Lineare und Non-lineare Arbeit
Vor der Homeoffice-Zeit ist mir das nie aufgefallen. Aber tatsächlich leiste ich Arbeit in zwei verschiedenen Formen. Meine Erwerbsarbeit ist non-linear organisiert. Ich schreibe Blogs, nehme Podcasts auf, bereite Redaktionssitzungen vor oder analysiere unsere Zahlen und führe Personalgespräche. Dabei habe ich Deadlines, die ich einhalten muss. Aber ich habe kaum bestimmte Momente, in denen ich etwas Bestimmtes tun muss. Ich kann den Artikel nachts schreiben oder früh morgens. An manchen Beiträgen sitze ich eine Stunde, für andere brauche ich einen halben Tag. Niemand fragt mich, weshalb ich um 7 Uhr Laufen war und nicht an meinem Text gearbeitet habe. Und manchmal arbeite ich laufend an einer Idee, was dazu führen kann, dass mein Beitrag sich nach der Dusche fast von allein schreibt.
Entscheidend ist nur, dass ich zu einem vereinbarten Zeitpunkt ein fertiges Produkt abgeben kann.
Ganz anders ist die Arbeit, die ich in der Homeoffice-Zeit im Haushalt übernommen habe: Das Mittagessen muss zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem Tisch stehen. Die Kinder müssen um viertel nach sieben geweckt werden. Und der Geschirrspüler muss immer gerade jetzt ausgeräumt werden, wenn die Küche nicht wie ein Schlachtfeld ausschauen soll. Wenn ich Zeit mit meinen Kindern verbringe, muss ich das ganz tun. Ich kann nicht – wie jetzt während ich diesen Blogpost verfasse – ab und zu Eilmeldungen der Süddeutschen Zeitung oder auf Facebook Kommentare lesen und die Sitzungsunterlagen für morgen abspeichern. In dieser Arbeitsform kommt immer eins nach dem andern und nichts gleichzeitig.
Workload und Brain-(Over-)Load
Für sich genommen sind beide Arbeitsformen sehr befriedigend. Man kann sich leicht Checklisten erstellen und sie abarbeiten oder seinen Tag strukturieren und seine Aufgaben erledigen. Richtig schwierig wird es erst, wenn die Aufgaben verschiedener Arbeitsformen in Konkurrenz treten: Frühstück mit den Kindern und MS-Teams-Chat vertragen sich schlecht. Ich bin dann nur ein halbes Teammitglied und kein toller Vater.
Meistens ist es aber so, dass lineare Arbeitsformen gewinnen. Was jetzt sein muss, wird jetzt erledigt. Ich kann die Waschmaschine nach dem Frühstück starten, den Blogbeitrag zwischen zwei Wäschen schreiben und dann rechtzeitig auf das Mittagessen bereit sein… In der Theorie geht das alles und man könnte sein Leben wie ein Projekt planen. In Wirklichkeit tue ich das aber dann doch nicht – oder nicht konsequent genug.
Und am Schluss schaut der Tag dann gar nicht linear aus, sondern eher wie ein Mikado-Spiel. Alles berührt sich und setzt einen unter Hochspannung.
Als ob das nicht schwierig genug wäre, werden die planbaren linearen Aufgaben durch Spezialelemente «bereichert»: Waldmorgen in der Schule mit Getränkeflasche aber ohne Znüni, Mittagessen von Kind 1 bei einer Schulfreundin, Bibliotheksbücher, die ein anderes Kind auf unsere Karte ausgeliehen hat… Und all das kommt mir meistens dann in den Sinn, wenn ich einen Punkt meiner «nicht-linearen» To-Do-Liste abarbeiten möchte.
Mein Learning
Nach einer chaotischen Startphase habe zunächst ich versucht, meine bezahlten und unbezahlten Arbeitsaufgaben als Projekte zu organisieren. Das ist zwar nicht schlecht. Aber unter dem Strich hat es mir vor allem geholfen zu verstehen, weshalb ich den Workload nicht schaffe, beziehungsweise ständig versuche mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Und weshalb mich das unzufrieden macht. Das fiese an non-linearer Arbeit ist nämlich, dass sie immer möglich ist. Du kannst immer dein Projekt bearbeiten, immer ein Feedback geben, immer schreiben, posten, lesen oder planen.
Wirklich geholfen hat mir, dass ich so gut wie möglich lineare und nicht-lineare Arbeit trenne.
Wenn ich Frühstück zubereite, lege ich das Handy weg.
Dadurch muss ich aber die Zeiträume linearen Arbeitens möglichst kurzhalten. Weniger Sitzungen, weniger aktive Betreuungszeit – Kinder können ja auch selbst spielen – und weniger fix geplante Termine mit Freunden. Dafür viel mehr Leerräume im Kalender, in denen sich nicht-lineare Arbeit organisieren kann. Und damit das alles weiterhin Spass macht, brauche ich mehr Zeit für mich selbst. Zum Beispiel zum Zeitungslesen oder zum Laufen.
Ich habe gelernt, dass mich nicht Haushaltsarbeit oder Kinderbetreuung stressen. Der Stress entsteht dadurch, dass ich mixe, was sich nicht verbinden lässt: Meine Teamarbeit und meine Familienzeit, der Haushalt und meine Freizeit.
Eine gute Abwechslung zwischen diesen Aufgaben macht mich glücklich, ein Mix macht mich müde.
Wahrscheinlich wird die Zukunft von Arbeit unserem Bedürfnis Rechnung tragen müssen, diese Abwechslung zu planen und bewusst zu erleben. Ich möchte nicht mehr darauf verzichten, meine Kinder am Morgen zu sehen oder ab und zu unter der Woche gemeinsam zu essen. Es kommt mir sogar seltsam vor, dass dies einmal «normal» gewesen ist. Ich wasche gerne Wäsche und bin gerne Teil des Alltags meiner Familie. Und bis jetzt sehe ich meine Arbeit nicht darunter leiden. Sie hat bloss wieder den Stellenwert erhalten, der ihr zusteht: Sie ist das, was mir gelingt, wenn es mir gut geht.
Tolle Perspektiven und Anregungen rund um das grosse Thema Arbeit findest du in unserem neuen Podcast Let’s Work!
Foto von Ivan Samkov von Pexels
1 Gedanke zu „Schöne neue Arbeitswelt“
Lieber Stephan
Vielen Dank für den anregenden Beitrag. Bei mir ist die Erwerbsarbeit teils linear (Coachings, Meetings), teils non-linear (Schreiben, Podcast planen und aufnehmen 😉 und die übrige Arbeit irgendwie auch. Denn ist es nicht non-linear, wenn ich für mehrere Tage koche und dadurch die Vorbereitungszeit des Essens reduziere? Und irgendwie ist ja ein Essens”Termin” auch wie eine Deadline … Auf jeden Fall stimme ich dir zu, dass die Mischung cool ist und es hilft, beides zu haben. Ich hätte auch nicht gern einen durchgetimten Tag oder komplette Non-Linarität …
LG, Friederike