Von «Earth Beats», einer umfangreichen Ausstellung des Kunsthauses Zürich zum Wandel des Naturbildes, hat sich mir vor allem ein Werk tiefer eingeprägt: die Klimastressmessanlage «treelab» von Marcus Maeder und Roman Zweifel.
Man kann streiten, ob die Messstation Kunst ist oder Ökoforschung. Auf jeden Fall macht das Werk den Hitzestress von Wäldern in der Klimaerhitzungskatastrophe unserer Gegenwart auf eine Weise sichtbar und hörbar, die man nicht mehr so leicht aus dem Kopf bekommt. Es ist ein Beispiel für die Kraft der Kunst, verborgene oder abstrakte Vorgänge zu veranschaulichen.
Kann man Stress hören?
Als Besucher:in steht man vor einem Halbkreis aus Flachbildschirmen, ein Arrangement wie aus einem Biologielabor oder Sterbezimmer, und kann im Zeitraffer sehen und über Kopfhörer hören, wie es einer Föhre alias Pinus sylvestris in Salgesch im Kanton Wallis in der schlimmen Hitzeperiode im Frühsommer 2015 ergangen ist.
Immer wenn aufgrund der Austrocknung eine Wassersäule im feinen Äderwerk des Baumes zusammenbricht, der seine Körpertemperatur über das Öffnen und Schliessen der Nadelporen zu regulieren versucht, macht es leise klick. In der Mittagszeit, wenn die Sonne sengend auf die Föhre fällt, macht es ununterbrochen klick, klick, klick. Gegen Abend beruhigt sich der Baum etwas und nachts hört man es sanft blubbern: die Feuchtigkeitsversorgung ist wieder intakt.
Föhren gehören zu den aufgrund der Erderhitzung besonders stark vom Absterben betroffenen Baumarten. Das «treelab» macht Ökopsychologie im Zeitraffer anschaulich und verdeutlicht die symbiotische Verschränkung von Naturwesen, Umwelt und Atmosphäre. Der Beitrag war auch schon auf der UNO-Klimakonferenz COP21 im Jahr 2015 in Paris zu sehen.
Klimawandel, Hungersnöte, Auswanderungswellen
Eine mit dem «treelab» vergleichbare Videoarbeit von Laurence Bonvins mit dem Titel «Aletsch Negative» lässt das dramatische Schmelzen der Gletscher sinnlich nachempfinden. Es sind Aufnahmen aus dem Inneren des grössten Gletschers der Alpen, faszinierend und beunruhigend zugleich.
Die Ausstellung im Kunsthaus verbindet Kunst- und Kulturgeschichte in anregender Weise mit ökologischer Haltung. So wird etwa anhand eines Gemäldes des zugefrorenen Zürichsees vom beginnenden 17. Jahrhundert des Schweizer Malers Conrad Meyer auf Klimaumbrüche vergangener Zeiten hingewiesen. Während wir mit der globalen Klimaerhitzung kämpfen, plagte vom Ende des 16. Jahrhunderts an die sogenannte «Kleine Eiszeit» die Menschen.
Winter wurden damals länger und kälter, Sommer waren verregnet und von Hagelstürmen begleitet. Es kam zu schwerwiegenden Ernteausfällen, Hungersnöten, Aufständen, Auswanderungswellen und lang anhaltenden, tiefgreifenden Veränderungen der Gesellschaften und Produktionsverhältnisse. Eine These lautet, dass das heutige Wirtschaftssystem des Kapitalismus seine Wurzeln in klimabedingten Krisen jener Zeit hatte.
Paradiesgärten pflanzen!
Die Ausstellung «Earth Beats» versteht sich als «künstlerischer Appell zum Schutz der Erde». Sie zeichnet den Wandel von Naturbildern nach und zeigt Zäsuren auf, wie die wach rüttelnde Veröffentlichung des «Club of Rome» 1972 zu den Grenzen des Wachstums oder der sogenannten «Overview»-Effekt, der zuerst Astronauten und durch die Betrachtung von Bildern der Erde aus der kosmischen Perspektive auch Künstler:innen für die Ökothematik sensibilisierte, darunter Joseph Beuys, Mitbegründer der Grünen in Deutschland.
Der «Overview»-Effekt macht deutlich: Wir haben nur einen Lebensraum im Universum zur Verfügung. Es gibt keinen planet B.
Zu Beuys’ Spätwerk gehörte es, Paradiesgärten mit tausenden Bäumen anzupflanzen («Piantagione Paradise»). Eine Zeitlang konnte das als Ökoromantik belächelt werden. Heute knüpft eine junge Künstlergeneration an das grosse Vorbild an. Beuys’ Devise lautete: «Verteidigung der Natur». Der Künstler tat es mit Fantasie und Kreativität, aber ohne in menschlichen Selbsthass zu verfallen.
«Earth Beats. Naturbild im Wandel» bis 6. Februar 2022 im Kunsthaus Zürich.
Abb.: Francesca Gabbiani, «Mutation V (c), 2020 Tinte, Gouache und farbiges Papier auf Papier, Kunsthaus Zürich, 2021 © Francesca Gabbiani.