Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 5 Minuten

Weihnachtsritual: Ich singe mich in den Glauben

Wie es vor vielen Jahren genau dazu kam, weiss ich nicht mehr. Ich ging in die dunkle Kirche, zündete die Kerzen an und begann loszusingen – alle Advents- und Weihnachtslieder, die ich auswendig kannte. Und es waren gar nicht wenige. Als mir Text und Lieder ausgingen, griff ich zum evangelischen Kirchengesangbuch.

Huch – ich nehme Teil an was Grösserem!

Seitdem gehört es für mich in die vorweihnachtliche Zeit. Ich lasse meinen Glauben klingen und singen. Ganz allein für mich. Bis ich spüre: Ich bin gar nicht allein.

Ich bin aufgehoben in einem Gesang, der vor mir war, ausserhalb von mir erklingt und mich anstimmt. Ich partizipiere an einem grossen Klang, den die Gläubigen seit alters her anstimmen.

Und der Hall der Kirche, der mich meine eigene Stimme hören lässt, vermittelt mir das Gefühl, als würden alle, die hier je geklagt, gebetet, gepriesen und gesungen haben, mitmachen.

Einstimmen kommt vor Zustimmen

Ich singe, weil ich glaube. Ja, aber das hier stimmt auch: Ich glaube, weil ich singe. Mir als theologischem Denker tut es ungemein wohl zu erfahren:

Glauben ist in erster Linie nicht intellektuelle Zustimmung, sondern affektives Einstimmen.

Ein Sich-Einschwingen in das, was sich in der Kirche, auch in der ich mich singend vorfinde, seit Jahrhunderten ereignet. Bernd Wannenwetsch hat in diesem Sinne einmal vom «Hallraum des Glaubens» gesprochen:

«Der Hall … macht einen Raum auf, in den sich unsere je eigene Erfahrung hineintasten kann – wir singen uns gewissermaßen in den Glauben der Kirche hinein.»

Gott musiziert sich in die Welt

Weihnachten steht für Gottes Kommen in diese Welt unter den schönsten Tönen. Wer sich dafür öffnet, bekommt beim Lesen der Weihnachtsgeschichten ein paar herrliche Sounddateien mitgeliefert. Wie Marias Seele im Magnifikat Gott erhebt, Zacharias einen Lobgesang anstimmt, die Engel im orchestrierten Chor singen und Simeon und Hanna auch nicht an sich halten können. Eine erstaunliche Inszenierung der jüdischen Überzeugung, dass Gottes Wohnen bei den Menschen zutiefst verbunden ist mit dem Lobpreis seines Volkes (Psalm 22,4). Gott singt sich in die Welt, und Engel wie Menschen singen mit.

Klingt da ein Lied im weihnachtlichen Trubel?

Die ganze weihnachtliche Musik kommt mir vor wie eine äusserst kreative Weiterverbreitung der Urweihnachtsklänge. Und das gilt nicht nur für geistliche Kirchenmusik, sondern auch für das, was ich viel zu lange kulturpessimistisch als kitschiges und einlullendes Endlosgedudel abgetan habe. Schläft nicht auch ein Lied in diesen Kulturdingen?

Ritual mitten im Adventsalltag

Es passiert mir immer wieder, dass die leise Weihnachtsmelodie aus dem Trubel des Advents zu mir durchdringt und mich anstimmt. Auf dem Weihnachtsmarkt, beim Einkauf, in der Bahnhofshalle.

Ich muss nur ein paar Momente innehalten und lauschen.

Mein besonderes Weihnachtsritual lässt sich im normalen Adventsalltag einüben und finden.

Gott ist Gesang

Warum klingen Welt, Menschen und Engel so himmlisch? Auf der Suche nach der Quelle aller, besonders der weihnachtlichen Klänge begegnete ich der verwegenen Vorstellung, dass Gott selbst ein dreipersonaler Klang ewiger Liebe ist. Irgendwie steckt das schon im lateinischen Wort personare: hindurchtönen.

Hildegard von Bingen hat die musisch-musikalische Dimension einmal so gebetet:

«Lob der Dreieinigkeit, die Klang und Leben und die Schöpferin aller und das Leben aller ist. Die Gemeinschaft der Engel lobt sie, sie ist wunderbarer Glanz der Geheimnisse, die die Menschen nicht kennen, und in allem ist sie das Leben.»

Angebunden an die höchsten aller Töne

Damit wäre mein Singen ganz oben angebunden. Ist es letztlich der geheimnisvolle Mitvollzug des göttlichen Singens? Jedenfalls fühlt es sich so an.

Ich singe nicht nur zu mir selbst, mit den anderen und auch nicht lediglich zu Gott. Ich singe wie in Gott.

Meine Weihnachtsritualkirche wird ein Raum der dreieinen Gegenwart Gottes. Hier verschwimmt die Grenze zwischen menschlichem Ich und göttlichem Du, weil beide Stimmen zusammenschwingen.

Was Gisbert Greshake für das Beten allgemein festhält, gilt besonders, wenn das Singen dazu kommt:

«Im Beten öffnet sich gleichsam ein Raum, in dem ich nicht mehr Gott gegenüberstehe, sondern buchstäblich in sein Leben hineingenommen bin.»

Der Gottesgeist von Weihnachten

Überall, wo das Göttliche und Menschliche so zusammenkommen, liegt der Verdacht nahe, dass Gottes Geist im Spiel ist.

Die schönste, innigste Verbindung von Gott und Mensch ist dem Heiligen Geist mit der Geburt Jesu Christi an Weihnachten gelungen: Wahrer Gott und wahrer Mensch.

Es lohnt sich, wenn wir uns darüber den Kopf zerbrechen. Denn vielleicht merken wir dabei: Die grossen Geheimnisse Gottes zu bedenken, bringt uns an den Punkt, wo wir sie besingend tiefer erfassen. Vieles, was mir oft zweifelhaft vorkommt – über Gott, das Leben, mich selbst, die Liebe, die Mitgeschöpfe, die Hoffnung – kann ich mir singend offenhalten. Weihnachten ist die besondere Zeit, in der Gottes Geist mich dazu anstimmt.

«Bringe durch mich die Zither deines Heiligen Geistes zum Klingen, dass ich dich, Herr, in allen Tonarten lobpreisen kann» (Die Oden Salomos, Ode 14, um 140 n.Chr.).

Zitate

Hildegard von Bingen: Lieder – Symphoniae, Rüdesheim 2012, S. 60-61.

Bernd Wannenwetsch: Singen und Sagen. Zur musisch-musikalischen Dimension der Theologie, NZSTh 46,3 (2004), S.332.

Gisbert Greshake: Wie man in der Welt leben soll. Grundfragen christlicher Spiritualität, Würzburg 2009, S. 190.

Photo by niekverlaan on pixabay.com

3 Gedanken zu „Weihnachtsritual: Ich singe mich in den Glauben“

  1. Ein wunderbarer weihnachtlicher Beitrag! Beim Musikhören und im Musizieren erschließen sich mir Glaubenswelten, insbesondere bei der Musik von Johann Sebastian Bach. So wie sie geschrieben wurde, wirkt sie in mir!

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    • Lieber Wolfgang
      Deine Reaktion freut mich sehr. Schön, dass wir die Erfahrung teilen: Musik kann etwas, das Worte und Gedanken so nicht können. Ich halte die Musik für eines der bevorzugten Medien des Heiligen Geistes.
      In diesem Sinne: Jauchzet, frohlocket

      Antworten

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