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Ein Geschlechterturm für Zürich

Die Äbtissinnen des Zürcher Fraumünster überragten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit Normalsterbliche himmelhoch. Die adeligen Klosteroberinnen, insgesamt waren es 29, besassen in der Feudalzeit grosse Machtfülle.

Hoch aufragend ist auch eine temporäre Installation, die in den kommenden vier Monaten zu Ehren der Stiftsdamen Zürichs Skyline ergänzt:

der «Katharinenturm».

Das Kunstwerk steht im Kontext des grossen Katharinagedenkens (Katharina2024) dieses Jahr in Zürich, mit einer Fülle von Veranstaltungen.

Kunst oder Baugerüst?

Die Installation ist Platzhalter des im 18. Jahrhundert aus pragmatischen Gründen abgerissenen Südturms des Fraumünster und sie ist der letzten Äbtissin des Frauenklosters gewidmet, Katharina von Zimmern.

Mit der Form eines Turms drückt das temporäre Denkmal Macht und Stärke der Fürstäbtissin aus. Es signalisiert, dass vorübergehend auch das Fraumünster zweitürmig ist, wie gleich gegenüber das Grossmünster, wo Zwingli das Sagen hatte.

Allerdings ist kein trutziger Wehrturm entstanden, sondern ein luftiges Gerüst.

Als Passant:in kann man das Kunstwerk in Form eines zylindrischen Gestells auch mit einem Baugerüst verwechseln. Die NZZ verleitete die eingeschränkte Signalwirkung des Denkmals zu einer spöttischen Bemerkung: Es sei eine «bittere Ironie», dass der Versuch, Frauen mehr Sichtbarkeit zu verleihen, in eine Installation gemündet sei, die trotz vierzig Meter Höhe «unterzugehen» drohe.

Die Initiatorinnen des Katharinenturms, ein Kreis von Zürcher Bürgerinnen, wollten offenbar im Stil der Geschlechtergeschichtsschreibung an eine einstmals grosse, dann aber fast vergessene Frau erinnern.

Dass dies mit einem Phallussymbol geschieht, lässt sich als ironisches Augenzwinkern lesen.

Man kann in dem Turmdenkmal für die hochadelige Dame vielleicht eine moderne Spielart eines «Geschlechterturms» im Zeichen der Gendergeschichtsschreibung sehen.

Piece Builder

Als feministische und reformierte Ikone wackelt Katharina auf dem Denkmalsockel aber.

Soll die vorreformatorische Fürstäbtissin gefeiert werden? Dann liegt das Gedenken quer zur Reformationsgeschichte. Würdigt man, dass die letzte Äbtissin gerade noch rechtzeitig vor einem grossen Blutvergiessen Konkurs anmeldete? Dann bleibt aus feministischer Perspektive ein bitterer Beigschmack.

Man feiert dann nämlich die Abdankung einer starken Frau.

In den folgenden Jahrhundert waren es nämlich wieder vorwiegend Männer, die in Stadt und Kirche das Sagen hatten. Eine Kompromissformel lautet: Katharina von Zimmern habe durch ihre Schlüsselabgabe vor 500 Jahren den Weg frei für die Reformation gemacht und einen Bürgerkrieg verhindert. Tatsächlich ging die Verfügungsgewalt über die einträglichen Klosterländereien mit Katharinas Schlüsselabgabe an die Stadt.

So wurde tatsächlich der Weg für ein bürgerliches und reformiertes Zürich geebnet.

Elfenbeinturm

Auch die gewählte Symbolik knirscht. Türme sind Zeichen für Macht und Virilität. Wie Berge symbolisieren sie Aufstiege und Höhen. Sie können aber auch Elfenbeintürme sein und auf Realitätsleugnung hindeuten.

Katharina gehörte einer Elite an, die ein abgehobenes Leben auf Kosten niedriger Schichten und unzähliger Leibeigener führte.

Hinweise, dass sie die mittelalterliche Gesellschaftsordnung hinterfragte, fehlen. Ob sie ins Lager der Reformierten übertrat, lässt sich ebenfalls nicht mehr ermitteln. Gerade in ihrer Zeit erhoben sich unterdrückte Bauern auch im Zürcher Land. Aufgebrachte Weinbauern scheinen Katharina von Zimmerns kurz nach ihrer Abdankung erfolgte Hochzeit mit einem Söldnerbaron gestört zu haben.

Hätten nicht eher die Bauernerhebungen und niedergeschlagenen Sozialrevolten vor 500 Jahren ein öffentliches Gedenken verdient?

Biblisch steht Turm auch für Hybris, für menschliche Überhebung. Im Fall des Babylonischen Turms als Sinnbild für das Bemühen, es Gott gleichzutun. Bezogen auf das mittelalterliche und frühneuzeitliche Zürich lässt die Turmsymbolik zudem an grausame Gefängnistürme denken.

Im feuchten Wellenbergtum, umspült von der Limmat, warteten wenig später Täufer auf ihre Hinrichtung.

Gender- und Sozialgeschichte

Katharina handelte sich gleichzeitig mit ihrer Abdankung hohe Boni aus, die sich mit Abfindungen heutiger Spitzenmanager messen lassen. Sie lebte weiter ein feudales Leben in Zürich.

Insofern kann man sie auch als Symbol für ausgebliebene Sozialreformen sehen. Einfache Frauen und Männer hatten gewiss mehr gemeinsam als Frauen der Unterschicht und privilegierte Frauen wie Katharina von Zimmern.

Der Frauenkreis, der das Katharina-Gedenken initiert hat, stöberte die letzte Äbissin bereits anlässlich des Zürcher Reformationsjubiläums in der Stadtgeschichte auf. 2019 kreiste fast alles um Zwingli.

Die Stellung der letzten Äbtissin beschreibt der Zürcher Reformationshistoriker Peter Kamber in einem unveröffentlichten Romanwerk zu den Täufern so:

«In prachtvollem langen Kleid einer Himmelskönigin gleich – das stach dem Zwingli in die Nase, aber noch wusste er kein Mittel, ihr diese Macht zu entreißen –, schritt sie umrahmt von kostbaren, vergoldeten Kerzen dem Zug der Nonnen und Beginen voran.»

Hinterher kamen bei Prozessionen die Zünfte der Kaufleute und Handwerker mit schweren brennenden Opferkerzen.

Himmelskönigin

Der Zenit der Macht und Bedeutung der Fraumünster-Abtei aber war zu dieser Zeit schon überschritten. Die Berner Historikerin Annalena Müller hat jetzt anhand von Archivmaterial ermittelt, dass die Autorität von Frauen der vorreformatorischen Kirche zwar erstaunlich gross war.

«Äbtissinnen sprachen Recht und schickten Soldaten in den Krieg.»

Im Fall des Zürcher Fraumünster aber habe  «kurzsichtiges wirtschaftliches Agieren der Verantwortungsträgerinnen» und «mangelnde Strategie» seit dem Spätmittelalter zum sukzessiven Niedergang geführt. [1] Mit anderen Worten: Es gab Mängel beim Management der Abtei.

Ob Katharina überhaupt selbst schaltete und waltete oder dies Verwaltern überliess, wissen wir nicht.

500 Frauennamen

In die Turminstallation für Katharina von Zimmern eingewoben ist ein etwa einen Kilometer langes hellgrünes Band. Es enthält 500 Namen illustrer und verdienstvoller Frauen der Zürcher Stadtgeschichte bis in unsere Tage. Die Künstlerin Meret Oppenheim findet sich auf dem Schriftband, die SP-Nationalrätin Liliane Uchtenhagen, die grüne Stadträtin Ruth Genner oder auch die Transfrau Michelle Halbheer.

Manche Namen kann man gut lesen, andere sind verdeckt oder hängen zu hoch.

Es wäre schön gewesen, die Namen in einem kollektiven Prozess zu ermitteln. Sie wurden aber von dem Verein, der hinter dem Katharinenturm steht, zusammengestellt und standen bis zur Eröffnungsfeier am 20. August unter Verschluss. (Zumindest Online darf man Ergänzungen vorschlagen.)

Rosa Wölkchen

Fallengelassen wurde das ursprüngliche Konzept der Architektin Debora Burri Marci, aus der Turmspitze rosa Wölkchen in den Züricher Himmel entweichen zu lassen: als Rauchzeichen für die Soft Power der Frauen. Gerade die heutige Reformierte Kirche mit ihrem hohen Anteil an Pfarrerinnen verfügt über diese Form von Macht.

In der Spezialseelsorge liegt der Frauenanteil inzwischen sogar bei 50 Prozent.

Die Wölkchen sind aber weggefallen – zu aufwändig und teuer. Vielleicht sind Frauen in Zürich doch nicht so mächtig?

[1] Annalena Müllers Studie «Monastic Women and Secular Economy in Later Medieval Europe, ca. 1200 to 1500» ist 2024 bei Routledge erschienen.

Foto: Fraumünster mit temporärer Turminstallation zu Ehren von Katharina von Zimmern; Johanna Di Blasi

Das weitere Programm des Katharinagedenkjahres 2024.

Dossier: RefLab-Beiträge zum Thema letzte Äbtissin und Bauernerhebungen vor 500 Jahren

 

1 Kommentar zu „Ein Geschlechterturm für Zürich“

  1. Esther Gisler Fischer

    Danke Johanna fürs Einfangen der auch von mir empfundenen Ambivalenzen in Zusammenhang mit dem Turm und dem Jubiläum! Den Begriff ‚Geschlechtergerechtigkeit‘ würde ich allerdings vorziehen und ‚Die Installation‘ ist bei der Göttin ‚Platzhalterin‘. #StoppdemgenerischenMaskulinum

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