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 Lesedauer: 6 Minuten

Fucking Hanau

Kaum fallen irgendwo ein paar Menschen um, müssen islamische Terroristen dahinterstecken. Immer. Als die irre Nazisau Timothy McVeigh 1995 in Oklahoma seinen Lastwagen in die Luft sprengte, ging ein Schrei durch jede US-Militärbasis auf diesem Planeten: «Fucking Arabs! Fucking Muslims!»

Ich war dabei. Ich habe das gehört. Das geht unter die Haut. 25 Jahre später fällt dein Goldhamster tot um. Fucking Arabs. Deine Freundin ist auf und davon mit einem Balkanraser und seinem riesigen … Auto. Fucking Muslims. Dein Reiseveranstalter sagt deine Strandferien ab, weil da irgendwo ein paar Russen vom Himmel gefallen sind. Fucking Arabs. Dein Radio spielt nur noch Scheissmusik. Es regnet den ganzen Sommer. Köppel und Glarner werden in den Nationalrat gewählt. Fucking Syrer. Erinnerst du dich, damals als im Zentrum von Oslo eine Bombe hochging? Fucking Al Ka … Oh.

Fucking Anders

Du machst die Augen auf und du weisst, du hast das alles schon einmal gesehen. Diese absurden Monologe über ‚Fanatiker auf beiden Seiten‘, über Kopftuchverbote, einsame Wölfe und die ‚Islamfrage‘. Die Mitfühlbekundungen im Burgerladen und beim Feierabendbier, als ob man sich plötzlich seine Menschlichkeit beweisen müsste. Die Schweigeminuten in den Parlamenten und Kulturlokalen. Die Interviews mit jedem Stammtischexperten, der auch noch eine Meinung dazu hat. Und dazwischen immer diese Erklärungsversuche, wie das denn kommt, dass irgendwelche Milchbubis sich in die Amokläufercharts ballern. Das ist dir alles noch so vertraut, und trotzdem bist du noch längst nicht alt genug um stumm dazuzunicken, ‚History Repeats Itself‘ vor dich hin zu pfeifen und ein Stossgebet auf Mickey und Mallory davonzujagen.

Fucking Moskito

Als ob es da irgendwas zu erklären gäbe. Haben wir das nicht mit Hitler schon versucht? Oder Kissinger. Manson. Haarmann. Fritzl. Mit jedem, der es uns unwohl macht, Mensch zu sein. Das muss mit seiner Kindheit zu tun haben. Vielleicht wurde er geschlagen als Kind, missbraucht, ausgestossen. Vielleicht war er ja schwul und  hat so darunter gelitten, dass … Wir zeigen mit dem Finger, weit ausgestreckt, so weit wie nur irgends möglich. Das hat nichts mit uns zu tun. Wir lieben den Frieden. Ja wer denn nicht? Wir, die wir häufiger in Flugzeugabstürzen umkommen als in Schiessereien oder Selbstmordattenttaten, wir sind ein Meer der Entspanntheit und sowas von gewaltlos, wir lassen ausnahmsweise sogar den Moskito leben, der uns die ganze Nacht wach hält. Fucking Moskitoes. Das geht uns gar nichts an. Das ist irgendwo weit weg geschehen und hat nichts mit uns zu tun.

Fucking Humans

Und doch ist da jenes Jucken, drei Uhr morgens, kein Stern am Himmel und das Bett so kalt und leer. Jener Reiz nach etwas zu kratzen, von dem wir ganz genau wissen, dass es besser ist, wenn wir es nicht tun. Das hatten wir doch alles schonmal. Ja, wer ist denn hier menschlicher? Wir, die wir so tun, als wüssten wir von nichts, oder jene Einzelinkarnation dessen, was der Mensch schon immer war? Ein Monstrum, meist nur einen falschen Nachbarn davon entfernt, sich an seine eigene Natur zu verlieren. Sarajevo. Kigali. Mitrovica. Nanking. My Lai. Auschwitz. Oklahoma. Kobane. Paris. Ankara. Und eben: Hanau. Jedes Wochenende in irgendeinem Dorf im Kongo, dessen Namen wir nie kennen werden, weil wir lieber auf den ‚Einzeltäter‘ zeigen, die Scheuklappen hochgefahren, den Fokus ganz auf den ‚Fall‘, all die Details ausgerollt in Nachrichtensendungen, Dokumentarfilmen, Büchern und – ja musste denn das auch noch sein? – natürlich: Slamtexten. History repeats itself. The maestro says it’s Mozart, but it sounds like bubble gum. Fucking Humans.

Du wachst auf und bist dir plötzlich sicher: Du bist kein bisschen besser. Stehst auf Bühnen und erzählst davon, die Welt besser zu machen. Und klar: Die Welt ist so viel einfacher, wenn man einen Feind hat. Das geht uns doch allen so. Die Nazis. Die Amis. Die Russen. Die Apartheid. Die israelischen Siedler. Warum auch nicht die Moslems? Kennen Sie folgenden Witz?

Treffen sich die Frauen dreier Botschafter zum Kaffee und diskutieren ihre Ehen. Alle drei beschweren sich darüber, dass ihre Männer im Haushalt niemals mithelfen. Gemeinsam beschliessen sie, ihre Männer unter Sexstreik zu setzen. Nach einer Woche treffen sie sich wieder. Erzählt die Italienerin, dass ihr Mann sie ausgelacht hatte und fand, er würde eher tot umfallen, als Frauenarbeit zu verrichten. Doch bereits nach drei Tagen ohne Sex hätte er sie mit einem köstlichen Abendessen überrascht. Lasagne natürlich. Auch bei der Deutschen hatte die Strategie gewirkt – nach nur fünf Tagen hätte ihr Mann «mit deutscher Gründlichkeit» die ganze Wohnung geputzt gehabt. Da schauen die beiden Frauen ihre türkische/albanische/iranische/arabische – zutreffendes bitte selber einsetzen – Freundin an. «Und?» fragen sie. «Naja,» antwortet sie, «am ersten Tag habe ich noch keine Veränderung gesehen, aber ab dem zweiten Tag konnte ich wenigstens das rechte Auge wieder aufmachen.»

Den Witz hat mir mein Vater erzählt. Der ist übrigens Moslem. Und kann auch nichts dafür, dass er einen grauenhaften Sinn für Humor hat. Schliesslich ist er Arzt. Aber natürlich: Häusliche Gewalt haben bestimmt auch die Moslems erfunden. Und nicht der Papst. Oder die Familie Blocher. Und wenn sie die Anspielung nicht verstehen, dann fragen sie einmal Silvia, was aus der Ehe ihrer Tochter geworden ist, also der, die Englisch kann. Verzeihung. Das war eine Grenzüberschreitung. Bei uns reden wir nicht über das Privatleben abgesetzter Diktatoren. Das passt nicht zu unserer Kultur. Deswegen vergiss nicht: Gehst du zum Gebrauchsgegenstand Weibe, Mann, vergiss die Peitsche nicht. Aus Liebe zur Schweiz.

Mückenspray

Wir lassen uns nicht irritieren. Wir haben Mückenspray dabei. Wir sind nur kurz ein bisschen unentspannt, bis das Jucken wieder aufhört. Bis man uns erklärt hat, wie so etwas geschehen konnte. Bis wir sehen, dass da genügend Massnahmen getroffen werden, damit es sich nicht wiederholt. Dass der Übeltäter entsorgt ist und die Gesellschaft vor ihm geschützt. Dass Soldaten an der Grenze stehen und Polizisten an der nächsten Häuserecke, deren Aktionen manchmal auch grausam sind, aber notwendig im Kampf gegen Kügelidealer, Asylerschleicher und Hausbesetzer. Morgen schauen wir wieder Fussball und die Tagesschau und dann ist das alles nicht mehr so schlimm. Draussen sterben gerade irgendwelche Menschen. Shit happens. Wir kratzen uns, drehen uns um und schlafen weiter. Ein einig Volk von Schläfern.

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