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 Lesedauer: 7 Minuten

Credit Suisse: Vertrauen ist gut, Verantwortung ist besser.

Ich habe gestern stundenlang News- und Hintergrundsendungen gehört. Durch alle Parteien werden Regulierungen gefordert.

Gestandene Wortführer aus der FDP und der Mitte fordern strengere Regeln für den Finanzplatz Schweiz.

Roger Köppel höchstselbst plädiert auf Twitter gar dafür, die Bank zu verstaatlichen.

Professoren – auch aus St. Gallen – klagen das Boni-System an, das falsche Anreize setze. Einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Credit Suisse sprechen über die Verwaltungsräte und Geschäftsführer der letzten Jahre, wie man es sonst nur von den Stammtischen kennt. Sie sind die Opfer eines fehlgeleiteten Systems.

Wie viele von ihnen werden in den kommenden Wochen ihre Stelle verlieren? 10’000 oder 15’000? Oder sind es gar mehr?

Es ist wie in einer Postapokalypse: Rückblenden zeigen, wie die Mehrheit jahrelang in die Irre gegangen ist. Es gab ein paar Rufer:innen in der Wüste. Man hat sie nicht gehört. Die Banken-Krise als Vorgeschmack auf die Klima-Krise?

Vertrauen und Komplexitätsreduktion

Auch nach mehreren Stunden Einschätzungen, Experteninterviews und Einordnungen verstehe ich immer noch nicht, wie es genau zu diesem Zusammenbruch gekommen ist.

Immer wieder ist von «Vertrauen» die Rede. Das Vertrauen habe gefehlt. Man hätte drastischer und viel früher eingreifen müssen.

Man hätte die toxischen und die kontaminierten Geschäftsbereiche abstossen sollen. Das erst hätte Vertrauen der Investoren ermöglicht. Klingt logisch. Die schlechten Teile entfernen, damit der gesunde Organismus wachsen kann.

Geht leider nicht, erklärt der Experte, der das vorschlägt, gleich selbst: Wenn die Credit Suisse das getan hätte, wäre ihr Aktienkurs gesunken. Das hätte das Vertrauen wiederum zerstört.

Ein anderer Experte erklärt den Niedergang der Credit Suisse mit besonders ungünstigen Umständen. Die Inflation habe die Bank erst in diese Lage gebracht. Aber auch das mag man nicht so recht glauben:

Eine Bank, die zwei Weltkriege, die Ölkrise und die Immobilienkrise überstanden hatte, strauchelt jetzt über ein bisschen Inflation?!

Und immer wieder werden die Bonus-Zahlungen genannt. Sie stehen für den systemischen Fehler einer falschen betriebswirtschaftlichen Anreizkultur und – was noch viel besser ist – für einen Fehler, den wir alle verstehen: Gier.

Moral als Ventil

Verstehen Sie, weshalb eine Bank, die mindestens doppelt so viel wert sein dürfte, wie ihr Aktienkurs vorgibt, für die Hälfte dieses Wertes verscherbelt wird? Der Bundesrat hat dies mit Berufung auf Notrecht durchgesetzt. Die UBS wird dadurch zu einem gigantischen Koloss:

Die Bilanzsumme der UBS ist doppelt so hoch wie das BIP. Doppelt so hoch wie alles, was die Schweiz in einem Jahr erwirtschaftet!

Verstehen Sie, weshalb der Staat diesen Deal so grosszügig absichert? Im Maximum kann die UBS 5 Milliarden durch die Übernahme verlieren. Danach springen die Steuerzahler:innen ein. Weil die Credit Suisse zum halben Preis zu haben war, trägt die UBS ein Gesamtrisiko von 2 Milliarden.

Dieses vergleichsweise geringe Risiko ist aber eh egal. Wenn die Credit Suisse «too big to fail» war, ist das die UBS gleich dreifach. Sie hat jetzt alle Karten in der Hand: Sie wird geführt wie eine Aktiengesellschaft. Sie ist abgesichert durch den Staat.

Und das Beste daran: Die UBS hat diesen Vorteil nicht durch irgendwelche zwielichtigen Verbindungen erreicht. Die Finanzmarkt-Aufsicht und der Bundesrat haben sie angebettelt, dieses Blatt aufzunehmen. Und sie konnte die Konditionen diktieren. Im Interesse ihrer Aktionäre.

Verstehen Sie, weshalb der Bundesrat nicht die Too-big-to-fail-Regeln angewandt hat, die im Nachgang der Banken-Krise von 2008 – damals musste die UBS gerettet werden – aufgestellt wurden? Diese sehen vor, eine systemrelevante Bank im Krisenfall zu zerlegen und die besonders schlechten Unternehmensteile zu liquidieren.

Die Antwort ist immer die selbe:

Es gab keine Alternativen. Es war alternativlos, die Bank an die Konkurrentin zu verscherbeln, alternativlos, diese neue Mega-Bank durch Steuergelder abzusichern, weil die Gesetze und Regeln uns in diesem Ausnahmefall nicht vor der Katastrophe bewahren können.

Das ist der eigentliche Skandal: Wir müssen mehr Feuer legen, um den Brand zu löschen. Es gibt nichts zu verstehen. Wir können es nur hinnehmen. Und das fällt leichter, wenn man aufgibt, das Problem verstehen zu wollen. Man würde daran irre. Statt das System in Frage zu stellen, dürfen wir uns über die Gier der Manager aufregen.

Eine gescheiterte Idee

Der frühere Chefökonom der UBS, Klaus Wellershoff, hat eine tiefe, schöne und beruhigende Stimme. Mit dieser Stimme hat er am Montag wiederholt betont, dass wir Vertrauen haben müssen, dass es zu dieser Lösung keine wirkliche Alternative gegeben habe. Da hätten gute und kluge Leute entschieden. Am Sonntag habe es schlicht keine Alternativen mehr gegeben. Ich neige dazu, ihm zu glauben.

Manuel Ammann, Professor für Finanzen an der Universität St. Gallen, sieht in der faktischen Staatsgarantie das geeignete Mittel, um das Vertrauen in den Finanzplatz Schweiz wieder herzustellen.

Beides zusammen mutet seltsam an.

Während Jahrzehnten wurde uns gepredigt, dass der Freie Markt besser wirtschafte als der Staat.

Dieser solle so wenig wie möglich regulieren, um ja nicht die Banken auszubremsen, die mittels Investitionen Gewinne erzielen müssten. Im Bankensektor wurde alles durch den Freien Markt erklärt: Lohnschere, Frauenanteil in der Geschäftsleitung, Bonuszahlungen.

Jetzt plötzlich erfahren wir, dass der Freie Markt ohne Staatsgarantien nicht funktioniert.

Er kann offensichtlich nicht besser wirtschaften als der Staat, sondern ohne Staat gar nicht wirtschaften.

Das wäre gar nicht so schlimm. Aber man sollte aufhören, den ganzen Mechanismus zu verklären und das affektiert-religiöse Gehabe gegenüber der Finanzwirtschaft aufgeben. Wir wissen nicht genau, wie solche Krisen entstehen. Banken sind sehr komplex und unterliegen komplizierten Wechselwirkungen.

Aber wir wissen, dass letztlich alles auf die grosse Wette hinausläuft, ob eine Bank sicher ist oder nicht.

Man kann ja sogar regelrechte Wetten auf Banken abschliessen. Und seit 2008 haben wir gelernt, dass nur Staaten und ihre Bankenrettungspakete diese Sicherheit garantieren können. Folglich sind systemrelevante Banken de facto keine privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern politische Gebilde, die politisch gesteuert werden.

Sekundenschlaf und Vogel Strauss

Im Moment sind wir mit den Grossbanken unterwegs, wie ein Lastwagenfahrer im Sekundenschlaf. Die Politik döst vor sich hin, bis sie eine Leitplanke streift. Sie schreckt hoch, wundert sich, dass der Lastwagen noch immer nicht selbstfahrend ist, manövriert überhastet, um einen schlimmen Unfall zu vermeiden, nur um kurz darauf wieder einzunicken.

Wir träumen davon, dass dieser Lastwagen so gross ist, dass der schiere Schrecken vor einem Unfall, diesen verhindern wird. Wir murmeln «Too big to fail…» bis zur nächsten Leitplanke.

Wenn Banken, wie das jetzt alle Experten behaupten, von Vertrauen leben, müsste ihr Geschäftsmodell auf Verantwortung beruhen. Wir sollten anerkennen, dass diese Grossbanken ihr Handeln gar nicht verantworten können. Nicht weil einzelne gierig sind. Sondern weil die Logik des Wachstums nicht kompatibel ist mit der Erzeugung langfristigen Vertrauens.

Wer jedes Quartal vor seinen Aktionär:innen Wachstum demonstrieren muss, kann gar keine Verantwortung tragen. Er kann nur schuld sein.

Es gibt streng genommen nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir verstaatlichen diese Mega-Banken. Dann müssen ihre Gewinne aber auch unter politischen Gesichtspunkten verteilt und investiert werden. Oder wir verbieten Konstrukte, die zu gross sind, als dass sie scheitern dürfen. Dann muss man sie nicht im Krisenfall zerlegen, absichern oder verscherbeln, sondern kann sie getrost dem Freien Markt überlassen.

Wir werden wohl den dritten Weg gehen: Die UBS staatlich absichern, sie aber «frei» wirtschaften lassen. Und in ein paar Jahren werden wir ganz entsetzt aufschrecken, wenn der dreimal so grosse Ultra-Brummi-Schweiz uns alle gegen die Wand fährt.

Bis dahin wird das EFD die dann zuständige Bundesrätin sicher in der alles entscheidenden Frage gebrieft haben, ob die Bonis jetzt noch ausgeschüttet werden dürfen oder nicht.

 

Foto von regularguy.eth auf Unsplash

5 Kommentare zu „Credit Suisse: Vertrauen ist gut, Verantwortung ist besser.“

  1. Na ja, wenn Bankenchefs sagen, wie die Kirche zu führen ist, kommts nicht gut, und umgekehrt auch. Der Text ist voll von hingeworfenen Sätzen und Halbwahrheiten. Beispiel: was wäre mit einer Verstaatlichung gelöst? Die Geschichte zeigt, dass auch Staaten unverantwortlich handeln können, und dass gegen sie erfolgreich gewettet werden kann.
    Auch kleinere Banken können Finanzlöcher hinterlassen, siehe Berner Kantonalbank, etc.
    Sinnvoller ist für mich der Vorschlag, das Eigenkapital zu stärken, und es wäre interessant zu hinterfragen, warum dies nicht geschieht. Meine Vermutung: ausländische Banken hätten dann einen grösseren Einfluss.
    Und: was ist mit der Logik des Wachstums? Die UBS zeigt ja gerade, dass man mit Schrumpfung im Vergleich erfolgreicher sein kann. Hier werden billige Clichés bedient – schade!
    Warum schreibt ihr nicht was zu Vertrauen? Da sind Theologen doch Fachleute? Und auf Vertrauen basiert alles, selbst die Mathematik (Axiome).

    1. Lieber P.F.,
      nun ist ja die Credit Suisse nicht über zu geringes EK gestolpert, oder? Und Vertrauen herzustellen, ist kein Zaubertrick, sondern beruht darauf, dass man etwas entweder versteht und nachvollziehen kann oder dass es funktioniert. Wir verstehen Geld nicht aber es funktioniert. Fallschirme funktionieren meistens, und alle die sie nutzen, verstehen sehr genau, weshalb.
      Genau das geht bei der CS-Bankenkrise nicht.
      Ich habe aber keinesfalls für die Verstaatlichung plädiert, sondern für die Anerkennung der Tatsache, dass weder Freier Markt noch Staat solche Krisen verhindern können. Das ist nicht zynisch gemeint. Wir sind immerhin gut darin, die Krisen relativ zu begrenzen.
      Mit besten Grüssen, Stephan Jütte

      1. Lieber Stephan, lass Dich von P.F. nicht aus der Ruhe bringen. Mit zwölf Jahren Erfahrung im mittleren Bankmanagement kann ich Dir sagen, dass Du nichts falsches geschrieben hast. Wenn jeder Schweizer durch eine Bankübernahme 15 Tausend Franken Schulden und Garantien übernimmt, geht das jeden etwas an, auch Theologen, reflab und eben Christen.

  2. Lieber Stefan, für mich eine grossartige Sonntagmorgen-Lektüre zu einem himmeltraurigen Thema. Herzlichen Dank! Es ist so schwer verständlich, dass sich der aufgeklärte Mensch nicht mehr gegen die Ungerechtigkeit (Gewinne an die Privaten – Verluste an die öffentliche Hand) wehrt. „Die Aktiengesellschaft gleicht der modernen Demokratie: In der Fiktion regiert die Mehrheit, in Tat und Wahrheit ein kleiner Klüngel von Machthabern!“ ; dieses Zitat aus einer Rechtsvorlesung in jungen Jahren hatte mich zur Illusion verleitet, die Beteiligung aller an den politischen Entscheidungsprozessen würde sich Schritt für Schritt durchsetzen und damit die Welt in eine umfassende Demokratie verwandeln. Welch ein Irrtum! Trotzdem: Ich werde, jetzt erst recht, weiterhin brüllen, kämpfen, widerstehen! Und du doch hoffentlich auch!? Lieber Gruss – Franz

    1. Lieber Franz,
      herzlichen Dank! Du sprichst in meinen Augen das Grundproblem an: Was tun wir, nachdem wir begriffen haben, dass unsere Geschichte nicht die Erzählung einer fortschreitenden Demokratisierung unserer Lebensbereiche sein wird…?
      Diese Frage begegnet uns auf vielen Ebenen. Herzlicher Gruss, Stephan

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