Mit kaum etwas anderem lassen sich Gemüter so verlässlich in Wallung bringen wie mit ungewohnten Verbindungen von Religiösem und Geschlechtlichem. So war es zuletzt wieder nach der Eröffnungsshow der Olympischen Spiele in Paris zu erleben: Rechtskatholiken wollten da einen Drag Queen-Christus erkannt haben. Bei der folgenden, unnötigen Debatte zeigte sich erneut, wie wenig die selbsterklärten Verteidiger des christlichen Abendlandes von ihrer eigenen Tradition wissen.
Allerdings würde auch ihren aktivistischen Kontrahenten mehr historische Bildung gut tun. Denn wer einen schwulen Jesus malt, wie zur diesjährigen Semana Santa in Sevilla, oder in einer Predigt «Gott ist queer» ausruft, wie beim letzten Kirchentag, ist weniger innovativ, als er meint, sondern ein spätes Glied einer langen und verwickelten Traditionskette.
Wie gut, dass Anselm Schubert, evangelischer Kirchenhistoriker in Erlangen, in seinem neuen Buch mit dem schönen Titel «Christus (m/w/d)» nun für Aufklärung sorgt. Gelehrt, gelassen und gut lesbar führt er die höchst unterschiedlichen Geschlechterkonzepte aus Antike, Mittelalter, früher Neuzeit und Moderne vor, mit denen Gläubige sich ein Bild ihres Christus gemacht haben. So kurios viele seiner Funde anmuten, bemüht er sich doch stets um eine faire Deutung.
In den vergangenen Jahrzehnten brachten der feministische und danach der genderpolitische Einspruch gegen die Männlichkeit Christi erheblich Umwälzungen. Aus ihnen folgten Versuche, das Christusbild zu feminisieren oder zu «queeren». Schubert erkennt darin neue Gestalten einer imaginativen Geschlechtertheologie, die eine lange Vorgeschichte hat.
3 Gedanken zu „Anselm Schubert: Der diverse Christus“
“Nach der Eröffnungsshow der Olympischen Spiele in Paris. . .zeigte sich erneut, wie wenig die selbsterklärten Verteidiger des christlichen Abendlandes von ihrer eigenen Tradition wissen.” (linernotes) das sagte ich mir letzthin auch bei der verurteilung eines bildes.”was ihr einem dieser geringsten angetan habt, habt ihr mir angetan.” (vgl mt 25.45) christus offenbart sich als durch geschosse durchlöchertes kleinkind. das ist inkarnation. es ist die freiheit der kunst – sanija ameti wird in anderem zusammenhang “künstlerin” genannt, und ich unterstelle nicht, dass sie das bild so vertsteht – , auf uns bisher unbekannte aspekte aufmerksam zu machen. das eröffnet mir den zugang zu seiner offenbarung als diskriminierte queere person. eine andere frage ist, ob er sich als erotisch und sexuell attraktiv offenbart. das führt zum thema “gott als sexualpartner*in.” da gehe ich aber einen andern weg. das letzte wort des neuen testaments ist nicht christus, sondern “alles in allem”. (1kor 15.28) und das von paulus vereinnahmend vorsangestellte, im griechischen akzentuiert männliche “theόs”, wandert gemäss der logik der drei worte in sie hinein und existiert dort nicht als referenz, sondern als wahrheitsmoment. in den achzigern sagte eberhard jüngel in der volesung: “gott ist vater, und hat als solcher mütterliche züge.” (zit adg) so sehr ich bei diesem professor – wie er im unterschied zum dozenten akzentuiert verstanden werden wollte – gelernt habe: hier trennten sich unsere wege. wir befinden uns ohnehin in einer metaphorisch sprache: gott ist wie ein vater – und eben auch wie eine mutter. anselm schubert sagt, jesus als sexualpartner in bestimmten ausprägungen des vom mainstream abweichenden denkens sei metaphorisch und nicht eine wirkliche erfahrung. das in metaphorischer sprache formulierte hat aber im anders nicht sagbaren intendierten eine enstprechung: die wirkliche erafhrung des intendierten. “was ihr nicht habt, habt ihr hundertfach.” (mk 10.30 auf das elementarste reduziert) das entspricht dem ganannten letzten wort. enthaltsam oder asexuell kann demnach heissen, kein*e sexualpartner*in im allgemein verständlichen sinn, aber durchaus eine sexuelle vereinigung mit der*m hundertfachen. die frauen haben weichere haut als die männer. wäre dem nicht so, wäre ihr bauchhaut zu wenig dehnbar, um ein kind austragen zu können. wollen wir die fortflanzung nicht vollends der robotik übergeben, kommen wir um die anerkennung dieses biologischen unterschieds nicht herum – es sei denn, wir geben die reproduktion auf oder reduzieren sie, was angesichts der aktuellen weltlage beides nicht voll abwegig wäre. sinnvoller erscheint mir aber die auslegung und auslebung von 1kor 15.28, die freie beziehung zur sexualität und den entprechenden partner*innen. die reformation können wir da nicht ganz vergessen: luther anerkannte die sexuelle vereinigung als exemplarisch für erkenntnis. (gen 4.1) dass es in der dogmatischen tradition nie ganz soweit kommt, halte ich für eine entscheidende ursache der sexuellen gewalt, soweit sie aus einer mangelsituation kommt. wer keinen vater hat, hat doch einen. aber wer keine*n hat, hat keine*n. habe mal gelesen, 60% der pädophilen könnten auch mit erwachsenen, haben aber keine*n. wäre ihnen im sinne einer konkreten erfahrung bekannt, dass, was sie nicht haben, hundertfach haben, hätten wir dieses problem nicht. eine kultstätte für jesus wird über einen tempel für aphrodite, die göttin der schönheit und der sinnlichen liebe, gebaut. das gefällt mir gar nicht! theologie oder eben ihre nachfolgemodelle coincidentiogie, die wissenschaft vom zusammenfallen der gegensätze, oder redormative pantologie, die wissenschaft von allem, wobei frau*man nochmal darüber schläft, was davon alles gesagt werden soll, als archeologie. in meinem kommenatar zum beitrag vom 26.09. (man beachte die 6 und ihre umkehrung) verschrieb ich mich “kostpielig”. die assoziation “peeling” überlasse ich den spezialist*innen darin. kostbarer finde ich die assoziation zum fehlenden s: sex. als geschlecht und sexuelle beziehung. auf meiner webseite setzte ich das s ein. als ich aber nachschaute, ob es nun da ist, war es immer noch nicht da. da erinnerte ich mich, dass gerade beim speichern die verbindung zum internet abbrach. also nochmal setzen und die seite nochmal runterladen. . . gleichnishaft für unsere die_s_bezüglichen krämpfe. und die erinnerung an die notwendigkeit und möglichkeit ihrer behebung ohne destruktive kämpfe. gestern der dazu nötige regen (auch ein sexualsymbol), heute der dazu nötige wind (auch eine metapher). nicht zu vergessen das kreuz als mehrfachsexualsymbol. war jesus wirklich so unmännlich? oder wollte er mit dem schwert (mt 10.34) den römischen kaiser ablösen? das wort, “dass ihr dem bösen nicht widerstehen sollt” (mt 5.39), ist heute vergessen. vielleicht stammt es auch nicht von ihm, sondern entspricht der botschaft der drei jüngeren evangelien, die nach der grausamen niederschlagung einer rebellion abgeschlossen wurden: “macht nur ja nicht wieder einen aufstand!” unser erkennen aus teilen, ek mérous, dessen unvollkommenheit paulus impliziert, wird, wenn das vollkommene kommt, abgetan. (1kor 13.9-13) möge es, wie die zukunft generell, in der gegenwart ankommen.
für den moment kapituliere ich vor der frage, ob das in meinen augen prinzipiell zutreffende der aktuellen aussage anselm schuberts – in der highly interesting folge – zu “reale körperliche erfahrung” (29:09), nicht “reale ereignisse” (29:18) und “männliche schreiber” (30:29) gerecht wird.
Danke für den spannenden Buchtipp!