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 Lesedauer: 6 Minuten

Schlechte Presse?

Keine gute Presse

Die Medien haben gerade keine gute Presse. In Österreich soll ein Machtzirkel um Sebastian Kurz Umfragen verfälscht und diese in der drittgrössten Tageszeitung des Landes platziert haben. Das Blatt «Österreich» soll dafür staatliche Anzeigen im Wert von über einer Million Euro erhalten haben. Wenn das stimmt, handelt es sich um einen grossen Fall von Inserate-Korruption. Wähler werden mit ihren Steuergeldern systematisch getäuscht. In einer sichergestellten SMS schrieb Thomas Schmid, der als Schnittstelle zwischen Kurz und «Österreich» fungierte über Fellner, den Herausgeber: «So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen. Geniales Investment. Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das.» Machtbesoffen. Eitel. Und ziemlich zynisch.

Vom Spiegel ins Bild gesetzt

Kurz darauf trennt sich Axel Springer von seinem Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Schon vor Monaten hatten ihm mehrere Mitarbeiterinnen schwerwiegendes Fehlverhalten vorgeworfen. Affären, Machtmissbrauch oder Drogenkonsum am Arbeitsplatz. Ein internes Compliance-Verfahren führte zu einer rührseligen Entschuldigung: «Was ich mir vor allem vorwerfe ist, dass ich Menschen, für die ich verantwortlich bin, verletzt habe. Das tut mir sehr leid.» Nach zwölf Tagen Freistellung und einer kleinen Rüge durch den Verleger, die beinahe wie eine Entschuldigung klingt – «Er hat Fehler gemacht.» –, arbeitete Reichelt weiter. Nicht als ob nichts gewesen wäre. Aber eben auch nicht so, als ob etwas Schlimmes passiert wäre. Nicht strafrechtlich relevant. Fehler macht jeder. Rehabilitiert. Schauen wir zu, dass wir besser werden.

In der New York Times (!) konnte man nun lesen, dass ein Investigativteam aus der Redaktion des Ippen-Verlags – immerhin die fünftgrösste Zeitungsgruppe Deutschlands – vom eigenen Verleger daran gehindert worden sei, ihre Rechercheergebnisse zum Fall Reichelt zu publizieren. Die offizielle Begründung ist so unschuldig wie unglaubwürdig: Als konkurrierende Mediengruppe müsse man sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entstehe, man wolle einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden.

Ob die wirtschaftlichen Interessen des Springer Verlags wirklich höher zu gewichten sind, als das Interesse einer politischen Öffentlichkeit am Gebaren des Chefredaktors der grössten Deutschen Tageszeitung?

Offensichtlich waren die neuen Erkenntnisse für den Springer-Verlag brisant genug, um jetzt auf Distanz zu gehen. Als Zeitungsleser fragt man sich, was eigentlich schlimmer ist: Springer oder Ippen. Oder die Tatsache, dass man aus der NYT erfahren muss, was im heimischen Blätterwald eigentlich los ist…

Zwischen Hauptstadt und Republik

In der Schweiz leidet das Zutrauen in den Journalismus und die Presse ebenfalls. Und weil Zeitungen fusionieren oder von grösseren Medienhäusern aufgekauft worden sind, fürchten manche um die Unabhängigkeit und Vielfalt der Berichterstattung. Zeitungen haben durch das Internet ihr Geschäftsmodell verloren. Genau an diesem Punkt setzte die Crowdfundig-Kampagne der «Republik» vor vier Jahren an. Die Demokratie sei auf guten Journalismus angewiesen. Dieser sei aber durch den massiven Stellenabbau und die Marktmacht der grossen Medienhäuser Tamedia, Ringier und NZZ ernsthaft bedroht. Zudem müsse unabhängiger Journalismus auch von Werbeeinnahmen unabhängig sein. Tatsächlich wurden vor 10 Jahren noch 260 deutschsprachige Zeitungstitel publiziert. Dieses Jahr nur noch 209.

Die Auflage ist in diesen zehn Jahren von gut sechseinhalb Millionen auf knapp vier Millionen zurückgegangen.

Der Presse geht es schlecht. Rund 3000 Stellen wurden in den letzten zehn Jahren abgebaut. Schon am ersten Tag erreichte die «Republik» ihr Crowdfundig-Ziel. Seit 2018 publiziert sie täglich 1-3 neue Artikel. Das inspiriert. In Bern werden die Redaktionen der «Berner Zeitung» und des «Bundes» zusammengelegt. Eine fünfzehnköpfige Gruppe von Medienschaffenden hat sich unter dem Namen «Neuer Berner Journalismus» nun dran gemacht, ein lokales Onlinejournal «Hauptstadt» zu gründen. Das «lokaljournalistische Labor» sucht tausend Erstabonnent:innen und nennt für ihr Unterfangen ganz ähnliche Gründe, wie damals die Republik: nachhaltige Alternative zum Konzernjournalismus, werbefrei, Demokratie brauche journalistische Vielfalt.

Nicht schlechtreden

Natürlich ist mir das sehr sympathisch. Ich finde es spannend, dass hier zwischen den grossen Medienhäusern andere, mit neuen Ideen eine Nische finden. Und ich bewundere deren Mut. Trotzdem machen mich das Misstrauen gegenüber den Medienhäusern und die Skepsis gegenüber ihren journalistischen Produkten sehr besorgt.

Wenn es wahr ist – und ich glaube daran –, dass guter Journalismus für eine gute Demokratie notwendig ist, sollten wir ihn auch nicht all zu leicht schlecht reden.

Was sich Fellner und die Kurz-Entourage offenbar geleistet haben, ist allerhand. Aber: Die Ermittlungen gegen Sebastian Kurz wurden angestossen durch einen brisanten Artikel in der Wochenzeitung «Falter». Kein grosses Medienhaus, linksliberal. Aber weder ein Crowdfundingprojekt noch eine Genossenschaft.

Dass Ippen die Recherchen des eigenen Investigativteams zurückhalten wollte, ist eigenartig, verdächtig und mindestens eine ungebührliche Einmischung des Verlags in die Redaktion. Aber: «Der Spiegel» hat sie veröffentlicht. Die Ergebnisse konnten eben nicht zurückgehalten werden.

Meinungsmacht

Und die Medienvielfalt in der Schweiz? Kontrollieren Tamedia, Ringier und NZZ tatsächlich unsere Meinungsbildung? Ein Blick auf den Medienmonitor zeigt, dass es so einfach nicht ist. Unter den Top 10 der einflussreichsten Medienmarken in der Deutschschweiz rangieren nur zwei Zeitungen: «20 Minuten» (Platz 2) und der «Blick» (Platz 6). Meinungsmacht-Leader ist SRF 1. Gefolgt von lauter öffentlich-rechtlichen Sendern aus der Schweiz und Deutschland.

Tamedia (neu TX Group) mit «20 Minuten» und Ringier mit dem «Blick» sind also nicht die Bedrohung für eine demokratische Willensbildung, sondern die einzigen nicht-öffentlich-rechtlichen Anbieter, deren Medienmarken innerhalb der Deutschschweiz wirklich meinungsbildende Kraft entfalten. Die NZZ, der «Tagesanzeiger», die «Basler Zeitung», die «Berner Zeitung» oder der «Bund» sind nicht das Problem unserer Demokratie, sondern wichtige Stimmen, die selbst, nebst vielen regionalen Zeitungen, unsere Medienvielfalt darstellen.

Qualität und Wert

Wer also nebst seinem Tagi-Abo oder ihrem NZZ-Abo auch die «Republik» oder die «Hauptstadt» unterstützt, tut etwas Gutes. Mehr guter Journalismus ist immer besser. Wer diese aber unterstützt und gleichzeitig sein Zeitungsabo kündigt, schwächt, was wir alle zusammen stärken sollten. Unserer demokratischen Kultur willen.

Weil unsere öffentlich-rechtlichen Medien derart gut sind, ist uns das vielleicht manchmal zu wenig bewusst. Tatsächlich rangieren die Öffentlich-rechtlichen ganz weit vorne im Qualitätsranking der Berichterstattung. Zusammen mit der NZZ, «Le Temps», der «Aargauer Zeitung» und dem «Tagesanzeiger». Weit hinten sind die Gratiszeitungen: «Blick», «20 Minuten» und «Watson». Das ist beunruhigend. In der Deutschschweiz ist «20 Minuten» nämlich bei den 15-29-Jährigen die führende  Meinungsmacht. Die Gratiszeitung hat mehr Impact als SRF 3 (Platz 2), SRF online (Platz 3) und «Radio Energy» (Platz 4) zusammen. Und auf dem 5. Platz steht der «Blick». Aber zwischen den darauffolgenden SRF-Produkten finden sich ebenfalls die NZZ und der «Tagesanzeiger». Und das lässt doch insgesamt hoffen. Und ist vielleicht eine gute Idee für ein Weihnachtsgeschenk. Noch besser als Digital-Abo.

 

 

 

3 Kommentare zu „Schlechte Presse?“

  1. Warum berichten die sogenannten Qualitätsmedien wie TX-Group, NZZ und andere zunehmend tendenziös? Wie im Fall von Jolanda Spiess-Hegglin um nur ein Beispiel zu nennen. Meiner Meinung setzen diese Medienhäuser immer mehr auf Clickbait und nicht auf eine neutrale, unabhängige Berichterstattung.

    Die nationale und internationale Berichterstattung in den Printmedien gleichen sich immer mehr und sind bei der TX-Group praktisch identisch. Da fehlt mir die Abwechslung. Wenn immer die gleiche (kleine) Gruppe Jouranlist:innen über ein Thema schreiben, wird es eintönig. Ja, ich weiss, aus Kostengründen und so…

    Die TX-Group streicht in Bern die Regionalredaktionen zusammen. Auch hier leidet die Medienvielfalt meiner Meinung darunter sehr.

    Aus meiner Sicht stärken die Gratiszeitungen unsere demokratische Kultur überhaupt nicht. Im Gegenteil sie sind aktiv an deren Zerstörung beteiligt. Die übrigen Printmedien können (und wollen?) dem nicht in dem Masse nachkommen, wie es eigentlich gut wäre. Ich sehe nicht ein, warum ich Medienhäuser mit einem Abo unterstützen soll. Unter anderem solche, die trotz Coronahilfsgelder Bonis ausbezahlen.

  2. „Am Anfang war das Wort“ – und heraus kam die Presse. gemäß Bibel lautete das erste Wort „es werde Licht“. aber Gott hat eine schlechte Presse. hier eine Korrektur:

    G L A U B E & W I S S E N
    (Jürgen Friedrich, 20.10.21)

    Besser als wehleidige Erinnerung gefällt mir optimistische Vorschau, die herausfordert zu unterscheiden zwischen Glaube & Wissen. Beide sind einander ähnlich wie SEIN & WERDEN, wie Mann & Frau, wie Vergangenheit & Zukunft – trotz jeweils geradezu diametraler Gegensätzlichkeit. Dazu ein paar Stichworte :

    Gegensatz oder Mathematische Gleichung ?

    Glaube + Wissen + Überzeugung + Gewissheit = SEIN + WIRKLICHKEIT = INFORMATION = INSPIRATION

    Die Glaubens-Definition

    „Echter Glaube stützt sich auf Überzeugungen zu Beweisen der Wirklichkeit, die man nicht sieht“

    wird zu Wissen für alle, die diesen Satz gelernt haben. Aber weiß man damit auch, wozu „echter Glaube“ gut sein soll?

    Die „Wirklichkeit des Seins“ stellt größere Glaubens-Anforderungen an den Betrachter als nur die Antwort auf die Frage: „Was ist echter Glaube?“

    Mathematisch ähnelt die Gleichung

    SEIN + GLAUBE = INFORMATION

    der ‚Quadratur des Kreises‘. Die Gleichung lässt allerdings offen, ob es Leben gibt und erst recht, ob es einen Sinn des Lebens gibt. Denn Leben findet statt nur in der Gegenwart. Gegenwart hat ihren Platz nur zwischen Zukunft und Vergangenheit, ist also ein Ort ohne zeitliche Ausdehnung und taugt damit als „unsichtbarer Beweis“, dass Gegenwart (ebenso wie Leben ?) nichts weiter ist als ein Wort zur Bezeichnung der Schnittstelle von (toter) Zukunft und (toter) Vergangenheit.

    Darum gehört zur ‚geglaubten Wirklichkeit im Sein‘ die Erleuchtung, wozu denn das gut ist.

    Na, zum Lebenssinn!

    ERLEUCHTUNG ist aber nur eine weitere Funktion des Wortes ES WERDE LICHT, was uns „zurückwirft“ auf den Anfang der Bibel.

    À propos Bibel – das Neue Testament verkündet in Johannes 3,16 „allen, die glauben, EWIGES LEBEN zu haben“. Vollerwerbschristen pflegen das zu deuten als Synonym dafür, dass der Glaubende nicht stirbt. Andere „Übersetzer“ machen daraus ‚die Ansage‘, das Ewige Leben finge (erst) nach dem Tode an. Für mich ‚glaubt es sich sprachlich einfacher‘, das „ewige Leben hat mich“, solange ich lebendig bin. Das macht mich sehr zufrieden. Und dankbar.

    Glaube + Wissen zusammen verwandeln die Wirklichkeit zur Gewißheit, dass das Wissen der Wissenschaft nicht ausreicht, LEBEN als Zugang in die Transzendenz Gottes darzustellen. Das geht nur über den Glauben. (Was zu beweisen war .)

  3. – immerhin scheut Ihr das Glatteis auch bei sinkenden Temperaturen nicht….! Die Verkünder des Glaubens (auch die Reformierten) sind quasi von Geburt an das pure Gegenteil einer freien Meinungsäusserung. Man denke da etwa die mit rund 500 Jahren (zu spät!!) erfolgte Entschuldigung bei den Wiedertäuffern, die zu Huldrich Z. zeiten noch genüsslich ersäuft wurden. Oder an die von Schweizerbrüdern geführten „Kinderheimen“ in Kanada, bei denen (nur bei einem) 215 Kinderleichen ausgegraben wurden. Der strafende Gott, der – welch ein Zufall – immer auf Seiten der Mächtigen steht, ist keineswegs verschwunden …. auch die Wandlungen der Gesellschaft, die Wandlungen in den Medien sind ein „ongoing process“ und geschehen schneller als befürchtet. Den Beruf einer Pfarrerin, eines Pfarrers gewählt zu haben, verdient Bewunderung – ich könnte das nicht …. Auch das RefLab hier ist eine gute Sache! Wenn es aber zu „more conversation“ und direkt zur Meinungsvielfalt beitragen soll, muss es auch böse Beiträge geben und entsprechend pointierte Antworten …..
    P.S.: Ich bin ein Bewunderer Sam Clemens, der unter dem Pseudonym Mark Twain viel geschrieben und veröffentlicht hat. Oft war er wütend, anmassend und beleidigend: aber ehrlich und offen.

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