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 Lesedauer: 4 Minuten

«Er ist ein Arsch, aber ich mag seine Brötchen.»

Verweigerte Kontoeröffnung

Die Zuger Raiffeisenbank hat dem überparteilichen Referendumskomitee «Nein zur Ehe für alle» die Eröffnung eines Vereinskontos verweigert. Auch bei anderen Banken ist der Trägerverein abgeblitzt. Erst beim fünften Anlauf ist es den Gegnern der gleichgeschlechtlichen Ehe und der Samenspende für lesbische Paare gelungen, eine Bank zur Abwicklung ihrer finanziellen Belange zu finden.

Einige Facebook-Freunde finden das ganz toll und gratulieren «ihrer Raiffeisen» zu dieser mutigen Abfuhr an eine Organisation, die sie als menschenverachtend und rückständig verurteilen.

Die Bank selbst hat zwar keine Gründe für ihren abschlägigen Bescheid genannt. Mündlich sollen Verantwortliche des Finanzinstituts aber die Angst vor einem Reputationsschaden eingestanden haben.

Nun glaube ich zwar nicht, dass es sich bei dieser Verweigerung der Kontoeröffnung ihrerseits wirklich um einen Verstoss gegen das Diskriminierungsgesetz handelt. Die entsprechende Strafanzeige des Referendumskomitees wird wohl auch ins Leere laufen. Der Trägerverein wurde von der Bank nicht abgewiesen, weil dessen Mitglieder heterosexuell sind, sondern weil sie für eine konservativ-antipluralistische Politik und Sexualmoral stehen, die in weiten Teilen der Bevölkerung nur noch Befremden auslöst. Es steht einer Bank grundsätzlich frei, einer solchen Gruppe ihre Dienstleistungen zu verwehren und mit ihnen kein vertragliches Verhältnis einzugehen. (Das ist übrigens Ludwig A. Minelli, dem Gründer der Sterbehilfeorganisation «Dignitas», mit der Zürcher Kantonalbank im gleichen Jahr ganz ähnlich ergangen…)

Als jemand, der das politische Anliegen der «Ehe für alle» ausdrücklich unterstützt, finde ich den Entscheid der Raiffeisenbank sowie das gesellschaftliche Klima, das ihn allem Anschein nach motiviert hat, trotzdem bedenklich.

Kontaminierte Schokolade

Ich werde an den Boykott von Läderach-Schokolade im letzten Jahr erinnert. Im Vorfeld der Demonstration «Marsch fürs Läbe» wurde publik, dass Mitglieder der Unternehmerfamilie Läderach zum Vorstand eines Vereins gehören, der wiederum zu den Trägerorganisationen dieser Kundgebung von Abtreibungsgegnern zählt. Diese Verbindung hat gereicht, um landesweite Boykottaufrufe zu provozieren. Im Basler Clarashopping haben Linksautonome gar einen Buttersäure-Anschlag auf die dortige Läderach-Filiale verübt. Unter öffentlichem Druck hat dann auch die Fluggesellschaft Swiss ihre langjährige Zusammenarbeit mit dem Chocolatier eingestellt. Auch hier stehen offensichtlich Befürchtungen einer Rufschädigung im Hintergrund.

Was mir daran Sorge macht, ist die zunehmende politische und moralische Aufladung dessen, was eigentlich «freie Marktwirtschaft» genannt wird.

Natürlich bezieht sich meine Sorge nicht auf das gesteigerte Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen und faire Produktionsbedingungen. Es ist ausdrücklich zu begrüssen, dass es vielen Menschen nicht mehr einfach egal ist, auf welchem Weg der Kaffee ins Regal oder das Fleisch in den Kühler des Supermarktes gekommen ist, oder unter welchen Voraussetzungen die eigenen Turnschuhe oder Smartphones hergestellt wurden. Gerade als konsumwütige Teilhaber*innen der westlichen Welt tragen wir hier eine Verantwortung, die es nicht mehr abzustreiten gibt.

Dabei geht es aber um die Produkte selber – um ihre Herstellung, ihren Transport, und um das Wohl der in diese Prozesse involvierten Menschen. Und ausgerechnet das geschmähte Läderach-Unternehmen hat auf solche ökologischen und humanitären Anliegen in ihrer Produktionskette nachweislich grossen Wert gelegt.

Liberale Intuitionen

Die Idee dagegen, dass sich an der privaten Geisteshaltung und Lebensführung, der politischen Ausrichtung oder religiösen Orientierung von Unternehmensverantwortlichen entscheiden soll, ob «man» guten Gewissens dort einkaufen oder Dienstleistungen beziehen kann – oder umgekehrt die Vorstellung, dass persönliche Präferenzen und Werturteile von Menschen ausschlaggebend sein sollen, ob sie als Kunden in Frage kommen oder nicht, läuft all meinen liberalen Intuitionen zuwider.

Soll ich in der Migros-Satellit-Filiale nichts mehr kaufen, weil die türkische Familie, die den Laden betreibt und damit ihren Lebensunterhalt verdient, ganz offensichtlich eine patriarchale Familienstruktur lebt? Soll ich die Gemüselieferungen vom lokalen Bauern wieder canceln, weil mir zu Ohren gekommen ist, dass er jetzt für die SVP Lokalpolitik betreibt und latent fremdenfeindliche Positionen vertritt?

Mir graut vor einer Gesellschaft, die eine Privatperson (mit all ihren Vorzügen und Zweifelhaftigkeiten) nicht mehr von ihrer marktwirtschaftlichen Aufgabe und ihrer gesellschaftlichen Rolle unterscheiden kann.

Selbst im Blick auf Vereine, die sich ganz explizit einem (vielleicht fragwürdigen) Ziel verschreiben, würde ich an diesem Empfinden festhalten. Und dass ausgerechnet Banken sich zu Hütern der Moral aufschwingen, erscheint mir besonders doppelbödig. Ein Finanzinstitut müsste sich m.E. darauf konzentrieren, undurchsichtige Geschäfte, Steuerhinterziehung, Geldwäscherei usw. zu unterbinden – aber Menschen und (legalen) Körperschaften jeder Couleur Zugang zu ihren Dienstleistungen geben. Der Satanisten-Vereinigung wie der pfingstlichen Freikirche, dem Verein gegen Tierfabriken wie dem Schweizerischen Metzgereiverband, der Gesellschaft für Homöopathie wie dem Komitee «Keine Krankenkassengelder für Alternativmedizin», usw.

Oder, um es mit den Worten eines Bekannten auszudrücken, der gerne in einer Bäckerei einkauft, deren Besitzer für seine Übellaunigkeit bekannt war: «Er ist ein Arsch. Aber ich mag seine Brötchen.»

 

Dieser Beitrag ist eine Replik auf den Artikel von Stephan Jütte: «Gerechtigkeit für Gegner der ‚Ehe für alle‘?»

11 Kommentare zu „«Er ist ein Arsch, aber ich mag seine Brötchen.»“

  1. Vielleicht ist der Kauf von leckeren Brötchen genau die Brücke, die wir heute brauchen, um einander nicht auf Übellaunigkeit (oder sonst was) zu reduzieren. Vielleicht ist das heterosexuelle Backen einer gleichgeschlichtlichen Hochzeitstorte exakt die Sahne, mit der wir den Andersdenkenden und -lebenden ihr Glück gönnen und versüssen. Vielleicht sind gewährte Bankkonten die vertraglichen Handshakes dafür, dass wir grosszügig darauf verzichten, unsere privatrechtlichen Freiheiten zur gegenseitigen Verächtlichmachung einzusetzen.

  2. Naja, wenn die Banken einen Reputationsschaden befürchten, ist das noch kein moralisches Statement, sondern schlichte Vorsicht (bzw. Ängstlichkeit). Bekanntlich ist das verhandelte Thema gegenwärtig recht populär, emotional sehr aufgeladen, und gewisse Exponenten neigen zu heftigen öffentlichen Reaktionen. Diese Banken folgen einem Schadensminimierungskalkül, was ihre Reputation betrifft. Das ist rein zweckrational – nicht moralisch; aber vielleicht stört Dich, lieber Stephan, ja gerade das.

    1. Danke Luzi für die Rückmeldung – Ja, ich glaube natürlich auch, dass die Banken letztlich nüchtern zweckrational entschieden haben, eben im Blick auf den Reputationsschaden. Bisher haben sie das allerdings nicht zugegeben, und der Stolz mancher Kunden auf «ihre Raiffeisen», die den «homophoben Höhlenmenschen» die Stirn geboten haben, bezieht sich natürlich nicht auf diese Zweckrationalität, sondern auf einen (unterstellten) feinen moralischen Kompass…

  3. Ach was, wenn die Bank es überhaupt deswegen abgelehnt haben sollte (immerhin gilt bei einer Strafanzeige ja auch die „Unschuldsvermutung“), dann einfach aus ökonomischen Gründen. Wenn jemand keine Dublerköpfe verkaufen will, dann einfach aus ökonomischen Gründen. Dieses Risiko trägt jede Firma wegen der Vertragsfreiheit selber. Genau deswegen waren alle diese Beispiele der Gegnerschaft der Ausweitung der Antisrassismus-Strafnorm (nb fast exakt dieselben wie jetzt Ehefüralle-Gegner!) immer falsch. Und nun das Ganze noch auf sich selbst anzuwenden, will ganz einfach nur eine scheinbare Absurdität dieser Strafnorm aufzeigen und zugleich Aufmerksamkeit für das Referenum erzeugen. Nur das. Dabei geht es überhaupt nicht um irgendwelche anderen Grundsatzfragen, die du Manuel nun ein bisschen im NZZ-Stil, anmerken willst. Es geht einfach um denselben PR-Gag, wie die Störung durch Aktivist*:innen bei der Übergabe der Unterschriften. Da möchte sich eine Komitee, das diskriminieren will, selbst zum Opfer stilisieren. Daran ändern auch schöngeistige Bemerkungen nichts. Man sollte dem nicht auf den Leim kriechen.

    1. Ich bin dem ja auch nicht auf den Leim gekrochen. Die Strafanzeige wegen Diskriminierung wird zu Recht ins Leere laufen, wie ich geschrieben habe. Und es geht bei der Abfuhr sicher vornehmlich um ökonomische Gründe, um die Angst vor einer Rufschädigung. Ich kritisiere v.a. die gesellschaftliche Grosswetterlage, die eine solche Angst berechtigt macht. Warum sollte es gegen eine Bank sprechen, wenn sie unliebsamen oder öffentlich belächelten Gruppen eine Kontoeröffnung möglich macht? Seit wann müssen Banken für die politischen Einstellungen und Absichten ihrer Kunden gerade stehen? (Und by the way: historisch waren Schweizer Banken bei Steuerhinterziehern, Diktatoren und Geldwäschern nicht so zimperlich…) Wo soll das hinführen? Muss ich den Bäcker oder Metzger zuerst googeln und auf seine sozialpolitische Verträglichkeit checken, bevor ich bei ihm einkaufen kann? Nein danke. Die evangelische (!) Trennung von Person und Handlung würde hier gut tun.

      1. Viel zu grosse Worte. Evangelische Trennung…
        Da sagt man uns kirchlicherseits seit Jahren, wir sollten als Konsumenten Einfluss nehmen (fairer Handel), und dann wollen wir das, indem wir bspw. keine (möglicherweise) rassistisch konnotierte Schaumköpfe oder Schoggi eines sich für einige Leute seltsam gebärdenden Unternehmens zu kaufen, und andere Firmen reagieren darauf: das alles ist einfach Geschäft und Politik mit Geschäft. Dass es da manchmal recht heuchlerisch und inkonsequent zugeht, ist geschenkt. Dass die Raiffeisen mit ihrem ehemaligen CEO ein noch grösseres moralisches Problem an der Backe hat als die reformierte Kirche Schweiz: auch geschenkt. Aber ist Geschäft…; dafür das gesellschaftliche Klima zu bemühen ist viel zu hoch gehängt. Die Jammeris vom Referendumskomitee haben daraus eine vermeintliche Opfergeschichte konstruieren wollen, und ihr seid drauf gekrochen, eigentlich schon Stefan…

        1. Ok – aber da gibt es doch wichtige Unterschiede. Das Bewusstsein für fairen Handel, ökologischen Anbau und menschenwürdige Arbeitsbedingungen mache ich in meinem (sicher bewusst plakativen, unausgewogenen) Beitrag ja gerade stark. Zur Mohrenkopf-Debatte habe ich mich schon mal ausführlicher geäussert – das ist durchaus komplex, aber doch geht es hier doch immer noch um das Produkt (bzw. seinen Namen). Was ich anprangere, ist ein völlig vom Produkt oder der Dienstleistung unabhängiger Anspruch an die moralische Annehmbarkeit oder politische Gleichgesinnung der beteiligten Personen. Dass es sich hier um gesellschaftliches Klima handelt, ist m.E. schwer zu leugnen – sonst wäre die Angst vor einem Reputationsschaden, die von der Raiffeisen (oder, bei Läderach, von der Swiss) wenigstens hinter vorgehaltener Hand geltend gemacht wird, ja völlig unberechtigt. Das ist sie aber eben nicht. Darum eben lieber: «Er ist ein Arsch, aber ich mag seine Brötchen.» 😉

  4. Natürlich ist die Strafanzeige lächerlich. Auf der anderen Seite ist es aber schon bedenklich, das nach 80 Jahren der Ausspruch: Kauft nicht bei……. Läderach wieder Salonfähig wird. Im Namen der Toleranz und des Fortschritts wohlverstanden! Und manchmal graut es mir vor unserer Gesellschaft, die anscheinend genau weiss, welche steinewerfende Aktivisten wir bewundern sollen, welche ewiggestrigen Fundamentalisten wir mundtot machen sollen und welche bösen Terroristen wir verfolgen sollen.
    Wann wer nach welchen Kriterien in die jeweilige Gruppe eingeteilt wird, ist für mich nicht immer so klar nachvollziehbar.

    1. Das ist schon fast eine ungeheuerliche Verdrehung! Das „Kauft nicht“ hat sich auf Juden bezogen, die damit erst diskriminiert und dann ermordet wurden. Wohingegen es hier um Schokoladehersteller oder eine politische Gruppe geht, die selber diskriminieren will. Die Taktik dahinter ist eine Opfer-Täter-Verdrehung. Und das dann noch in eine Holocaust-Nähe zu rücken. Als ob dort nicht auch Homosexuelle umgebracht worden wären. Wenn schon ist das gesellschaftliche Klima eben gerade so, dass sich Täter zu Opfern stilisieren. Auch das mehrfach hier behandelt. Aber nicht durchschaut.

      1. okay, wenn ich die Zeit vor 30 Jahren und Heute vergleiche, bin ich froh, dass sich vieles geändert hat. Und es ist ganz klar, wie Christen und die Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten Homosexuellen und ungewollt Schwangeren behandelt haben, ist nicht in Ordnung und da kann nur um Verzeihung gebeten werden. Wenn es überhaupt entschuldbar ist. Auf der anderen Seite ist das Recht auf Abtreibung ganz sicher nicht die Errungenschaft der letzten 30 Jahre, auf die wir am meisten Stolz sein müssen. Und wenn das jemand anders sieht, als die grosse Mehrheit, ist er noch lange nicht ein diskriminierende Täter, der im Namen der Toleranz hochoffizell geächtet werden darf.

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