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Erkenntnistheoretische Kritik: Die Naturwissenschaft erledigt den Glauben (Teil 1)

Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hat schon im Jahr 1917 den Begriff der narzisstischen «Kränkungen der Menschheit» geprägt, die den Menschen in seiner Mittelpunktstellung in Frage stellen – und die nicht zuletzt religiösen Menschen den Boden unter den Füssen wegziehen. Er benennt konkret die kosmologische Kränkung, welche die Erde im Zuge der kopernikanischen Wende aus dem Zentrum des Universums herausreisst, die biologische Kränkung, welche die «Krone der Schöpfung» im Zuge der Entwicklung der Evolutionstheorie zu einem Primaten in der tierlichen Entwicklungsgeschichte erklärt, und die psychologische Kränkung – hier zeigt sich Freud wenig bescheiden selbst verantwortlich: Nach seinen Erkenntnissen ist der Mensch nicht einmal «Herr im eigenen Hause», sondern vielmehr durch sein Unbewusstes bestimmt.

Die Liste der «Kränkungen» wurde seither fleissig fortgesetzt, und sie lässt sich im Blick auf den Gottesglauben auf die Formel bringen: Je mehr die Wissenschaft fortschreitet und Erkenntnisse gewinnt, desto mehr wird nicht nur der Mensch an den Rand gedrängt – desto mehr verliert auch Gott als Garant für die Einzigartigkeit des Menschen an Terrain. Dazu kommen überhaupt die Spannungen und Widersprüche, die sich aus einer wörtlichen Lesung der Bibel im Zuge wissenschaftlicher Entwicklungen ergeben. Es macht den Anschein, als ob sich das Wachstum naturwissenschaftlicher Erkenntnis und der Gott zur Verfügung stehende Raum umgekehrt proportional zueinander verhalten: Je mehr die Wissenschaft unsere Welt erklären kann, desto weniger Berechtigung hat Gott als Erklärung für diese Welt.

Zugleich lässt sich aber auch beobachten, dass renommierte Naturwissenschaftler wie Steven Hawking nicht bei ihren Leisten als Naturwissenschaftler bleiben, sondern mit ihren Erklärungen in den weltanschaulichen, sogar religiösen Bereich vordringen: Hawking meint definieren zu können, wer und was Gott noch sein kann, wenn die Physik die grossen Fragen der Menschheit geklärt hat… Noch deutlicher hat der Ruf nach «der Wissenschaft» in der Zeit der Corona-Pandemie quasi-religiöse Züge angenommen: «Follow the Science» wurde zum Schlachtruf gegen Schwurbler und Querdenker und führte teilweise zu einer ganz unwissenschaftlichen Verehrung und Überschätzung der Naturwissenschaften – ein Punkt, der in der nächsten Folge weiter zur Sprache kommen wird…;-)

8 Kommentare zu „Erkenntnistheoretische Kritik: Die Naturwissenschaft erledigt den Glauben (Teil 1)“

  1. Vielen Dank. Kurzweilig, zum wach bleiben.

    Meine These:
    Religionen sind Projektionen des Menschen.

    So lautet eine zentrale Frage:
    Wer hat Gott erschaffen?

    Und: Was tut mir gut und was tut mir weh.
    Was zählt?

    Kann ich mir erlauben, Agnostiker zu werden?
    Denn was Genaues weiß ich nicht (mehr).

    4all: Weißt du’s besser?

    Vielen Dank für eure Überlegungen und Überlebungen.

    1. Moin @Tom,

      zu „Meine These: Religionen sind Projektionen des Menschen.“

      Warte einfach 80 Jahre, dann weisst du sicher, ob Deine These fuer Dich gestimmt hat 😉

      zu „So lautet eine zentrale Frage: Wer hat Gott erschaffen?

      Das ist eine naive Frage.
      Per Definition und Grundannahme existiert Gott von Ewigkeit und wurde nicht erschaffen. Sein Name ist Programm: „Ich bin der Seiende“. Erst NACH dieser Grundannahme beginnen die monotheistischen Religionen …

      zu „Und: Was tut mir gut und was tut mir weh. Was zählt?“

      Bist du noch sehr jung und unerfahren? Schau, dein Motto wird schon von Paulus erwaehnt:
      1.Kor 15.32 „In Ephesus habe ich[Paulus] mit wilden Tieren gekämpft. Wenn ich keine Hoffnung hätte, hätte ich mir das ersparen können! Wenn die Toten nicht auferweckt werden, dann halten wir uns doch lieber an das Sprichwort: »Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!«.

      zu „4all: Weißt du’s besser?“

      Ja, aus meiner subjektiven Erfahrung! Ansonsten, einfache, pascalsche Wahrscheinlichkeitsrechnung:
      a) Wenn du nicht an Gott glaubst, kannst du machen was Du willst und ohne Ihn leben. Jetzt und in der Zukunft.
      b) Wenn du eine Beziehung zu Gott unterhaelst, machst du auch „was du willst“ (aus Liebe zu Gott willst du aber nicht mehr alles, was du vorher wolltest) und die Beziehung hoert niemals auf (Gegenwart und Zukunft).

      Wenn also a) und es gibt Gott doch, hast du ein Problem.
      Wenn also b) hast du kein Problem.

      Ergo: Mache ein Selbstexperiment, als offener, neugieriger Mensch: „Herr Jesus Christus, wenn es dich wirklich gibt und du eine Beziehung zu mir haben willst, dann mach es mir(Tom) unmissverstaendlich klar.“
      Dann warte ab, was passiert!

      LG Joerg

  2. Liebe beide,

    herzlichen Dank für diese Auslegeordnung und erste Lösungsansätze.

    Hilfreich ist hierbei vielleicht der Begriff „Szientismus“, also die Überzeugung, dass ausschliesslich mit naturwissenschaftlichen Methoden Wissen möglich ist. Obwohl philosophisch naiv und längst widerlegt, ist diese Überzeugung doch weit verbreitet, wie Ihr mit Euren Beispielen illustriert habt.

    In seiner Summa Theologiae identifizierte bereits Thomas von Aquin den Naturalismus, der Gott schlicht nicht zu „brauchen“ glaubt, als einen wichtigen Einwand gegen die Existenz Gottes. Diese Sichtweise kann aber wohl nur für Mitmenschen befriedigend sein, die philosophisch-metaphysische Fragen vermeiden, wie bspw. warum gibt es etwas und nicht nichts; warum gibt es Werden und Veränderung; warum ist die Welt regelhaft und geordnet; usw.

    Übrigens bin ich selbst Naturwissenschafter und begeistert davon, welche Errungenschaften damit möglich geworden sind (auch gerade in der Corona-Pandemie!). Eine Dichotomie zwischen Naturwissenschaft und Theismus ist aber offensichtlich ein Kategorienfehler, zumindest wenn man Gott nicht als Kreatur, sondern als Schöpfer und mithin als Fundament der Wirklichkeit versteht.

    1. Gott hat mE keine Dummheit „geschaffen“.

      Gemaess der Vorstellung, dass der Mensch bei der Erschaffung vollkommen gemacht war (Paradies), ergeben sich alle Unzulaenglichkeiten, Deffekte, Aufspaltung der genetischen Varianz, Zerfall, Sackgassen, etc entlang der Vermehrung/Generationsfolge in der „gefallenen Welt“ (ausserhalb des Paradies ohne direkte Gemeinschaft mit Gott).

      Trotzdem hat Gott jeden Menschen (auch Dumme) gleich lieb und sucht die Beziehung zu Dir heute. Beziehung ist komplex, Vertrauen, Emotionen stechen oft Intellekt.

      LG Joerg

  3. Das ist ein spannender Beitrag. Aber muss er wirklich eine Stunde dauern? Oder könnte nicht die schriftliche Zusammenfassung etwas ausführlicher sein, damit man in nützlicher Zeit das Wichtigste erfährt? Ihr bringt viele spannende und wichtige Themen – aber wer hat schon die Zeit, sich all das anzuhören?

    1. Danke Samuel für dein Feedback – ja, die Podcastlänge… da gibt es einfach sehr verschiedene Wünsche und Erwartungen. Manche wünschen sich, wir würden zwei Stunden reden, andere hätten es gerne knappen. Genau DASSELBE kann man in der Hälfte der Zeit aber natürlich nicht sagen – es sei denn, man redet einfach doppelt so schnell…;-)

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