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 Lesedauer: 5 Minuten

Ein unglaubliches Drama

Frohe Feste

Auch in unserer mental weitgehend säkularisierten Gesellschaft wissen die meisten noch, was an Weihnachten gefeiert wird. Weihnachten ist beliebt. Anders als Karfreitag – der ist bedrückend. Oder Pfingsten – dann regnet es fast immer. Weihnachten und Ostern hingegen sind lebendige, fröhliche Feste. Sie haben den Sprung in die Lebenswelten religiös desinteressierter Menschen spielend geschafft.

Ostern ist zu einem Fruchtbarkeitsfest geworden, das den Frühling, das Leben und die Sonne preist. Ostern ist süss. Wer auf seinem Smartphone Ostern tippt, bekommt folgendes Emoticon vorgeschlagen: 🐣

Weihnachten ist das Fest der Familie. Der Heiligen Familie. Aber vor allem auch der eigenen Familie. Und, glaubt man den Emoticons, auch das Fest der alten weissen Männer und Grossväter: 🎅

Schräge Geschichten

Ostern und Weihnachten sind in unseren Volksbräuchen so beliebt, dass sich niemand mehr über die ziemlich schrägen Geschichten wundert, auf die diese Feste zurückgehen. In beiden Geschichten kommt alles anders, als alle gedacht hatten: Der Heiland kommt in einer Krippe zur Welt. Seine Mutter ist eine Jungfrau. Die Mächtigen und die Religionsexperten verpassen seine Ankunft, während die Fremden und die Hirten ihn willkommen heissen. Das wird dann übrigens symptomatisch für sein ganzes weiteres Leben… Ostern bildet den biografischen Höhepunkt dieses Gottmenschen. Nachdem er zu Tode gefoltert worden ist, scheint Gott ihn auferweckt zu haben. Er ist dann wieder sichtbar. Aber berühren darf man ihn nicht.

Beziehungsdrama

Ich bin froh, dass ich nicht zu einer christlichen Kirche gehöre, die Menschen mit Flugschriften oder an der Türschwelle von dieser Story überzeugen muss. Klar, ich bin mit dieser Geschichte aufgewachsen. Die Jungfrau wird einem Kind so etwa ab der dritten Klasse suspekt. Erwachsene sagen dann Dinge wie: «Klar doch, für Gott ist nichts unmöglich!» Aber irgendwann kommt der Moment, indem man sich fragt:

«Echt jetzt?! Das ganze Drama nur dafür, dass dieser Gottmensch ca. drei Jahre lang als Wanderlehrer und Heiler wirken kann, bevor er dann gekreuzigt wird und irgendwie zu den Lebenden zurückkehrt nur um kurz darauf schon wieder zu verschwinden?»

Und worauf hoffen wir eigentlich? Na klar, dass er wieder zu uns zurückkommt. Puuh. Das klingt eher nach On-Off-Beziehungskino mit Fantasy-Anteilen, die der Story nicht wirklich gut tun. Und doch feiern es alle, als wäre es normal und manche gar so, als wäre diese Geschichte die einzige Wahrheit, die sie überhaupt trägt.

Angst vergessen

Auch ich feiere begeistert Weihnachten. Nicht weil ich mir vorstelle, dass vor 2021 Jahren ein Gottmensch geboren wurde, den Engel angekündigt haben. Nicht weil ich glaube, dass er perfekt war. Oder darauf hoffe, dass er irgendwie bald kommt, um unsere Probleme endgültig zu lösen. Aber ich kann glauben, dass dieser Jesus von Nazareth etwas ausgestrahlt hat, wie von einer anderen Welt. Dass er einer war, über den man sich gewundert hat und sich gefragt hat, woher er diese Gelassenheit hat, dieses tiefe Urvertrauen, diese Zuversicht, dass eine gerechte Welt möglich sei.

Die Menschen in seinem Umfeld haben durch ihn Gottes Liebe gespürt. Und bei ihm ihre Angst vergessen. Sie haben durch ihn kapiert, dass sie einander nicht immer etwas schuldig bleiben müssen und sich nichts nachzutragen haben.

Und ich stelle mir vor, dass dieses Leben so in ihnen geleuchtet hat, dass es stärker war, als das Ende. Dass am Schluss mehr Hoffnung, Lebendigkeit und Dankbarkeit übrig war, als der Tod schlucken konnte. Vielleicht kam er ihnen deshalb so anders vor, weil er Schulden nicht aufrechnen und Gerechtigkeit nicht abwägen wollte. Weil er für die beten konnte, die ihn verfolgt und getötet haben. Der ist nicht normal. Der ist anders. Ohne Ego-Problem, wie einer, dem seine eigenen Grenzen nichts ausmachen. Er lebte in einer Hingabe, als wäre er sicher aufgehoben von einem anderen Ort her. Und dadurch weckte er in den Anderen Bilder von einem anderen Ort, die einen hier ganz präsent sein lassen. Es war, als käme er direkt aus Gott.

Aus dem Anfang bis zu uns

Das erzählt ja eigentlich auch die Weihnachtsgeschichte bei Johannes, Matthäus und Lukas: Jesus kommt aus dem Anfang, ist ganz mit Gott verbunden, kommt durch seinen Geist in die Welt. Er selbst hat uns nie erzählt, dass er anders sei als wir. Im Gegenteil.

Wir alle sollen Gott als Elternteil anreden, sind Gottes Kinder.

Vielleicht sind die volkstümlichen Interpretationen von Ostern und Weihnachten gar nicht weiter vom Kern dieser Geschichte entfernt als die Geschichte selbst! Die Heilige Familie macht uns hoffen, dass auch wir Verbundenheit und aufrichtige Liebe bei unseren Nächsten finden können und es vermögen, sie ihnen zu schenken. Das wäre echtes Leben, das mit dem Tod nicht an seine Grenze kommt, sondern über den Tod hinaus wirkt. Ein Leben, das immer mehr «Nächste» sucht, sich mit allen und allem verbunden weiss. Und dann feiern wir das Leben, als ob es keinen Tod gäbe, als folgte auf jeden Winter auch für uns ein Frühling. Als hätte dieses unglaubliche biblische Drama einen echten Sinn.

2 Kommentare zu „Ein unglaubliches Drama“

  1. Bin fast einverstanden. Nur ein kleiner Korrekturvorschlag: Es ist Geschichte, keine Geschichten. Aber ich schätze sehr, dass du wirklich so schreibst, wie du glaubst! Ich hoffe, das tue ich auch. Frohes Fest!
    Gruss Tobias

  2. Ein eindrücklicher Versuch, die Bedeutung von Weihnachten für Menschen zu formulieren, die weit, weit weg sind von der christlichen Tradition. Well done!
    Meine Testfrage bei allen Übersetzungsversuchen lautet: Ist es gelungen, das „Verheissungspotential“ der biblischen Texte zu transportieren. Und da bin ich bei dir unsicher. Sind wir am Ende doch nicht ziemlich allein mit unserer eigenen Liebenskraft? Ich weiss natürlich nicht, ob ich’s besser könnte…

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