(Beitrag von Andreas Kessler nachlesen)
Ein Nachbeben aus Lissabon in Corona-Zeiten? Das wird einen, der denkt und glaubt, schon nicht aus der Fassung bringen: Woran der Glaubenddenkende sich stört, wurde von den tektonischen Schockwellen vor einem viertel Jahrtausend vermeintlich umgeworfen: der personale Gott.
Dieser nämlich, der in Mittelalter und Antike mehrfachbewiesenermassen der war, worüber nichts Höheres gedacht werden konnte, kann vom Denker unter den Gläubigen schon längst nicht mehr gedacht werden. Vor Portugals Küsten bebt die Erde und die Erschütterungen machen diesem Gott die Knie weich – auf der Erde husten die Menschen und der liebe Gott geht in Quarantäne.
Die optimistische Welt
Bleibt nur zu fragen, was eigentlich sein Gedanke war, als er über Corona schrieb, ohne an einen theistischen Gott, an ein metaphysisches Du zu glauben? An Leibniz, den viel geschundenen und belächelten Optimisten unter den Theodizeegeplagten, hat er nicht gedacht. Oh, der arme Mann! Er schreibt das Buch des 18. Jahrhunderts, ist Jahrzehnte in aller Munde – dann wackelt die Erde und rüttelt an der Wahrhaftigkeit der Leute: Gelesen hat ihn wohl kaum einer.
Im Gewimmel der Paragraphen lernt man nämlich denkend an einen Gott glauben, der es gut meint mit dem Menschen und ihn deswegen zusammen mit einer Welt bestmöglich gemacht hat.
Die beste Welt
Bonus – melior – optimus: Was im Lateinischen eine Steigerung bedeutet, ist es nicht in der Metaphysik: Die beste Welt vom guten Gott ist (noch) keine gute. Sie soll es erst werden und der Mensch muss dabei kräftig anpacken, das ist der Gedanke. Nicht gut? Warum nicht gut? Na freilich: Weil der Mensch als Teil der Schöpfung sich erst zum Gutsein entscheiden muss, und zwar immer wieder. Er muss sich aufraffen, kann irren und fehlgehen – gerade wenn er das Haus in viralen Gruppen verlässt.
Dann blickt der allmächtige und allwissende Allweise auf sein Geschöpf, das Fehler macht, weil ihm der Überblick fehlt oder weil Denken und Glauben gerade beide pausieren. Jedoch – noch so ein Gedanke des alten Infinitesimalrechners – er meint es ernst mit jedem von uns: Weder seift er uns die Hände, noch schickt er Regenwolken zur Grillparty im Park: Der Mensch ist sehr gut – eben optimal – gemacht und selbst in der Lage, richtig zu entscheiden und damit sich selbst und die ganze Schöpfung immer besser zu machen.
Die optimale Welt
Das allerbeste aber an der optimalen Welt ist, dass sie mit Dir, mir und auch unserem Glaubensdenker gemacht wurde – und ohne uns nicht gutsein, gar nicht sein könnte. Wer glaubend an den Gott aus Leibnizens‘ Theodizee denkt, weiss nämlich, dass es einen Grund für Hoffnung und Zuversicht gibt – einen Grund, den der Mensch selbst nicht legen kann, schafft er es ja kaum, an einem gefüllten Nudelregal vorüberzugehen, ohne mit der Apokalypse zu rechnen.
Die sanitären Massnahmen der Regierung will ich, als Theologe allzumal, übergehen, auch wenn ich zum Rest des Glaubensdenkens nicht schweigen könnte: Die Theodizee und ihr geretteter Gott geben jedem, der glaubt und denkt, zu denken. – Woran er letztlich glaubt, muss er sich aber selbst denken.
Gastautor: Steffen Goetze ist Theologe am Institut für Historische Theologie an der Universität Bern.