In den frühen 1980er Jahren hat Neil Postman mit seinem Buch «Wir amüsieren uns zu Tode: Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie» eine kritische Zeitanalyse vorgelegt, die für einigen Wirbel gesorgt hat. Er untersucht die Auswirkungen des Fernsehens und der Massenmedien auf die Gesellschaft und kommt zu einem vernichtenden Fazit:
Fernsehen und moderne Massenmedien sind primär darauf ausgerichtet, zu unterhalten, anstatt zu informieren oder zu bilden. Diese Dominanz der Unterhaltung verändert, wie Menschen Informationen aufnehmen und verarbeiten: Der öffentliche Diskurs verflacht, komplexe Themen und tiefergehende Diskussionen werden vermieden, da sie nicht dem Unterhaltungsformat entsprechen.
Längst hat nach Postman das Showbusiness-Modell des Fernsehens auf alle Bereiche der Gesellschaft übergegriffen, einschließlich Politik, Bildung und Religion. Politiker, Lehrer und religiöse Führer passen ihre Kommunikation an, um den Erwartungen eines durch Unterhaltung geprägten Publikums gerecht zu werden…
Manuel und Stephan unternehmen zuerst einen Spaziergang in die Vergangenheit, um sich die Unterschiede in der Freizeitgestaltung ihrer Grosseltern und Eltern klarzumachen. Seit Neil Postmans Buch sind mehrere Jahrzehnte vergangen – das Fernsehen wurde längst durch Streamingplattformen und Social Media eingeholt, die unser Leben noch lückenloser einnehmen können.
Könnte es sein, dass Christentum unserer Zeit nicht durch eine nächste Weltanschauung oder Ideologie bedroht wird, sondern durch die permanente Ablenkung in einer Unterhaltungs- und Multimedia-Gesellschaft, welche die grossen Fragen des Lebens gar nicht mehr aufkommen lässt?
8 Gedanken zu „Ist die multimediale Ablenkung der grösste Feind der Religion?“
Durch die permanente Ablenkung und Unterhaltung wurde die Christenheit in der Moderne schon immer bedroht. Christlicher Glaube verlangt tagtäglich eine intensive Hinwendung zum Ewigen, wenn die Seele geheiligt werden soll.
Zu einer Verflachung des Glaubens ist es bereits infolge Luthers Missverständnis der Gnade gekommen. Ich weiß aus Erfahrung und Erkenntnis, dass ein oberflächlicher “Glaube” nichts bringt. Deshalb weise ich immer wieder auf die existentielle Notwendigkeit einer tiefen spirituellen Praxis hin: https://manfredreichelt.wordpress.com/
Wow, was für ein Abschluss. Beim Zuhören heute Morgen wollte ich wieder mal mitdiskutieren, widersprechen, ergänzen.
Gerade mit Blick auf Postman finde ich, dass es schon zu einer Banalisierung des Expertentums gekommen ist. Da war das TV erst der Anfang. Früher war nicht nur alles besser, sondern es waren wenigstens alle „nur“ Bundestrainer. Heute sind nahezu alle ExpertInnen für alles. Infektionen, Impfstoffe, Migrationsgefahr, Weltuntergang, Börsenglück, gesundes Leben, Apologetik, Mainstreammedien, Politik – YouTube, TikTok, Facebook & Co. bieten ganze Heerscharen von Meinungen und Mindsets. Leider, und da würde ich Postman schon recht geben, wächst mit der Vielfalt der Angebote nicht automatisch die Kompetenz der Rezipienten, diese auch einzuordnen.
Und natürlich haben Digitalisierung und Social-Media das traditionelle Christentum schon längst abgelöst. Keiner muss mehr in einen Gottesdienst gehen, um eine gute Predigt zu hören. Die Meinungs- und Überzeugungsgemeinden treffen sich fröhlich in ihrer digitalen Blase und zelebrieren Selbstbestätigung und Selbstvergewisserung. Im digitalen Plenum gibt es theologisierte Rede und Gegenrede im Video- oder Podcastformat, begleitet von Likes und Entwertungen jeglicher Art.
Denn nicht nur unser Leben hat durch die dauerhafte digitale Beschallung enorm an Fahrt aufgenommen, sondern auch die Diversifizierung der traditionellen Gemeinden. Dank Corona, Teams und Zoom treffen wir uns nicht mehr persönlich, sondern in Videocalls und -konferenzen. Beruflich und gemeindlich.
Vielleicht müsste Kirche auf das schauen, was dem Fußball trotz Corona gelungen ist: Weiterhin strömen Tausende am Wochenende in die Stadien, trotz Sky, DAZN, ran und Sportschau. Da gibt es keine Wiederholung, beim Warten auf den Entscheid vom Videoschiedsrichter sitzt man einfach nur „dumm“ herum, und wenn man nicht aufpasst, verpasst man wichtige Szenen ganz. Nicht selten geht in den wichtigen Momenten jemand an einem vorbei, um sich das nächste Bier zu holen, die Sitze sind kalt und unbequem, es kostet richtig viel Zeit. Trotzdem versammeln sich Menschen aller Generationen, Gesellschaftsschichten und Nationalitäten regelmäßig im Stadion: weil es einfach viel, viel *geiler* ist, mit 50 TSD im Stadion die Vereinshymne zu singen. Analog, im Stehen.
Ein Letztes: Ja, wo Kirche draufsteht, sollte auch Kirche drin sein. Es muss wieder ein stärkeres „Markenbewusstsein“ geben für das, was wir tun und anbieten. Und ich stimme Stephan absolut zu: Wir sollten Unterhaltung nicht mit Gottesddienst vermischen. Sommerfest ist Sommerfest. Ich lese Postman an dieser Stellen so, dass er genau das kritisiert. Dass sich die frommen Angebote im TV eben nicht mehr von der Talk- oder Gameshow unterscheiden und es dadurch für den Zuschauer kaum noch einen Unterschied gibt.
In diesem Sinne einen tollen Sommer. Und im nächsten Jahr dürfen dann die HörerInnen von „Ausgeglaubt“ mal ihre TOP 10 für die Sommerpause voten.
Danke lieber Sven-Erik für deine ermutigende und weiterführende Rückmeldung! Und ja, super Idee: nächsten Sommer wählt ihr die TopTen!!!
Der Pfarrer als Influencer: berühmt, gut aussehend (dank nachhelfen), sicher nicht im Talar und Beffchen, mit product placement. Was Bildbearbeitung für den Influencer ist ChatGPT für den Pfarrer.
Es ist schon so, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne nachgelassen hat seit den Siebzigern. Bücher werden weniger gelesen, Facebook ist unter Jungen verpönt (textlastig und überaltert), Instagram zu statisch. TikTok ist in, weil es kurze Videos sind: kein Tippen, keine statischen Bilder, und kürzer als YouTube.
Aber wir sprechen eigentlich immer über die Form. Vielleicht sollten wir mehr über den Inhalt sprechen. Gerade bei der Kirche.
Alle Mittel unserer schon fast übernatürlichen Technik werden heute im Generalangriff auf das Schweigen eingesetzt.
– Aldous Huxley, 1944 (vor 80 Jahren!)
Die Stille, die doch Gottes Muttersprache ist, kommt uns immer mehr abhanden. Da müssen wir aktiv gegensteuern. Hilft uns die Kirche dabei?
Vielen Dank für die tolle Folge einer hervorragenden Reihe.
Ich möchte hinsichtlich der Eigenlogik der Medien bzw. der Medialität noch auf zwei spannende Medienphilosophen hinweisen, zu denen ich selbst promoviere, und zwar Dieter Mersch und Sybille Krämer, bes. auf folgende Werke.
– Sybille Krämer, Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität, Frankfurt a.M. 2008.
– Sybille Krämer, Medienphilosophie des Digitalen. Warum und wie die Philosophie über das Digitale reflektieren sollte, aber dies so wenig tut, in: Sybille Krämer/Jörg Noller (Hg.), Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden (Philosophia Digitalis 1), Paderborn 2024, 3–30.
– Dieter Mersch, Ereignis und Aura. Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M. 2002.
– Dieter Mersch, Res medii. Von der Sache des Medialen, in: Till A. Heilmann/Anne von der Heiden/Anna Tuschling (Hg.), medias in res. Medienkulturwissenschaftliche Positionen (MedienAnalysen 6), Bielefeld 2011, 19–38.
Meine Promotionsarbeit beschäftigt sich in Auseinandersetzung mit Paul Tillich damit, wie diese medienphilosophische Ansätze für ein evangelisches Sakramentsverständnis fruchtbar gemacht werden können.
Wunderbar – vielen Dank für die Rückmeldung und die beiden super Literaturhinweise!
Erst mal vielen Dank für alle die tollen Stunden und Gedankenanstöße die euer Podcast mir über die letzten Jahre bereitet hat!
Es ist nun schon ein paar Wochen her das ich die Folge gehört habe, aber gerade bei der Lektrüe von “Bowling Alone” von Robert D. Putnam und den Zahlen die er zum Thema Medienkosum (vor allem TV, das Buch ist von 2000) vorbingt musste ich nochmal an Stephans Aussagen denken. Ich kann euch die Lektüre nur empfehlen. Ganz anders als beim Zeitung lesen, gibt es doch sehr deutliche Indizien das Fernsehen (und damit ganz sicher auch Internet und Smartphones) einen starken negativen Einfluss auf bürgerliches Engagement und damit auch auf die Kirche haben.