«Am Anfang war das Wort.» Einer der berühmtesten Sätze der Menschheit. Aber: Der Satz wurde nicht immer genau so übersetzt.
In den ältesten Bibelübersetzungen steht ein bisschen etwas anderes. Und das hat Auswirkungen darauf, wie man sich das Verhältnis von Gott zur Welt vorstellt.
Was war die zweite Übersetzungsmöglichkeit – und warum hat sich der Begriff «Wort» durchgesetzt, obwohl er eigentlich weniger genau ist?
«Logos» und seine Übersetzungsmöglichkeiten
Im griechischen Grundtext der Bibel heisst es an dieser Stelle (Johannes 1,1) nicht «Wort», sondern «Logos». Im Griechischen haben Wörter immer ein breites Spektrum an Übersetzungsmöglichkeiten.
Bei der Übersetzung wählt man denjenigen Begriff, der am genauesten ist und im Kontext am sinnvollsten erscheint.
Das bedeutet, dass bei einer Übersetzung immer Entscheidungen getroffen werden.
«Logos» stammt vom Verb «lego», was u. a. «sprechen» bedeutet, und hat ganz viele Bedeutungen: Zum einen kann es «Vernunft», «Weisheit», «Sinn» bedeuten. Zum anderen aber auch etwas, was tatsächlich ausgesprochen wird: Ein Gedankenstrang, den jemand in Form eines Gesprächs, einer Rede oder einer Geschichte mitteilt.
Mit «Logos» ist jedoch nie ein einzelnes grammatikalisches Wort gemeint, sondern immer ein Sinnzusammenhang.
Warum ist das wichtig?
In den frühesten Übersetzungen des Neuen Testaments ins Lateinische wurde «logos» daher nicht mit «Verbum» übersetzt (was ein einzelnes Wort bedeutet), sondern mit «sermo».
«Sermo» bedeutet etwa «Rede». Es beinhaltet den Aspekt des Sprechens, wobei das Gesagte kein Monolog ist, sondern ein Teil eines Dialogs. «Sermo» hat den gleichen Wortstamm wie «Serie», es geht also darum, etwas miteinander zu verbinden, zu verknüpfen.
Man könnte also auch übersetzen: «Am Anfang war das Gespräch.»
Die ältesten lateinischen Bibelübersetzungen geben Auskunft darüber, welche Ausprägung eines griechischen Begriffs zu jener Zeit gängig war. Während das heutige Verständnis des Satzes «Am Anfang war das Wort» die Singularität betont, DAS Wort, deutet die damalige Übersetzung «sermo» darauf hin, dass man «logos» als dialogischen Begriff verstand.
Was Gott sagt, will Wirkung haben
Wort oder Gespräch: Was bedeutet das inhaltlich, was ist da genau der Unterschied?
Das Johannesevangelium beginnt mit den gleichen Worten wie das Alte Testament, die hebräische Bibel: «Am Anfang». Der Satz «Am Anfang war das Wort» greift also die Schöpfungsgeschichte wieder auf.
In Genesis 1 heisst es ebenfalls, dass Gott gesprochen hat. «Es werde Licht», zum Beispiel. Gott erfand etwas und sprach es aus, fand Wörter, aus denen etwas entstand. Es war kein befehlendes Sprechen, sondern ein kreatives.
Dieses kreative Sprechen passt zum dialektischen, poetischen Denken des Alten Testaments: Es geht selten um etwas ganz Eindeutiges, Klares, Direktives, sondern die Wahrheit kommt im Gespräch hervor.
«Logos» steht in den griechischen Übersetzungen des Alten Testaments auch für die Botschaften, die Prophet:innen im Namen Gottes überbrachten.
Worte, die etwas in Gang setzen und Wirkung zeigen sollten, indem Menschen ihr Handeln änderten und – vor allem – wieder ins Gespräch mit Gott eintraten.
Es geht also beim Reden Gottes um eine Dynamik, um einen Prozess, eine Beziehung. In den Geschichten der Bibel zeigt sich, dass das Verhältnis Gottes zur Welt, insbesondere zu den Menschen, eine Beziehung ist, die sich immer weiter entwickelt. Eine Story, die fortlaufend ist bis heute.
Auch im individuellen Glauben ist das «Wort Gottes» nicht statisch oder einmalig erfahrbar: Sondern der Mensch steht mit Gott im Gespräch, etwa durch das Gebet, und Gott auf ganz verschiedenen Wegen auch mit dem einzelnen Menschen. Es gibt Höhen und Tiefen, und es ist keine einseitige Beziehung.
«Wort» ist ungenau
In lateinischen Bibeln gab es deshalb lange Zeit beide Übersetzungsvarianten: «Sermo» und «verbum». Eigentlich ist «verbum» eine ungenauere Übersetzung von «logos» als «sermo».
Durchgesetzt hat sich schliesslich trotzdem die Übersetzung «verbum», und von dort kommt auch das deutsche «Am Anfang war das Wort».
Vermutlich wurde diese Übersetzungsvariante gewählt, weil seit Augustinus theologisch klar war, dass mit dem «Logos» Jesus Christus gemeint ist. Es ist theologisch wichtig, dass dies nur ein Mensch war, daher der Singular, zu dem «verbum» besser passt als «sermo».
Das Gesprächsangebot Gottes kam nach den Prophet:innen nicht nur durch Menschen, sondern in Form eines Menschen in die Welt – so direkt wie nur möglich. Oder, wie es in diesem sogenannten «Johannesprolog» (Johannes 1,1-18) heisst: «Das Wort, der Logos, wurde Fleisch.»
Der Skandal im 16. Jahrhundert
Im 16. Jahrhundert gab es einen Skandal, als Erasmus von Rotterdam das Neue Testament neu vom Griechischen ins Lateinische übersetzte. In der zweiten Auflage seiner Übersetzung kehrte er zu «sermo» zurück.
Diese Änderung der Tradition wurde nicht gut aufgenommen.
In seiner Schrift «Apologia de In principio erat sermo» (1520) begründete Erasmus daraufhin, warum er auf dieser Wortwahl beharrte und dass seine Entscheidung auf die ältesten Übersetzungen zurückging.
…und heute?
Heute geht man, obwohl sich der Satz ins kollektive Bewusstsein eingebrannt hat, wieder genauer vor. In der Zürcher Bibel steht zum Beispiel «Am Anfang war das Wort, der Logos», und zwar mit einer Fussnote, die besagt, dass der griechische Begriff schwierig zu übersetzen ist.
Die feministische «Bibel in gerechter Sprache» (BgS) wählt die Übersetzung: «Am Anfang war die Weisheit» und fügt gleich einen ganzen Glossar-Eintrag an, der diese Entscheidung begründet.
Interessant ist, dass sich das Übersetzungsteam der BgS in diesem Eintrag neben der Schöpfungsgeschichte auch auf Sprüche 8 bezieht: Dort wird nämlich auch die Weisheit (hebräisch: «Chochmah») als Allegorie personifiziert. Eine Frau, die Menschen zuruft, Gott mit Tanzvorführungen erfreut und – bei der Schöpfung zugegen war.
Der Logos als göttliche Kraft, die in der Bibel immer wieder als Vermittler:in oder schöpferische Kraft Gottes auftauchte, in Jesus Christus Mensch wurde und bis heute als Beziehungsangebot Gottes bei Menschen Wirkung zeigt. Und dabei ganz vielfältig schillernde Formen annehmen kann.
Eintrag «Logos» im wissenschaftlichen Bibellexikon Wibilex
Wissenschaftlicher Artikel zu «sermo»/«logos» von Marjorie O’Rourke Boyle (Englisch)
Blogartikel, der die Übersetzung durch Erasmus von Rotterdam behandelt (Deutsch)
7 Gedanken zu „Am Anfang war das… Gespräch“
Das ist ein sehr spannender Gedanke für mich. Im Hiob 9,33 klagt dieser, dass in seinem Elend kein Schiedsmann, also ein Vermittler, da wäre, der die Hand auf sie beide legt. Ich habe da gedacht, der fragt nach Jesus, lange bevor “die Zeit erfüllt war”. Deine Erklärung zu Logos, Sermo und Chochmah, der Weisheit als Vermittler zwischen Gott und Mensch gibt mir neuen Stoff zum Nachdenken. Danke! Sind Jesus und die Weisheit “Das selbe”, das im Anfang bei Gott war?
Danke für den Kommentar! Deine abschliessende Frage ist eine, über die in der Theologie in den ersten Jahrhunderten gross diskutiert wurde, Stichwort “Zweinaturenlehre”. Ich würde sie mit “Jein” beantworten: Jesus aus Nazareth war ein Mensch, der für eine begrenzte Zeit auf der Welt gelebt hat wie alle anderen Menschen auch. Jedoch, so glaube ich, war in ihm Gott verkörpert – im Menschen Jesus steckte also eine zeitlose, göttliche “Essenz”, das Wesen Gottes, das von Anfang an da war – im Alten Testament etwa “Weisheit” genannt, und im Neuen “Logos”.
Ob dies wiederum dasselbe ist, was in der dritten Person der Dreieinigkeit, im “Heiligen Geist” auch heute in der Welt, in uns und zwischen uns Geschöpfen präsent ist oder sein kann, das wäre nochmals eine andere Diskussion. Hier merkt man, dass diese Dreieinigkeit ein theologisches Konstrukt ist, dass sich aus der Bibel gar nicht so zweifelsfrei herleiten lässt. Die Prozesstheologie z. B. geht von einer “Dipolarität” Gottes aus, also von einer ewigen und einer veränderlichen Seite Gottes. Mir leuchtet das auch sehr ein…
Liebe Grüsse, Evelyne
Am Anfang war das Gespräch? – Mit wem denn, wenn nur das Eine, nämlich Gott existiert? Das ergibt keinen Sinn. Was wollte denn Johannes sagen? “Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort”? Ein Wort ist der Ausdruck eines Verborgenen. Hier ist das “Verborgene” Gott, und wie ich gezeigt habe, ist Gott das “Leben an sich” (s.https://manfredreichelt.wordpress.com/2018/03/20/die-logik-der-erloesung/ und https://repository.globethics.net/bitstream/handle/20.500.12424/4268729/Ursprung_und_Ziel_Wie_die_Evolution_weit%20%281%29.pdf?sequence=1&isAllowed=y ). Der Inhalt des Ausdrucks ist also Gott selbst. Aber es besteht doch ein Unterschied zwischen dem, was unveränderlich im Verborgenen bleibt, und dem Ausdruck desselben. Hier haben wir die Wurzel der Dreieinigkeit.
Wer die Uebersetzung “Am Anfang war …” wählt, kriegt damit Schwierigkeiten. Wählt man also die aus meiner Sicht korrekt(er)e Uebersetzung “Im Anfang war …”, was bedeutet: “Im Anfang der Menschheitsgeschichte …”. Dieser Anfang begann mit den Worten (griechisch logoi) des Vaters, die sein Sohn in die Tat, sprich Materie umsetzte (Kolosser 1,16).
“Im Anfang” ist für mich unverständlich – was ist der Unterschied?
NA “än” nicht “ep” archä
Was mich in dem ansonsten sehr gut auf den Punkt gebrachten Artikel zum Thema Wort/Logos sehr verwundert hat-doch danke zunächst dafür-ist die Tatsache, dass du zwar das Wort als Gegenüber Gottes “auch” als weibliche Weisheit -Sophia/Chochma oder auch Schekina genannt, erkannt hast, dann aber plötzlich zu der Jesusfigur wie selbstständlich hinschwenkst, die im Wort als “weibliche Weisheit” Fleisch auf dieser Erde geworden sein soll? Das ist widersprüchlich und auch nicht wahr. Warum? Weil in Sprüche 8, Verse 22-36 wirklich von einer Frau dir Rede ist-die sich darin selbst als weibliche Weisheit vorstellt. “Mit Weisheit hat Gott die Erde gegründet!” Mit einer Frau, die vor Gott tanzt-sie ist Gottes Gefährtin. Völlig unlogisch ist schon seit Jahren für mich, dass sich ein einseitig männliches Gottesbild im Christentum durchgesetzt hat, obwohl Gott die Menschen nach seinem wahren Bild als Mann und Frau erschuf?Der kanadische Sprachwissenschaftler Earl Doherty und mit ihm noch andere, bezweifeln die Exiszenz Jesu. Quelle: “Jesus-Mythos-Zweifel an der Existenz von Jesus von Nazareth” Ein Gottvater kann m. E. niemals mit einem Gottsohn “eins” gewesen sein=eine Liebesbeziehung geführt haben, es sei denn, Gott war schwul? Das Gottesbild als Prinzip des Männlichen & Weiblichen hat sich auch bei der Schöpfung der Menschen gezeigt. Warum zeigt es sich nicht im Gottesbild? Weil wir Frauen noch nicht mal dazu stehen und gegen ein jahrtausende langes Patriachat aufbegehren und trotz guter Analyse dem althergebrachten Jesusmythos mehr glauben schenken, als unserer eigenen weiblichen Wahrnehmung, dass da wohl logischerweise etwas nicht stimmen kann? Mich macht es als Frau sehr traurig, dass Mann Gott die Weiblichkeit genommen hat. Ich lasse es nicht mehr zu, dass ich als Frau im Gottesbild nicht vorkomme. Der Autor Kurt Marti hat dieses falsche Gottesbild schon viel früher als Götzenbild entlarvt! Sind wir Frauen doch mutiger und hinterfragen das, was uns indoktriniert wurde.