich anfühlen wie Seelenritzen.
Heute reden wir mit digitaler Technik, als wäre sie eine Verlängerung unserer Seele. Wie sehr wir unsere Seelen an Laptops oder Smartphones hängen, merken wir spätestens, wenn diese kaputt gehen.
Eine Schlüsselszene in Roman Polanskis Film «Der Gott des Gemetzels» ist der Moment, als Kate Winslet das Smartphone von Christoph Waltz in der Blumenvase versenkt.
Ohne funktionierendes Smartphone sinkt der Mann entgeistert in sich zusammen. Er wirkt vollkommen entseelt.
Meine Verbindung zur Welt
Das Smartphone ist unser treuester Gefährte. Es ist buchstäblich unsere Verbindung zur Welt, solange ein Netz vorhanden ist. Auch die Seele ist ein Verbindungsglied, aber subtiler. Und auch ihre Verbindung kann abreissen. Dann wird die Welt grau.
Mit der Seele Impulse zu empfangen und zu sprechen, charakterisiert Etel Adnan als «emotionales Nachdenken». Es läuft weitgehend unwillentlich ab. Es stellt sich ein, wenn wir loslassen, frei werden. Adnan chrakterisiert die seelische Kommunikation so:
«Wir wollen losgehen, frei. Wir wollen keine sachlichen Informationen in Worte fassen, sondern Informationen verbunden mit emotionalem Nachdenken.»
Lichtungen erkennen
Eine schöne Übung besteht darin, überraschende Gedanken und Wahrnehmungen im Alltag zu entdecken und aufzuschreiben.
Möglichkeiten (seelischer) Verbindung erkundet der zweite Teil dieser Serie.
Am Samstag erscheint bei RefLab eine TheoLounge, in der Johanna Haberer vom ZEIT-Podcast «Unter Pfarrerstöchtern», Andreas Loos («Geist.Zeit») und Johanna Di Blasi dem Phänomen Seele auf den Grund zu gehen versuchen. Die Aufnahme entstand beim ersten Podcastfestival des RefLab, «Expedition Wirklichkeit», das am 8. und 9. März 2024 über im Kulturhaus Helferei in Zürich über die Bühne ging.
Foto von Kelly Sikkema auf Unsplash
1 Gedanke zu „Hallo, ist da jemand?“
Liebe Johanna, danke für Deinen schönen Beitrag, der mich sehr berührt hat. Wunderschön, Kinder beim Spielen zu beobachten, wo Alles plötzlich Alles sein kann. Eine Blume eine Fee, eine Puppe ein Engel. Kinder haben ein ganz besonderes ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Seele, sie scheinen mit allem verbunden zu sein. Zu Freud: Eine Freundin hat mich kürzlich ausgelacht, als ich den Begriff des Unbewussten aufgegriffen habe. Sie sagte, es werde nur noch Neurobiologie an den Hochschulen gelernt. Das Hirn sei das Trägermaterial für die Seele. Und doch spüre ich im Gebet mit anderen die Präsenz von Jesus, und diese Präsenz kommt von ausserhalb, Was mir die Seele bei meinen Ängsten für Streiche spielt, ist ein anderes Thema. Ungewohnte Erfahrungen und neue Blickweisen aufzuschreiben, finde ich eine sehr gute Idee, um eingefrorene Wahrnehmungen aufzulösen. Danke nochmals und liebe Grüsse!