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 Lesedauer: 5 Minuten

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … Jesus auch nicht

Spiritualität lernen …?

Glücklicherweise lernen wir Menschen uns immer besser als lernende Wesen kennen. Auch wenn es um Frömmigkeit, Religiosität und Glauben geht. Daher finde ich die benediktinische Formulierung von der „ars spiritualis so gelungen:

Spiritualität als die Kunst, geistesgegenwärtig und geistbestimmt zu leben.

Denn Kunst und Handwerk kann man, ja, muss man erlernen. Zugegeben: Ich habe das lange und fälschlicherweise als katholische Zumutung an meine evangelische Spiritualität empfunden. Geht da nicht die unverdiente Gnade Gottes vergessen? Dieser Reflex hat sich wohltuend entkrampft. Aber den Heiligen Geist mit Üben und Lernen verbinden? Das fällt mir schwerer, als ich oft wahrhaben will.

… die Zeit habe ich nicht!

Viel lieber wäre mir ein Geist Gottes, der mich übernatürlich und senkrecht von oben ergreift und weiteres Lernen überflüssig macht. Und zwar gerade dort, wo der Lernfortschritt kaum bis gar nicht spürbar ist.

Etwa beim Beten, auf der Suche nach echter Gottesbegegnung, in der liebevollen Annahme meiner selbst und meines Lebens oder der Gestaltung geistlicher Gemeinschaft. Lernen tut der menschliche Geist, die wundersame Verwandlung macht der Heilige Geist. Dass ich so ticke, hat sicher etwas mit jener geistlichen Tradition zu tun, der ich viel verdanke: Eine charismatisch angehauchte Spiritualität, die sehnsüchtig danach strebt, so zu werden, wie der Geistgesalbte par excellence – Jesus Christus. Es hat aber auch etwas mit einem Geist der Zeit zu tun, der gar keine Zeit zu haben scheint. Von ihm getrieben bin ich auf unmittelbar zu erlebende Effekte und Wirkungen aus. Und wenn die ausbleiben, dann liegt das wohl an mir. Also probiere ich aus, ob das nächste geistliche Angebot nicht viel besser und schneller funktioniert. Ist der Geist Christi derart fiebrig und kurzatmig?

Jesus – der geisterfüllte Lehrling

Jesus als Lehrer, von dem ich lerne? Ist bekannt, auch als spirituelles Modell der Nachfolge bis hin zur imitatio Christi. Jesus als Lehrling? Hmm … wohl eher ein vernachlässigter Zug seines Lebens.

Dabei liegt es zunächst auf der Hand. Er hat all das gelernt, was man als Mensch und Zimmermann beigebracht bekommt, von Sprechen über Benehmen bis zur Holzverarbeitung. Interessanter wird es, wenn man zuhört, wie Jesus von einer heidnischen Frau (!) lernt, dass es auch ausserhalb Israels erstaunlichen Gottesglauben gibt (Mk 7,24-30). Noch verblüffender ist, was im Hebräerbrief über Jesus steht: Er hat als Sohn Gottes den Gehorsam gegenüber Gott gelernt (Hebr 5,8). Spätestens hier würde ich doch erwarten, dass der Heilige Geist das als spirituelle Fähigkeit hochgeladen und im Christus installiert hätte.

Das Lernen einfach auf die menschliche Seite Jesu zu beschränken, geht auch nicht. Das Alte Testament berichtet über dreissig Mal davon, dass Gott eine Tat, die er getan hat oder zu tun gedenkt, bereut.

In seiner Beziehung zur Schöpfung und den Menschen öffnet sich Gott offensichtlich für die Erfahrung, neue Erkenntnisse zu gewinnen, umzudenken und zu lernen.

Der Regenbogen erinnert uns an eine der spektakulärsten Lernerfahrungen Gottes: Die Sintflut ist nicht geeignet, die Schöpfung zu korrigieren. Er wird es nie wieder tun (1Mo 8, 20-21). Lernen ist göttlich!

Probieren geht über Studieren

Es ist noch kein spiritueller Meister vom Himmel gefallen, wirklich noch keiner. Das belebt meine Spiritualität gleich mehrfach. Ich darf ausprobieren.

Ein Beispiel: Für mich zählt der geisterfüllte Umgang mit der Bibel zu den Stärken evangelischer Spiritualität. Und doch hat das Lesen der Bibel für meine ganz persönliche Gottesbeziehung nicht mehr die Bedeutung, die es mal hatte. Das könnte daran liegen, dass ich als Theologe ständig im Medium des Wortes arbeite, so dass sich ein inflationärer Gebrauch eingeschlichen hat. Ich weiss gar nicht mehr genau, wie es kam, aber ich fühlte mich liebevoll ins Schweigen entführt. Das hätte ich mir, dem hochtourigen Denker, Leser und Redner nie gegeben. Am Anfang war es wie ein Selbstexperiment – Ausgang offen. Tagelang äussere Stille, und dann die Überraschung: Sogar mein Denkapparat hat sich leer gedacht! Es kam zu Gottesbegegnungen, in denen Worte überflüssig waren. Und die wenigen Fetzen, die übrig blieben, pulsierten kraftvoll: „Du, Gott, siehst mich.“ Lässt mich der Geist Gottes meine mystische Seite entdecken?

Übung macht … ja welchen Meister denn?

Geistlich zu probieren und auch mal daneben zu langen heisst natürlich nicht, ein spirituelles Trendangebot nach dem anderen zu verzehren. Lernen, Üben und Kultivieren gelingen eben nur, wenn ich es mir leiste, an derselben Sache dranzubleiben. Das weiss jede Musikerin. Der künstlerische Moment, in dem die Musik alles trägt, in dem es ekstatisch fliesst zwischen Musikstück, Instrument, Musikern und Publikum, ist zwar unverfügbar, aber er kommt nur durch obsessives Üben, diszipliniertes Lernen und exzessive Wiederholung zustande. Der spirituelle Meisterkurs mit seinen heiligen Momenten läuft da ähnlich.

Wobei es überhaupt nicht förderlich ist, sich ständig zu bespiegeln, um den Lernerfolg zu messen. Lernen macht eben auch heiter und gelassen: Ich muss jetzt noch nicht sein oder erleben, was ich einmal sein oder erleben könnte.

Der Heilige Geist hält – wie bei Jesus – Mass mit meinem Menschsein und Leben. Vielleicht liegt das grosse Geheimnis geistlicher Meisterschaft gerade darin, dass ich mich selbst getrost vergesse und einfach das mache, was der Geist Gottes mir zuwachsen lässt. Häufig waren die, die uns geistlich imponieren, baff erstaunt, als man ihnen sagte, wie meisterlich sie die Kunst des geistbestimmten Lebens kultiviert haben.

2 Kommentare zu „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … Jesus auch nicht“

  1. Der geistige Reifungsprozess Jesu (und Buddhas) während seinen (ihren) letzten sechs Inkarnationen (700 v. Chr. bis 55 n. Chr.) ist interessant beschrieben in „Als Jesus und Buddha sich kannten. Bericht über zwei mächtige Weggefährten“ von Gary R. Renard, AMRAVerlag.de.

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