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An Katharina scheiden sich die Geister

Am 8. Dezember 2024 jährt sich der Akt der Abgabe des Klosterschlüssels durch die Äbtissin Katharina von Zimmern an den Rat der Stadt zum 500. Mal. Für die Stadt Zürich ein Anlass, an die letzte Äbtissin des Fraumünster zu erinnern.

Eine eigens eingerichtete Homepage informiert darüber, dass der Akt der Klosterübergabe einen bedeutenden Wendepunkt in der mittelalterlichen Stadt- und Reformationsgeschichte darstellt:

«Die Reformation ohne Bürgerkrieg wird möglich.»

Tatsächlich verhinderte die letzte Äbtissin des Fraumünster 1524 mit dem Verzicht, katholische Truppen zu Hilfe zu holen, einen eidgenössischen Bruder- und Konfessionskrieg. Dieser Vorgang ist in der Geschichte reformatorischer Klosterauflösungen einzigartig.

Mit einem Akt der Abdankung verlieh im Rückblick eine mächtige Frau der Reformation Schubkraft. Danach traten Frauen für Jahrhunderte in die zweite Reihe zurück. Wer war Katharina und was genau wird im Jubiläumsjahr gefeiert?

Projektionsfläche

Obwohl humanistisch gebildet, hinterliess Zürichs letzte Äbtissin kaum Schriftliches. Nicht einmal ein Porträt hat sich von der einstmals mächtigen Kirchenfrau, Mäzenin und Zürcher Stadtherrin erhalten. In offiziellen Schriftstücken wurde sie oftmals nicht einmal namentlich genannt.

Das ist nicht untypisch für Frauen vergangener Zeiten. Selbst von Einflussreichen verloren sich häufig die Spuren. Denn geschichtliche Wirksamkeit wurde vorzugsweise männlichen Helden zugetraut.

Lange war die hochadlige Dame nur Insidern ein Begriff. Dies änderte sich mit dem Erstarken frauen- und genderspezifischer Forschung. Der «Zwingli»-Film machte sie im Reformationsgedenkjahr 2019 schliesslich breiter bekannt; er zeichnet Katharina als schillernde Diva.

Und weil vieles unklar und unbekannt ist, eignet sich Katharina von Zimmern auch für Mythen- und Legendenbildungen.

Was die Äbtissin antrieb und wie sie dachte, wissen wir nicht – und können viel spekulieren und hineinlesen.

Besonnene Diplomatin

Weitgehende Einhelligkeit herrscht darüber, dass Katharina von Zimmern mit bemerkenswertem diplomatischem Geschick tatsächlich ein übles Morden und Schlachten verhindert hat.

«Sie hat wahrscheinlich sehr vielen Menschen das Leben gerettet», meint der auf Zürcher Reformationsgeschichte spezialisierte Historiker Peter Kamber («Reformation als bäuerliche Revolution»).

«Sie allein hätte einen Krieg auslösen können.»

«Sie hat definitiv dazu beigetragen, dass es die Schweiz in der heutigen Form gibt», sagt Kamber im TheoLounge-Gespräch.

Wichtig für Zürich, Unterstützerin der Reformation

Ihre Bedeutung für Zürich ist enorm: Bereits Mitte der 1990er-Jahre schrieb der Kirchenhistoriker Peter Vogelsanger, Katharina von Zimmern gehöre zu den bedeutendsten Frauen aus Zürichs Vergangenheit.

Der hierarchisch-klösterliche Lebensstil war damals bereits ein Auslaufmodell. Nur noch wenige Nonnen lebten in der Abtei.

Der Kirchenhistoriker und Pfarrer lobte die Entscheidung Katharinas, die Abtei der Stadt «als reiche Finanzquelle» zu hinterlassen. Damit sei der Grundstein für das neuzeitliche und reformierte Zürich gelegt worden.

Eine positive Bedeutung für die Reformation ist also ebenfalls erkennbar.

Irene Gysel hat eine neue Biografie zu Katharina von Zimmern geschrieben, die in Kürze im TVZ-Verlag erscheint. Auf Anfrage sagte die ehemalige SRF-Sternstunden-Moderatorin:

«Katharina von Zimmern hat Zwingli im Fraumünster predigen lassen und die Reformation unterstützt.»

Die Übergabe einer Abtei an eine weltliche Behörde habe «Mut und Entscheidungsvermögen» erfordert. Dies sei geschehen, so Gysel, nachdem Katharina die geistlichen Aufgaben einer Äbtissin 28 Jahre lang «mit Energie wahrgenommen und die Abtei kompetent geführt, finanziell saniert und baulich neu gestaltet hatte».

Ikone für Feministinnen

Im Zuge der Festlichkeiten wird als temporäre Ergänzung der Skyline Zürichs ein vierzig Meter hoher «Katharinen-Turm» errichtet. Um ihn wird ein rund 1000 Meter langes Band mit Namen von 500 Frauen geschlungen, die sich seit Katharina von Zimmern in der einen oder anderen Weise für Zürich engagierten.

Die Historikerin Francisca Loetz von der Universität Zürich stellt fest, dass im Fall von Katharina von Zimmern der Fokus auf «die emanzipierte, selbstbewusste Politikerin oder die ehemalige Klosterfrau gelegt wird, die sich durch ihre Heirat ihr Recht auf Sexualität erobert hat».

Aus der mittelalterlichen Äbtissin wird damit «ein Beispiel für Vorläuferinnen der Frauenemanzipation gemacht, wie sie vielfach in der Frauengeschichtsschreibung im Stile der 1980er Jahre gesucht und gefunden werden.»

Seit den 1980er-Jahren werden in der Geschichte starke und selbstbewusste Frauen aufgespürt und als Wegbereiterinnen der Moderne gefeiert.

Tough Business Woman

Katharina von Zimmern, die Führungsperson, Proto-Reformatorin und lebenszugewandte Frau – dies sind Attribute, die Katharina modern erscheinen lassen. Noch als Äbtissin soll sie ihre erste Tochter zur Welt gebracht haben.

Allerdings kann gerade das mittelalterliche Frauenkloster, das damals wie die Beginenhäuser aufgehoben wurde, auch als Schutzraum angesehen werden: für Mystikerinnen und Frauen, die die Gesellschaft von Frauen suchten und für die, aus welchen Gründen auch immer, Ehe kein erstrebenswertes Lebensmodell war.

So betrachtet stünde die vorreformatorische und klösterliche Katharina für ein Frauenleben mit erstaunlichen Spielräumen, die Reformatoren jäh abwürgten.

Um welche Katharina geht es also?

Francisca Loetz weisst noch auf ein tieferliegendes Problem hin: die Tendenz, Personen aus der Geschichte selektiv herauszugreifen und in Formen des Personenkults zu überhöhen:

«Wenn man eine historische Person mit einem bestimmten Ereignis zu einer Jubiläumsfeier ‹vermarktet›, besteht immer die Gefahr, eine Geschichtsschreibung zu betreiben, in der große Männer (und mittlerweile auch Frauen) Geschichte machen, als ob sie dank ihrer Heldenhaftigkeit und Genialität losgelöst von ihrem historischen Kontext die ihnen gestellten Herausforderungen gemeistert hätten.»

Moderne Heilige

Gedenkjahre bieten aber umgekehrt auch die Chance, sich über Generationen- und Geschlechtergrenzen hinweg neu über Vorbilder zu verständigen – und blinde Flecken in der Geschichtserinnerung zu erkennen. Einschlisslich hagiografischer Ansätze, die dazu tendieren, Biografien zu glätten. Narrative nach dem Muster von Heiligenlegenden versuchen auszublenden, was nicht ins Bild passt.

Schon früh begann die Mythenbildung. Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger behauptete, dass Katharina die Übergabe der Abtei an Bedingungen geknüpft habe, darunter Armenfürsorge.

Das aber lässt sich nicht nachweisen. Vermutlich hätte es in der Macht der Benediktinerin gelegen, in der Übergabeurkunde der Abtei an den Rat der Stadt festzuschreiben, dass auch Armen und Geknechteten in der Stadt wie auf dem Lande ein Teil der immensen Erträge aus den abgegebenen Klostergütern zufliessen soll.

Dies tat Katharina nicht. Sie formulierte in dem Dokument auch keine Klosterkritik, wie Reformatoren sie damals predigten.

Bauernopfer

Die Übergabe des Klosterschlüssels 1524 durch Katharina von Zimmern erfolgte kaum aus freien Stücken. Vielmehr hatte sich die politische Lage brandgefährlich zugespitzt. Der Klosterauflösung war der legendäre Ittinger Sturm im Juli 1524 vorangegangen.

Die Erstürmung der Kartause nahe Zürich war Vorbote allgemeiner Bauernunruhen und dürfte die Äbtissin des Fraumünster erschreckt und geängstigt haben.

Die damaligen Bauern beriefen sich aufs Evangelium, auf die «Freiheit der Christenmenschen». In Deutschland bestand – anders als im Zürcher Raum – trotz Reformation die Leibeigenschaft weiter. Dort kam es bekanntlich vor 500 Jahren zu erbitterten Bauernkriegen.

Höhepunkt und Niederschlagung der Bauernkriege war 1525/1526.

Schweizer Bauern versuchten damals deutschen Aufständischen zu Hilfe zu eilen, aber Pässe wurden gesperrt.

Unveränderte Besitzverhältnisse

Kern reformatorischer Klosterkritik war gewesen, dass man Leuten nicht vom «Fägfyr» vorlügen und den um ihre Seele besorgten Christen und Christinnen das Geld aus der Tasche ziehen sollte.

Aus der früheren Kirchensteuer, dem Zehnt, aber wurden im Zuge der Reformation staatliche Steuern, von denen Städter befreit waren.

Der Reformationshistoriker Peter Kamber hält für Zürich fest: «Zwingli hatte befürchtet, seine Kirchenreform durch die ungehorsamen Bauern kompromittiert zu sehen, und es lag ihm ausserordentlich viel daran, den Beweis dafür zu erbringen, dass die Reformation die staatliche Ordnung und die überkommenen Besitzverhältnisse nicht gefährdet.»

Den enttäuschten Bauern wurde der Verweis auf die biblisch verbürgte Gehorsamspflicht gegenüber Obrigkeiten entgegengehalten, an die sich die Herren der Reformation wenige Jahre zuvor selbst nicht gehalten hatten.

In nachfolgenden Jahrhunderten beriefen sich Sozialreformer kaum noch auf die Bibel. Über die auch politisch befreiende Dimension des Evangeliums wuchs Moos.

Machtkritischer Blick

Während eine ältere Generation in Katharina von Zimmern eine Feministin erkennen will, blicken jüngere, an Macht- und Postkolonialismustheorie Geschulte kritisch auf die Feudaläbtissin.

Katharina von Zimmern bezog nach der Klosterauflösung eine auffallend hohe Rente auf Lebenszeit von der Stadt.

Sie führte weiter ein fürstliches Leben und nichts weist darauf hin, dass sie die legitimen Anliegen der niedrigeren Stände unterstützt hätte. Dies trifft freilich nicht nur auf sie allein zu.

Vor allem auf dem Land herrschte damals wegen steigender Abgabepflichten Perspektivlosigkeit. Das trieb Bauernsöhne in die Arme von Söldneragenten wie Eberhard von Reischach. Eben diesen Mann hatte Katharina von Zimmern kurz nach ihrem Ausscheiden aus dem Kloster geheiratet.

Im Rückblick erscheint Katharina von Zimmern als eine beeindruckende, aber eben auch ambivalente Figur.

 

Auch eine aktuelle Folge der TheoLounge widmet sich den Ereignissen von vor 500 Jahren: Peter Kamber – «Die Bauern und die Äbtissom». Peter Kamber ist Historiker und Romanautor. Protagonist seines neuen, vor der Veröffentlichung stehenden Romans ist mit Conrad Grebel ein Zürcher Ratsherrensohn und Mitbegründer der Täuferbewegung.

 

Programm im Katharina-Jubiläumsjahr

Abbildung: Bearbeitete Vorlage aus Wikimedia

Musik im Podcast: Agnus Dei X Kevin MacLeod (incompetech.com), Licensed under Creative Commons: By Attribution 3.0 License, http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/

4 Kommentare zu „An Katharina scheiden sich die Geister“

  1. Ein guter Überblick über dir Forschungsdiskussion – aber vielleicht nicht so gern gesehen? Noch immer will man in Zürich vor allem jubeln über die Reformation…

  2. Spannend wäre herauszufinden, ob und wie Katharina von Zimmern und Agatha Studler einander begegnet sind. Agatha Studler war eine eigenständige Frau, dreimal verheiratet, lebte ab den 1530er Jahren mit Ehemann und Hunden im Haus zur Meerkatze (Chamhaus) an den unteren Zäunen – in unmittelbarer Nähe also zu Katharina von Zimmern – und besass grossen Reichtum. In einem ersten Prozess wurde sie 1539 der „Hexerei“ gegenüber ihrem Ehemann bezichtigt, jedoch freigesprochen, später aber erneut angeklagt und 1546 in der Limmat ertränkt. Ihr Reichtum ging an die Stadt. Eine im reformierten Zürich unliebsame Frau, die in der Geschichtsschreibung komplett vergessen ging, bis Otto Sigg die Gerichtsakten 2019 publizierte.

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