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 Lesedauer: 4 Minuten

Die Wut der Frauen

Selbstbild und Fremdwahrnehmung

In meinem Selbstbild bin ich ein Mann, der praktisch alle feministischen Anliegen teilt. Nicht alle sind mir gleich wichtig aber in den meisten Fällen finde ich sie gut. Ich finde, dass der Gender-Pay-Gap und alle anderen frauenfeindlichen Diskriminierungen überwunden werden müssen, Sexismus scheisse ist und wir punkto Gleichstellung auch nebst den juristischen Aspekten kulturell dringend vorwärts kommen müssen. Ich bin Vater einer Tochter und eines Sohnes. Beiden wünsche ich faire Voraussetzungen.

Durch die Rückmeldungen auf meinen Beitrag habe ich gelernt, dass ich in den Augen vieler Leserinnen ein typischer Vertreter hegemonialer Männlichkeit, ein potentieller Gefährder sexueller Integrität von Frauen und ein Profiteur von patriarchalen Strukturen bin. Ich stehe nicht nur im Verdacht sexistisch zu handeln, zu denken oder Sexismus zu kaschieren, sondern stehe darüber hinaus unter einer Art Kollektivschuld. Qua Geschlecht, Bildung und wirtschaftlichem Status. Sie haben meinen Text als eine Verhöhnung der Opfer sexueller Gewalt oder sexistisch motivierter Diskriminierung durch einen weissen Mann gelesen. Eine Leserin schrieb mir, dass sie nicht zu der „studierten Elite“ gehöre mit „dickem Geldbeutel“ und nicht so differenziert auf meinen Text eingehe, wie ich mir das wünsche. Frauen hätten aber nun mal viel Leid zu beklagen wegen des Patriarchats und es sei verständlich, dass das ein Mann nicht sehen könne. Ich solle diese Themen doch denen überlassen, die wirklich unterdrückt seien. Als „Heterocismann“ wisse ich kaum, was Unterdrückung sei.

Reflex

Meine erste innere Reaktion war zynisch: „Na, viel Glück damit!“, dachte ich mir. Aber genau dieser Gedanke und dass ich ihr Anliegen und ihre Wut einfach so wegwischen kann, offenbarte mir den wahren Kern ihrer Kritik, dem ich mich nicht entziehen kann: Ich habe wirklich nichts zu verlieren. Ich bin nicht bedroht durch das Patriarchat und schon gar nicht durch diese Leserin. Und trotzdem reagiere ich dünnhäutig und sogar etwas wehleidig. Ich kann einfach sagen, dass „die Gute“ halt meinen Text nicht verstanden hat, kann es auf ihre Bildung schieben, kann sie mir als Opfer vorstellen, als eine – die anders als ich – zu kurz gekommen ist. Und plötzlich sitze ich ganz in der Nähe vom gröhlenden Stammtisch, der raunt: „Na, die müsste halt mal wieder…“

Sie hat Recht: Ich weiss wirklich nicht was Unterdrückung ist. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass ich wüsste, wie es sich anfühlt, selbst unterdrückt zu werden. Und da ist es verständlich, dass sie in mir den kolonialen Kartenzeichner einer geistigen Welt erkennt, der sagen darf und bestimmt, wo die Grenzen verlaufen und wer dazugehört. Und wir kommen so nicht weiter: Denn noch indem ich das einsehe, ordne ich sie schon wieder ein, gebe ihr einen Platz und erkläre ihre Perspektive.

Opfer

Eine verbreitete Reaktion angesichts dessen ist es, sich selbst als Opfer zu inszenieren: „Ich habe dieser Frau nichts getan. Sie kennt mich gar nicht. Ich werde zu Unrecht beschuldigt.“ Das stimmt zwar vielleicht, ist aber nicht besonders hilfreich. Man(n) macht dann das Spiel um Schuldzuschreibungen und Benachteiligungen mit. Am Schluss redet man sich um Kopf und Kragen. Und es klingt ein bisschen sehr nach „mimimimi“.

Viel spannender ist nämlich die Frage: Weshalb triggert es mich so sehr, dass diese Person findet, dass ich aus Gründen meines Geschlechts oder meiner Herkunft nicht darüber sprechen soll, wie Ungerechtigkeit bekämpft werden kann? Ganz offensichtlich: Weil ich es nicht gewohnt bin, dass mir irgendjemand den Mund verbietet. Sie dagegen kommt genau von der Erfahrung her, übergangen und nicht gehört worden zu sein.

Aufgaben

Für mich heisst das, dass ich durch ihre Nachricht die Chance habe, zu beobachten, dass ich nicht benachteiligt, unterdrückt oder sonst irgendwie marginalisiert werde. Ich muss meine Identität nicht im Gegenüber zu einer mächtigen Gesellschaftsgruppe konstruieren, die das Sagen hat. Dafür muss ich mich nicht schämen. Und klar, ich darf ruhig weiterschreiben und sprechen. Das verbietet mir ja niemand. Ich werde sogar dafür bezahlt.

Vielleicht findet sich ein guter Weg nicht in der Festschreibung dessen, wer worüber sprechen darf oder nicht, sondern in einer selbstregulativen Haltung, es nicht hochmütig und nicht höhnisch zu tun. Dass ich dann insgeheim immer noch hoffen mag, dass sie für ihr Leid auch nichtsexistische Motive entdeckt, kann ich ja für mich behalten.

 

Photo by Engin Akyurt on Unsplash

6 Kommentare zu „Die Wut der Frauen“

  1. Ich finde, genau solche Einstellungen wie die deiner Leserin zementieren die Rollen „Frau“ und „Mann“ mit ihren jeweiligen Zuschreibungen und verhindern, dass man sich stattdessen als Menschen begegnet – die sich möglicherweise sogar gemeinsam für dasselbe Ziel einsetzen.

    1. Danke, genau so ist es. Ich mein:

      „Weshalb triggert es mich so sehr, dass diese Person findet, dass ich aus Gründen meines Geschlechts oder meiner Herkunft nicht darüber sprechen soll, wie Ungerechtigkeit bekämpft werden kann?“

      Himmelherr*fraugott, weil es einen vernunftbegabten Menschen triggern MUSS, wenn jemandem qua biologischer oder ethnischer Merkmale die Fähigkeit und oder Berechtigung zum Diskurs abgesprochen wird. Es muss schnurzpiepe sein, ob und weshalb diese Frau zu dieser Forderung kam, ob sie also wütend oder tatsächlich unterdrückt ist; diese Angriffe auf den freien Diskurs sind schlichtweg zurückzuweisen.

  2. Andreas Schweizer

    Ein super wertvoller Text, so vielschichtig, so komplex und so unprätentiös. Herzlichen Dank dafür.

    (ich selbst versuche empfundene Über-Reaktionen gegen mich als Mitschuldigen so einzuordnen, dass ein Überdrehen nur logisch und normal ist, nach all den Jahrtausenden unter der Patriarchatsstruktur)

  3. Sicherlich kann …….einiges……als etwas angesehen werden, was einige Frauen unter Toleranz und Feminismus verstehen, und als Einzelepisode abgehakt werden. Doch so einfach ist es nicht. Die sogenannte „dritte Welle des Feminismus“ hat sich, anders als die vorherigen, bei vielen Männern und Frauen gleichermaßen als etwas herausgestellt, das von der Grundidee, nämlich der freien Wahlmöglichkeit für Frauen, wie sie ihr Leben gestalten wollen, abgerückt ist und stattdessen frühere Verhaltensvorschriften durch neue zu ersetzen versucht (bzw. diejenigen angreift, die sich diesen nicht anschließen).

    Die Art und Weise, wie dabei schon auf simpelste Bezeichnungen wie „Hubbie“ (eventuell vergleichbar mit Göttergatte, Kleidung, Make-Up und dessen Nutzung oder unrasierte Beine – nicht nur werden teilweise banale Dinge zu einem Anzeichen für oder gegen Feminismus aufgebläht – es gilt, je nach Gusto, dann auch, die Agierenden wahlweise rigoros anzufeinden oder rigoros zu bejubeln. Die Grauzonen sind genauso verschwunden wie die Fähigkeit, sich freundlich auszudrücken.

    Die „Shitstorms“, wie sie heutzutage heißen, was im Endeffekt nichts anderes bedeutet als ein Drauflosstürmen als Gruppe, um den anderen mit Beleidigungen und mehr zu begegnen, sind trauriger Alltag geworden und es gilt ein „für oder gegen uns“. Gerade bei vielen, die sich als Feministinnen sehen, sind dabei andere Frauen, so sie gegenteilige Ansichten vertreten, sofort zum Feind gehörig und werden dementsprechend angegangen. Dabei wird nicht nachgefragt, sondern nachgetreten, nicht diskutiert, sondern gedisst. Statt mehr Toleranz zu zeigen, gilt die Intoleranz denen, denen sie zur Last gelegt wird, die insofern ja „selbst schuld“ sein sollen.

    Diese Verhaltensweisen sind es, die letztendlich den Feminismus auch immer stärker in Verruf bringen. Eine Bewegung, die sich einst für mehr Toleranz und Miteinander einsetzte, ist nunmehr von vielen nur noch Grund dafür, jene Verhaltensweisen zu zeigen, die einst abgelehnt wurden und deren Abschaffung Ziel war. Dies führt aber dazu, dass der Rückhalt schwindet und die ursprünglichen Ziele immer schwerer zu erreichen sind. Wenn schon harmlosen Frage ob wohl andere Ehefrauen, die ihren „Hubbies“ auch den Lunch zur Arbeit zubereiten, Rezepte hätten, zu einem Dauerfeuer an Anfeindungen führt, wie soll sich dann eine gemeinsame Basis für schwerwiegende Probleme und deren Lösungen finden lassen?

    Der moderne Feminismus sollte zurück zu seinen Wurzeln finden und vor allen Dingen auch wieder Werte wie Toleranz und Akzeptanz hochhalten, vor allen Dingen aber sollte er eines: zuhören, nachfragen und konstruktiv und ohne einschüchternde Techniken agieren. Alles andere ist kontraproduktiv.

    Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Wenn-ueberzogener-Feminismus-ins-Gegenteil-umschlaegt-3861912.html?seite=all

    Gern mal antizyklisch kreiseln…. 😉

    1. Das Argument macht nur dann Sinn, wenn der Feminismus früher „nett“ und „versöhnlich“ gewesen wäre – das war die Bewegung aber von Anfang an nicht. Und natürlich gab es damals und gibt es heute unterschiedliche Vorstellungen davon, was „Frau sein“ heißt. Die Feminist*innen wurden damals von Frauen beschimpft und haben selbst geschimpft, und so ist das auch heute noch.
      Deshalb finde ich den Ansatz von Stephan deutlich sympathischer als deinen; der ja durchaus Gemeinsamkeiten erkennt durch Selbstreflexion -statt der anderen Seite vorzuweisen, sie sei nicht auf Gemeinsamkeit aus.

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