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 Lesedauer: 4 Minuten

Zurück auf Feld 1?

„Nur mühsam“

Heute ist es nur noch mühsam. Sitzungen finden virtuell statt, Tagungen, Konzerte, Geburtstagsfeiern werden abgesagt. „Habe ich meine Maske dabei?“ Und für viele bedeutet das, was von meinem Homeoffice aus sich „nur mühsam“ anfühlt, eine zweite existenzielle Bedrohung in nur einem Jahr: Für die Menschen ohne Obdach, für Gastrounternehmer*innen, Leute aus der Reisebranche, Sexarbeiter*innen. Andere, etwa aus dem Pflegebereich, sehen intensiven Zeiten entgegen. Von ihnen wird wiederum viel Flexibilität und Durchhaltevermögen erfordert. Unserem Applaus trauen sie aber nicht mehr.

Und dann gibt es die vielen Menschen irgendwo dazwischen. Ich zum Beispiel. Wir sind erschöpft und müssen ständig Entscheidungen treffen: Darf mein Kind seinen Geburtstag mit Gästen feiern? Ist es gerechtfertigt, dass ich zweimal wöchentlich doch ins Büro fahre? Soll ich meine Eltern noch besuchen? Findet unser Urlaub statt? Halten wir unsere Restaurant-Reservation aufrecht?

Nicht dafür gemacht

Niemand hat uns verboten zu arbeiten. Also geben wir unser Bestes. So weit wir es verantworten können. Und sind dankbar, dass wir keine Kurzarbeit beantragen mussten, dass unsere Jobs sicher sind. Aber im vollen Zugabteil fühlt sich gar nichts sicher an. Und im Büro haben alle ihre Unbeschwertheit verloren. Und es graut einen vor Meetings mit vielen Menschen. Aber es kostet Kraft, sie abzusagen oder darum zu bitten, eine Zoom-Lösung zu finden.

Ich merke es: Dafür bin ich nicht gemacht. Ich kann leicht mit weitreichenden Beschränkungen umgehen. Gerne halte ich mich an die Maskenpflicht. Ich muss auch nicht jede Quarantäneregel und die kantonalen Umsetzungen derselben nachvollziehen können. Ich möchte nur nicht alles selber entscheiden. Sonst entscheide ich gerne. Ich bin kein hadernder Mensch. Aber jetzt entscheiden, bedeutet ständig „Kopf gegen Gewohnheit“ spielen. Der Kopf sagt: „Nein, dein Job ist nicht systemrelevant. Bleib zuhause und arbeite von da aus.“ Die Gewohnheit sagt: „Jetzt hab dich nicht so. Du weisst nicht, wie lange du überhaupt noch ins Büro fahren darfst!“ Und wie lieb mir meine Gewohnheiten sind, spüre ich immer deutlicher.

Eher fügsam

Es mag sein, dass die Kosten für den „Nichtganznochnicht-Lockdown“ wirtschaftlich geringer sind. Seelisch finde ich sie sehr hoch. „Stay the fuck at home!“ war nicht freundlich. Aber ich wusste, was sozial akzeptiert und geboten ist. Jetzt riskiere ich meine und die Gesundheit anderer „freiwillig“. Aber ich komme mir weder frei noch besonders willig vor. Eher fügsam gegenüber einer Macht, die sich durch Unausgesprochenes und in der Unklarheit formiert.

Zu dieser Macht gehört auch, dass wir uns kaum noch getrauen uns zu beklagen. Wir tun es trotzdem. Aber wir ergänzen immer: „Ich weiss, andere haben es jetzt viel schlechter als ich.“ Das ist aber nicht eine dankbare Einsicht. Sondern eher die Haltung eines gemassregelten Kindes, das sein Essen nicht mag und dem man dann Hungerbäuche zeigt, bis es mit noch weniger Appetit und viel schlechtem Gewissen aufisst. Aber man darf sein Essen nicht mögen, auch wenn andere verhungern. Und man darf unter dieser lähmenden Coronawolke leiden, auch wenn andere ersticken.

Hingabe

Freilich, es wäre grossartig, wenn wir durch diese Klage hindurch lernen könnten, unsere Prioritäten besser zu treffen. Für das einstehen würden, was wir richtig finden und nicht nur fragen, wie man das jetzt mache. Wenn wir auf Reisen verzichten, Projekte streichen und uns an das anpassen, was unsere neue Wirklichkeit von uns fordert. Aber ich hoffe nicht, dass unsere ganze Corona-Strategie darauf setzt. Denn die meisten sind – wie ich – eher fügsam.

In schwierigen, unübersichtlichen Situationen denke ich gerne an das Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Es weist mir einen Weg zwischen Fügsamkeit und Aufruhr mitten durch die Hingabe, an das was ist. An das, was ich hinnehmen muss. Und in das hinein, was ich von dort aus ändern kann. So gesehen liegt für mich in strengeren Bestimmungen auch eine Freiheit. Nämlich die Freiheit von (zu) vielen Entscheidungen, zu vielen Dingen, die ich ändern kann. Es wäre weise, wenn wir diese Freiheit wählten.

 

Photo by engin akyurt on Unsplash

1 Kommentar zu „Zurück auf Feld 1?“

  1. Danke. Auch mich stresst es, jetzt so viele kleine und grosse Entscheidungen im Alltag zu treffen, das ermüdet sehr. Deine tiefgreifenden Worte versöhnen mich, habe ich mich doch sehr über euer oberflächliches Gespräch (Ansteckende Freiheit) aufgeregt.

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