Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 3 Minuten

Die Hitze lässt mich lauwarm

Nadeln im Gehirn

«Ähm Anna, die Hotdog Brötli verbrennen gerade …»

Er sagt es ganz ruhig. Ohne Hektik. Doch die Worte des Jugendlichen schiessen wie Nadeln durch mein Gehirn und lassen mich panisch vom Sofa aufspringen. Ich renne in die qualmende Jugendraumküche und sehe mit einem Blick, dass unser Znacht wohl low-carb ausfallen wird.

Das heissteste Jahr seit Messbeginn

«Ähm Anna, die Erde verbrennt gerade.»

Die Schlagzeilen, die in meinem Feed auftauchen, bemühen sich nicht darum, ruhig zu wirken. «Jetzt ist es offiziell: Das Jahr 2023 war global gesehen das heissteste Jahr seit Messbeginn (1880).» Ausrufezeichen. Mindestens vier davon.

Ich erwarte Nadeln in meinem Gehirn. Oder dass ein kalter Schauer meine Nackenhaare aufstellt und sie in kleine Eiszäpfchen verwandelt. Doch das einzige Signal, das mein Nacken sendet, ist eine leichte Verspannung. Weil ich schon zu lange auf dem Sofa sitze und in mein Handy starre.

Ich bleibe lauwarm

Eigentlich müsste ich jetzt durch die Strassen rennen, alle Passant:innen an den Schultern rütteln und schreien:

«Glaubst du es jetzt endlich?!»

Aber nicht einmal meine kleine Zehe zieht mich in Richtung Haustür. Ehrlich gesagt: Diese Messwerte lassen mich kalt. Oder lauwarm.

Weltklimakonferenzen seit Walkman

Wenn jemand Alarm schlägt, schrecke ich hoch, weil plötzlich etwas in mein Bewusstsein dringt, das vorher nicht da war. Doch die Rekordtemperaturen sind kein alarmierender Hotdog-Brötli-Qualm. Sie sind eher wie eine Verspätungsdurchsage der Deutschen Bahn. Oder wie jede Pointe, die mit «DB» endet: Erwartbar. Wir kennen die Statistiken der vergangenen Jahre. Die erste Weltklimakonferenz fand im selben Jahr statt, in dem Sony den ersten Walkman verkaufte. Seither wurden die Prognosen nicht besser, nur genauer.

Welche Emotion wird erwartet?

Die Schlagzeilen scheinen von mir zu erwarten, überrascht hochzuschrecken oder wütend zu werden, weil zu wenig gegen die Klimakrise unternommen wird. Das kann ich leider nicht bieten. Gleichgültig scrolle ich über die News, aber das fühlt sich falsch an. Wenn die Welt messbar wärmer wird, möchte ich auch eine Temperaturveränderung in meinen Emotionen spüren – nur welche?

Zum Abschied googeln

In diesem Jahr versuche ich es mal mit Traurigkeit. Ich google die Liste der bedrohten Tierarten und verabschiede mich vom atlantischen Lachs und der grünen Meeresschildkröte. Ich denke an die Menschen der panamaischen Insel Gardi Sugdub, die auf das Festland übersiedeln müssen. In meiner Herzgegend tut sich was. Die Trauer drückt mich noch tiefer ins Sofa hinein. Diese Emotion motiviert mich zwar nicht direkt dazu, Klimaaktionen zu planen. Aber sie tut gut.

Abschied zu nehmen bedeutet nicht, dass ich aufgebe. Es ist mein Versuch, die Krise ernst zu nehmen, obwohl ich nicht mehr alarmiert aufschrecke.

 

Foto von Vika Wendish auf Unsplash

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