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Kirche im Übergang – Herausfordernd und schön

Du kannst ein halbes Jahrtausend Reformation feiern – und es ändert nichts. Du kannst einen Papst vom anderen Ende der Erde holen, der vieles noch einmal ganz anders macht – und es ändert nichts. Bis letztes Jahr konnte man sagen: Das liegt einfach an dem hohen Maß an sozialer Sicherheit und dem Mangel an existenziellen Katastrophen, dass die Menschen nicht nach Gott fragen.

Aber inzwischen musst Du zugeben: Nicht einmal Katastrophen ändern etwas. Menschen verlassen die Kirchen. In Endlosschleife.

Eine Erzählung

Angesichts solcher Beobachtungen erinnere ich mich immer wieder mal gerne an die Erzählung eines katholischen Priesters, die ich so in Erinnerung habe: Es war für ihn in den 1960er Jahren nicht ganz einfach, seinem Vater die Lebensentscheidung für ein Theologiestudium zu „beichten“. Sein Vater, ein Unternehmer, gab ihm folgendes mit auf dem Weg: „Junge, du bist erwachsen und weißt, was du tust. Aber so viel möchte ich dir sagen. Ich bin Geschäftsmann. Wenn ich auf die Kirche gucke, sehe ich da ein Geschäftsmodell, das nicht mehr funktioniert. Früher wurde man in die Kirche hineingeboren und blieb drin bis zum Tod. Künftig werden immer weniger Menschen zur Kirche gehören wollen, nur weil sich das so gehört. Das heißt für dich: Jeden Morgen, wenn du aufwachst, hast du schon wieder Miese gemacht. Mit so was zu leben ist für einen Mann nicht leicht.“

Inzwischen sei sein Vater schon lange tot. Lächelnd erzählte der Priester weiter: „Jedes Jahr besuche ich sein Grab. Ich habe dann immer ein Kölsch dabei und unterhalte mich mit ihm wie früher. Zuletzt sagte ich ihm: Vater, weißt Du noch, was Du mir vorausgesagt hast über die Kirche? Du hattest Recht, es ist genauso gekommen! Aber weißt Du: Ich hatte auch Recht. Denn es war und ist herausfordernd – und schön.“

Mich hat die Geschichte damals sehr berührt, auch wenn ich nicht recht erklären konnte, warum. Heute möchte ich es so versuchen. Wie gehen wir denn um mit den täglichen Miesen? Wir kennen den passiv-aggressiven Umgang mit dem Niedergang – gleich in doppelter Gestalt. In beiden Fällen liegt es an „den anderen“. An denen, die nicht raus kommen aus dem vormodernen Glaubenswelten. An den Reformbremsen, die Modernisierungsverweiger*innen, den Rückwärtsgewandten. Oder umgekehrt: An denen, die den Glauben an den Zeitgeist verraten und ihn bis zur Unkenntlichkeit verkürzen.

Der Niedergang ist die Quittung dafür, dass die Kirche nicht in der Moderne ankommt!, heißt es hier. Falsch! Er ist die Strafe, dass sich die Kirche an die Moderne angepasst hat, heißt es dort. Und so dreht man sich endlos im Kreis. Selbst das wurde schon viel zu oft beklagt.

Noch mehr Reformen?

Gott sei Dank hat die große Mehrheit irgendwann gemerkt, dass dieses Hickhack nirgendwo hinführt. Die Vernünftigen machen ein Wir-haben-verstanden-Gesicht. Und sie sagen das Zauberwort: Reformen. Wir müssen uns verändern. Wir müssen uns mehr konzentrieren, stärker fokussieren, besser investieren, geduldiger zuhören, mutiger hingehen. Mehr beteiligen und weniger verzetteln. Wir brauchen mehr Reformen! Wir müssen auch unsere bisherigen Reformpapiere und Reformversuche noch einmal reformieren.

Aber – ist das nicht genau das, was wir seit Jahrzehnten tun?

Die Umformungskrise, in der wir uns befinden, ist epochal. Dass nicht nur die Beteiligung am kirchlichen Leben schwindet, sondern die letzten Bande der Zugehörigkeit verloren gehen, so etwas passiert nicht alle paar hundert Jahre.

Wir werden vorwärts geschoben in postreligiöse Galaxien, wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist.

Herausfordernd und schön

Das fühlt sich an wie die Entdeckung, dass der eigene Planet seine Gravitationskraft verliert. Vielleicht noch in dieser Generation. Das ist herausfordernd. Denn so viel Gutes wird im All verwehen. Der Klang so vieler Lieder wird verhallen. So viele Namen werden vergessen sein. Beim Beten fängt man an, sich wie ein Telefon mit Kabel zu fühlen. Dass es das noch gibt. Ist der Gottesdienstbesuch schon als Weltkulturerbe vorgeschlagen worden? Ein Gesangbuch zu besitzen ist wie Noch-Schreibschrift-Können. Und ich habe noch nicht mal vom Benutzen gesprochen. Es ist schmerzhaft und verunsichernd.

Und weil es so herausfordernd ist, liegen die passiv-aggressiven und die besorgt-betriebsamen Antworten ja so nah.

Es ist herausfordernd. Und schön! Ich finde es wunderbar, dass er schön gesagt hat. Man könnte auch gut oder wahr sagen, aber in der Gottessphäre ist das weniger scharf zu trennen. Schön ist mehr als notwendig, systemrelevant oder alternativlos.

Glaube ist schön, weil Gott schön ist. Weil wir diesen Geschichten von Gott und Jesus nicht erst Anziehungskraft verschaffen müssen, die sie längst haben. Sie glänzen von sich aus. Auch wenn es niemand mehr sieht.

Aber ist das nicht das ganze Problem, dass viele das nicht mehr sehen? Dass Gott schön ist, seine Worte faszinierend und tröstlich seine Gegenwart? Gewiss, das ist herausfordernd. Aber es ist nicht das, woran Glaube hängt. Glaube sieht, spürt und weiß, dass er schön ist.

Darum denkt er auch:

Was sich auflöst, ist eine bestimmte Gestalt der Kirche. Es gibt viele klugen Analysen dazu. Letztlich traf es der Unternehmer recht gut. Die Geschäftsbedingungen sind andere geworden. Für immer weniger Menschen ist es aus äußerlichen Gründen wichtig, zu einer Kirche zu gehören.

Anders als je zuvor, sind jetzt und in Zukunft allein religiöse Gründe ausschlagend dafür, dass man sich religiösen Gemeinschaften anschließt. Man muss die Schönheit des Glaubens selbst entdecken.

Weil Gott schön ist – will ich Gelassenheit im Niedergang lernen. Dieser ist kein Grund, Bisheriges achtlos fallenzulassen. Das alte Gewand des Glaubens ist getränkt von den Leiden und Freuden vieler vor uns auf dem Weg. Die Lieder, Gebäude und Gebete der alten Welt gilt es zu pflegen bis zum letzten Glockenschlag, mit Ehrfurcht und Liebe.

Weil ich glaube – und nicht, weil es diesbezügliche Prognosen gibt – sage ich: es ist eine Gestalt von Kirche, die da vergeht. Neue Aufbrüche finden statt. Sie ersetzen nicht einfach das Bestehende. Sie durchdringen und ergänzen es – oder setzen seine Spur ganz anders fort.

So viele Bilder für Gott sind noch unentdeckt. So viele neue Melodien und Texte wollen noch erspürt werden. Und mitten um Umbruch gibt es beides: Trauer und Vorfreude, Loslassen und Neugierde.

Und natürlich: Skandale Aufarbeiten und Reformen Betreiben gehört dazu. Ohne, dass das die Lösung ist. Das gehört zum Weg, seit 2000 Jahren. Und dieser Weg war, ist und wird sein: herausfordernd und schön.

4 Kommentare zu „Kirche im Übergang – Herausfordernd und schön“

  1. Die FAZ titelt am 27. Juni: „So viele Kirchenaustritte wie noch nie“

    Zitate:


    Seit Jahren höre man von der EKD nur noch „Themen aus dem linken Politikspektrum“: „Flüchtlingsfrage, Genderpolitik, Gerechtigkeit auf allen sozialen und politischen Ebenen, Klimafrage, Globalisierung und vieles mehr. Diese Fragen sind überaus wichtig, sie bedürfen mehr denn je einer Lösung, aber die kann nur die politische Vernunft herbeiführen.“

    Richtig stellt er fest, „dass die „Kirche (…) auf diesen Feldern kein Spezialwissen“ habe auch wenn sie versuche „ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren“.

    Christen sind Christen. Heilige Beter UND „politische“ Gemeinschaftsarbeiter.

    Hier ehrwürdig-konservative Kirche/Gemeinschaft/Freikirche, dort progressiv-politisch aktive Kirche.

    Jesus lehrt himmlische Gottesfurcht, Heiligung UND irdisch-soziales Engagement, Nächstenhilfe, Polis,
    Persönlichkeitsentfaltung UND Gemeinschaftsentfaltung, geistlich und politisch, lokal und global.

    Wer das Eine empfiehlt und das Andere nicht, denkt einen halben Christen, denkt einen ganzen Unsinn.
    Eine einseitige Betonung bzw. Unterlassung führt auf beiden Seiten zur gleichen Krankheit, zum Wasserkopf im Goldfischglas.

    Wo verorte ich mich und meine Kirche/Gemeinde heute?

    Die schöne Mitte. Sie wartet, sie bittet, sie klagt, sie fleht: „Kommt her zu mir.“

  2. Wunderbar klarsichtiger Beitrag. Ich versuche seit einiger Zeit neue Lagerfeuer zu entfachen nach dem Vorbild der 12-Schritte Gruppen. Ich nenne es ‚Küchentisch-Kirche‘. Zwei-Drei Leute, eine Bibel und ein Anliegen, genug Kaffee und los gehts. Keine Admin, keine Verwaltung, kein Planen auf ein Jahr hinaus, keine Raumreservationen, nichts von all dem ermüdenden, entmutigenden, kräftezehrenden, frustrierenden, Schaffensfreude erstickenden, zermürbenden, burnout fördernden, Zeit- und Energievernichtenden Kleinkram.

    1. Sehr spannend, Sonja, neue Lagerfeuer braucht das Land! Küchentisch-Kirche gefällt mir auch sehr gut. Ich freue mich über solche Aufbrüche von „Indie-Christen“, wie Evelyne Baumberger das nennt.
      Ich werbe freilich auch für einen freundlichen, wertschätzenden Blick auf das Gewachsene, mit seinen Admin, Verwaltungen und Planungen… Auch RefLab gäbe es ja nicht ohne dergleichen.
      In der Diskussion über neue Gestalten von Kirche gibt es den Begriff der „mixed economy“, der Ergänzung von klassischen und innovativen Gestalten von Glauben. Ich träume von einer Kirchenzukunft, wo Menschen an den Küchentischen dankbar sind für alle, die sich vielerlei notwendigem Kleinkram willig widmen; und die Verwalter*innen des Gewachsenen neugierig vorbeischauen und sich wärmen lassen an den Lagerfeuern alternativer Glaubensaufbrüche.

  3. Manfred Reichelt

    Muss uns die KIRCHE am Herzen liegen? – Ist Kirche nicht erst dann wirklich Kirche, wenn sie eine INTERESSENGRUPPE von Menschen ist, denen die LÖSUNG existentieller Fragen (und ich meine nicht existentiell im Sinne von Nahrung, Wohnraum usw.) wie, wo komme ich her, wer bin ich, wo gehe ich hin, wichtig ist? Wo Menschen, die durch ihr Fragen Einsicht in tiefere Zusammenhänge erhalten haben, anderen Menschen beistehen?
    Fragen, wie die genannten, haben Menschen zu jeder Zeit. Aber sie wenden sich von denjenigen ab, die ihnen keine Hilfe zur Beantwortung jener Fragen geben können, die nicht in der Lage sind, Menschen auf einem spirituellen Weg zu begleiten.

    Kirchen müssen sich selbst fragen, ob sie sich länger bereits gefundenen Antworten verschließen und so ein spirituelles Wachstum verhindern wollen.
    Ich habe in meiner Arbeit klar den Zusammenhang von Genetik und Reinkarnation, und die Unhaltbarkeit kirchlicher Argumente gegen diese, aufgezeigt. Wie lange wollen die Kirchen solche Einsichten ignorieren?
    Für Interessierte: https://www.academia.edu/37936734/Genetik_Reinkarnation_Kirche

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