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 Lesedauer: 6 Minuten

Sozialenergiewandel in der Matrix

[Das Podcast-Gespräch von Manuel Schmid und Andreas Loos über die Matrix-Filmreihe findest du hier.]

Energiekrise

Matrix 1-4, das sind The Matrix (1999) – Matrix Reloaded (2003) – Matrix Revolutions (2003) und Matrix Resurrections (2021). Die Hintergrundfolie der Handlung ist ein grundlegender Energiekonflikt, den die Künstliche Intelligenz (KI), ihre Computer und Maschinen gewaltsam für sich entschieden haben. Sie züchten alle Menschen als entgeisterte Körper in eierförmigen Behältern und stillen damit ihren immensen Bedarf an elektrischer Energie. Damit die Menschen davon nichts mitbekommen, soll sich ihr Bewusstsein in einer alle verbindenden Computersimulation, der Matrix, wohlfühlen.

Je höher der Level an Lebensenergie in der Matrix, desto mehr körperliche Energie werfen die Menschen in der realen Welt ab. An dieser Herausforderung arbeitet sich die KI beim Programmieren der Matrix ab.

Es lohnt sich, wenn wir ihr dabei ein wenig zuschauen.

Matrix Evolution

Die erste Version der Matrix war, so ihr Architekt am Ende von Matrix 1 gegenüber Neo, «eine Harmonie mathematischer Präzision», perfekt, makellos, überragend – «ein absolutes Kunstwerk». Man kann hier von einer paradiesischen Matrix sprechen, die jedoch von den Menschen nicht angenommen wurde. Wie sich das genau zutrug, darüber erfahren wir nichts.

Vielleicht war es die Erfahrung, dass das Begehrenswerte unser Begehren nicht stillt, sondern hungriger macht (Lévinas).

Agent Smith erklärt es Morpheus in Matrix 1 so: «Wussten Sie, dass die erste Matrix als perfekte Welt geplant war, in der kein Mensch hätte leiden müssen? Ein rundherum glückliches Leben. Es war ein Desaster. Die Menschen haben das Programm nicht angenommen. Es fielen ganze Ernten aus. Einige von uns glauben, wir hätten nicht die richtige Programmiersprache, Euch eine perfekte Welt zu schaffen, aber ich glaube, dass die Spezies Mensch ihre Wirklichkeit durch Kummer und Leid definiert.»

Scheiternd lernt die KI den Menschen besser kennen. In die zweite Version der Matrix programmiert sie – in Anlehnung an die Menschheitsgeschichte – das Unvollkommene, den Mangel, ja, das Leiden, den Konflikt und die Gewalt mit ein. Doch auch dadurch hören die Probleme nicht auf. Wiederum müssen wir eine mögliche Erklärung selbst suchen.

Hat nicht jedes Leiden in sich den Drang nach seiner Aufhebung und verweist so auf eine andere, leidfreie Art zu leben? Das wäre für die Matrix tatsächlich ein Problem.

Es ist schliesslich ein weibliches, intuitiv arbeitendes Programm, das jene Matrix möglich macht, die wir dann in den Filmen 1-3 kennenlernen: Das Orakel, die Mutter der Matrix. Sie entdeckt, dass die Menschen die sie umgebende Welt besser annehmen, wenn sie sich dafür entscheiden können. Ein wenig herablassend meint der Architekt: «Sie stieß zufälligerweise auf eine Lösung, wobei 99 % aller Testobjekte das Programm akzeptierten, solange sie eine Entscheidungsmöglichkeit hatten, selbst wenn bei ihnen diese Möglichkeit nur ganz tief im Unterbewusstsein schlummerte.»

In der Endlosschleife der Erlösungszyklen

Auch hier bleiben viele Fragen offen, interessant ist aber jenes eine Prozent, gewissermassen das Risiko, dass die KI eingehen muss, um energetisch überleben zu können. Diese Menschen bleiben im selbst gewählten Kampf gegen die Maschinen und ihre intelligenten Programme. Alle 70 bis 100 Jahre steigert sich dieser Konflikt derart, dass die Menschen, die unplugged ausserhalb der Matrix in Zion leben, zur Bedrohung für die Matrix werden. Es ist dann die Aufgabe des Orakels, einen Auserwählten so zu leiten, dass er seinen Weg zum Architekten findet. Der bringt ihn dann durch Aufklärung dazu, mit 23 Personen ein neues Zion zu starten, während alle anderen vernichtet werden. Neo ist der sechste Auserwählte und soll auf dem Höhepunkt von Matrix 2 den Zyklus durch eine freie Wahl erneut starten.

Es ist eine Art Kompromiss, der beiden Parteien den Fortbestand ermöglicht, allerdings in der Form immer wiederkehrender Gewaltakte. Der uralte Mythos von der erlösenden Gewalt schimmert hier durch.

Eine unkalkulierbare Energie

Anders als seine Vorgänger entscheidet sich Neo jedoch dafür, die Frau zu retten, die er liebt – Trinity. Die Macht dieser Liebe deutet sich zunehmend in den ersten beiden Filmen an. Eine ganzheitliche Liebe, robust leiblich mit überbordender Erotik inmitten einer Welt, in der Milliarden menschlicher Körper ihre Energien abgezapft bekommen. Mit einem Kuss in der realen Welt kann Trinity ihren Neo, der in der Matrix getötet worden ist, zu neuem Leben erwecken. Die Folgen dieser Liebe sind gravierend, denn die Maschinen werden nun Zion vernichten. In Matrix 3 zeigt sich dann, zu was Neo und Trinity fähig sind. Sie schaffen es ins Zentrum der Maschinenstadt. Sie stirbt dabei, während er mit der Künstlichen Intelligenz einen Frieden aushandelt, der massgeblich durch liebende Selbsthingabe zustande kommt: Neo überwindet das ausser Kontrolle geratene Programm Agent Smith und rettet damit die Künstliche Intelligenz. Letztlich aber tut er dies, um Zion zu retten.

Matrix 4 – nicht ganz die Genialste

Wer noch plant, Matrix 4 unvoreingenommen zu schauen, sollte nun vielleicht nicht weiterlesen. Ich habe den Film als gelungene Weiterentwicklung der Geschichte erlebt. Denn die Matrix vollzieht einen erneuten Energiewandel. Sie setzt nicht länger einfach auf Bedürfnisbefriedigung, Bewältigung von Leid oder den Kampf vieler Freiheiten, um die geistigen Energien der vernetzten Gehirne zu stimulieren.

Sie nutzt jene Energie, die erst dann entsteht, wenn Menschen einander in Liebe begegnen.

Der Analytiker in Matrix 4 ersetzt den Architekten und das Orakel, holt Trinity und Neo durch mordernste Technik zurück ins Leben und verbindet beide mit der Matrix. Doch nicht nur das. In einem eigens dafür gebauten Kraftwerk platziert er die Körper der beiden nah genug zueinander, dass sie sich anziehen, und weit genug voneinander, dass sie sich nie berühren. Ein perfides Spiel mit Mangel und Begehren, das eine tiefe Sehnsucht auslöst.

Emotionen sind die die neue, gewaltige Energiequelle. Die emotionenbasierte Matrix hat die beste Energiebilanz von allen. Der Analytiker meint, sie sei derart schön, dass die Menschen freiwillig in sie zurückkehren.

Er wettet sogar, dass noch nicht mal Neo es schafft, seine Trinity, die in der Matrix als Tiffany lebt, davon zu überzeugen, aus der Matrix auszusteigen und zurückzukehren in jene Liebe, die sie in der realen Welt miteinander geteilt haben. Eine fahrlässige Unterschätzung der Sozialenergie, die in der Begegnung von Liebenden freigesetzt wird, selbst unter den kontrollierenden Bedingungen der Matrix.

Was ist soziale Energie überhaupt?

Mal abgesehen davon, dass die Matrix Story und meine interpretierende Nacherzählung etliche Erklärungslücken offenlassen, der Energiewandel der Matrix wirft Licht auf unseren pandemischen Energiehaushalt.

Viele Menschen fühlen sich erschöpft, wie ausgeknipst.

Wir wundern uns über unsere eigene Antriebslosigkeit, obwohl doch Zeit und Ressourcen da wären, einmal das zu tun, was man schon immer tun wollte. Selbst wenn die soziale Distanzierung gar nicht mehr geboten ist, fällt es vielen schwer, sich wieder aufzuraffen. Man könnte sagen: Wie im falschen Film! Die digitale Vernetzung scheint den Energieschwund nicht auffangen zu können. So beginnen wir mit soziologischer Unterstützung nach den Energiequellen zu fragen, die unser spätmodernes Leben in Bewegung setzen.

Sie scheinen nicht einfach in den einzelnen Akteuren zu liegen. Lebendige Energie entsteht dort, wo wir einander begegnen, und dies in leib-seelischen Ganzheit.

Wir sind gerade dabei zu entdecken, was soziale Energie ist und sie von anderen Energiearten unterscheidet. Der Analytiker in der Matrix sah sich genötigt, sie einzudämmen, um das System stabil zu halten. Ich setze meine Hoffnung auf die unkontrollierbare Energievermehrung in den liebevollen, verbindenden Begegnungen mit anderen Menschen.

 

(Photo by Markus Spiske on Unsplash)

1 Kommentar zu „Sozialenergiewandel in der Matrix“

  1. Super Beitrag, danke!
    Soziale Netzwerke lenken uns ab , stehlen uns Lebensenergie und lehren uns, dass liebende Begegnungen sich nicht mit Technik augmentieren lassen. Das zeigt besonders der letzte Film hervorragend.

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