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 Lesedauer: 4 Minuten

Schadenfreude

Die Schadenfreude war spürbar, als am 2. Oktober bekannt geworden ist, dass Trump sich mit Covid-19 angesteckt hat. Nicht alle Reaktionen auf Twitter und den anderen Sozialen Medien waren souverän.

„Endlich etwas, dass an Trump positiv ist!“ „Ob sie ihm jetzt Desinfektionsmittel intravenös verabreichen?!“

Ich habe selbst auch Schadenfreude empfunden. Und Sensationslust: Was, wenn das nur wieder eine Finte ist? Wenn es gar nicht stimmt? Wenn es Trumps verzweifelter Versuch ist, die Wahl doch noch zu gewinnen? Oder: Was wenn er daran stirbt?

Sofort waren die Moralapostel zur Stelle, die uns darüber aufklärten, dass unsere Freude an der Erkrankung des US-Präsidenten sehr tief blicken lasse. Auch dem politischen Gegner dürfe man solches nicht wünschen. Angesichts der Pandemie brauche es unsere Menschlichkeit, nicht Häme oder Hass. Aber ich konnte mir nicht helfen. Ich fand das irgendwie gut. Und wusste gleichzeitig, dass es falsch ist.

Besonders treffend hat Nadja Bolz-Weber diese Gefühlslage ausgedrückt:

Es gibt Fakten

Sicher: Es ist nicht fein, sich über die Krankheit eines anderen Menschen zu freuen. Und schon gar nicht öffentlich, mit der unausgesprochenen Erwartung, dass sich andere dieser Freude anschliessen. Gleichzeitig glaube ich, dass nicht alles an dieser Schadenfreude falsch ist. Denn nebst dieser offenen und zur Schau getragenen Freude, in Form von Spott und Häme, gibt es eine kleinere, stille Freude: Ah, es gibt so etwas, wie ausgleichende Gerechtigkeit!

Trump hat 2016 behauptet: „Ich könnte mich auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen und würde keinen Wähler verlieren, das ist unglaublich.“ Die letzten vier Jahre haben gezeigt, dass das stimmt. Nichts, was nach allen Massstäben die je für einen US-Präsidenten gegolten haben, zu seiner politischen Destabilisierung hätte führen müssen – offene Lügen, Beleidigungen, augenscheinliche Inkompetenz, Schweigegeld an Sexaffären – hat ihm im geringsten geschadet. Als „Anti-Statesman“ galt er nur als umso authentischer.

„Trump lügt? Alle lügen! Aber er lügt unterhaltsamer.“

Der Präsident, der behauptet hatte, dass Covid-19 auf mirakulöse Weise einfach verschwinden würde, der suggerierte, dass die Angst vor der Pandemie eine Erfindung der Demokraten sei, sich in der Öffentlichkeit demonstrativ ohne Maske zeigte, wird von der Realität eingeholt. Das ist beruhigend. Es gibt, nebst und nach Trumps Fake News-Nebelpetarden, eine Wirklichkeit, innerhalb derer Fakten geschaffen werden.

Gute Schadenfreude

Schadenfreude geht nicht durchwegs auf niedere Motive zurück. Zwar gibt es eine Schadenfreude, die sich aus dem Neid an einer Person speist. Wenn der Millionär aus der Nachbarschaft seinen neuen Sportwagen zu Schrott fährt. Wenn die redegewandte Kommilitonin, der alles viel zu leicht von der Hand geht, am Multiple-Choice-Test scheitert. Diese Freude ist keine Freude, sondern ein Persönlichkeitsentwicklungsdefizit. Sie ist das Resultat von Minderwertigkeitskomplexen.

Gute Schadenfreude hat eine gesellschaftsintegrierende Kraft. Max und Moritz werden von Bauer Mecke erwischt, als sie Löcher in seine Getreidesäcke schneiden. Er  bringt sie zur Mühle, wo der Müller sie in der Mühle zerschrotet. Die zwei Enten des Müllers fressen sie auf. Im darauffolgenden Epilog freuen sich die Opfer über das grausame Ende der beiden Übeltäter. Ihre Schadenfreude ist mehr, als die Erleichterung darüber, nicht mehr von den Streichen der beiden Strolche geplagt zu werden. Es ist die Freude an einer höheren Gerechtigkeit:

„Witwe Bolte, mild und weich, sprach:
‚Sieh da, ich dacht es gleich!‘
‚Ja, ja, ja!‘ rief Meister Böck,
‚Bosheit ist kein Lebenszweck!'“

Die Freude darüber, dass Trump positiv auf Covid-19 getestet wurde, mag hämisch wirken. Wie Witwe Bolte. Aber im Kern bedeutet sie Erleichterung darüber, dass es die Welt noch gibt, dass keiner sie einfach so verdrehen kann, wie es ihm passt.

Überwindung

Ob uns das Lachen dieser Erleichterung vielleicht im Hals stecken bleibt? Trump jedenfalls hat sich am Montagabend bereits als messianischer Überwinder von Covid-19 inszeniert. Als starker Führer, der das Risiko auf sich genommen hat:

„Ich wusste, dass es gefährlich ist, aber ich musste es machen. Ich stand da draussen, ich führte. Kein Führer würde das nicht machen. Und ich weiss, dass es ein Risiko ist, dass es eine Gefahr ist, aber das ist okay. Und jetzt fühl ich mich besser, und vielleicht bin ich immun, wer weiss?“ Alles für sein Land, für das Volk. Und er ruft zur Nachfolge auf: „Lasst es euch nicht dominieren, geht da raus, seid vorsichtig.“

In der Welt habt ihr Angst. Ich habe die Welt überwunden.

Ziemlich sicher wird uns keine höhere Gerechtigkeit, kein Schicksal und kein Gott von diesem irren Despoten erlösen. Im Gegenteil: Jene die daran am meisten glauben – die Evangelikalen – könnten ihm abermals zum Sieg verhelfen. Trump darf nicht einem Schicksal zum Opfer fallen. Er muss durch die Demokratie selbst überwunden werden.

 

Bild: Charles Deluvio auf Unsplash

4 Kommentare zu „Schadenfreude“

  1. Diesen Zwiespalt nehmen viele in sich wahr.
    Danke für den Hinweis und für die gute Plausibilisierung.

    Wenn Trump überlebt, wird seine dann noch zunehmende Schar dem „Gesalbten“ weiter folgen.

    Die Anderen stehen weiterhin vor dem Rätsel, ob es Fake war oder nicht.

    Wenn Trump stirbt, könnte seine Schar ebenso größer werden, weil ihr Verschwörungspotenzial nochmals verstärkt wird.

    So oder so. Die Kluft wird breiter.

    Es bleibt spannend. Schwer zu sagen, wohin es bei den Wahlen kippt…

  2. Bei Nadja Bolz.Weber ist die Ambivalenz spürbar und authentisch. Im Rest dieses Artikels finde ich das nicht. Max und Moritz als Grundlage einer legitimierten, ehrbaren Ethik, so zu sagen als gelungenes Beispiel für ausgleichende Gerechtigkeit heran zu ziehen? Ja, wem das als Standart genügt …..
    Etwas erscheint mir aber als grosser Trugschluss, zu Glauben Jeder der sich brav an Alle Vorschriften halte sei dadurch 100% vor Allem Übel geschützt und das suggeriert diese Haltung unterschwellig und wird dadurch mehr als tendenziös. Ja, es gibt das Zitat : Wer mit dem Feuer spielt ,kommt darin um, aber es gibt auch noch ein Anderes: Wer Stehe, der sehe zu, dass er nicht Falle. Schadenfreude zu empfinden, geschieht, sozusagen als Reflex, bei all dem Trump Frust, diese aber zu Rechtfertigen durch einen Rundumschlag? Ob das die grosse Schule der Ethik oder der Feindesliebe ist?

  3. Es gibt ihn, den relevanten Unterschied, kollektiv-individueller Erfahrung, samt Folgen von
    👉“Schadenfreude“ ↔ „Gerechtigkeit“👈

    Ersteres erscheint anfangs süß und wird zunehmend bitter
    Letzteres erscheint anfangs bitter und wird zunehmend süß.

    Bittere und süße Geschmackswahrnehmung entwickeln sich bereits vor unserer Geburt.

    Analog dazu verhält es sich im biopsychosozialen Handeln, bestimmt vom Denken und Reden.

    Die prophetische Klage drückt dies so aus: „Wehe denen, die das Böse gut nennen und das Gute böse, die Finsternis zu Licht machen und Licht zu Finsternis, die Bitteres süss machen und Süsses bitter!“ (Jes.5,20).

    Und der Lieblingsjünger hört die Worte aus dem Himmel: „Iss die Worte. Sie sind süß im Mund und liegen bitter im Magen“ (frei nach Offb. 10,9-10)

    Mut (Zivilcourage) zeigt sich für mich darin, wahrhaftig Demut, Sanftmut und Langmut sprachhandelnd leben zu lernen.
    🙋‍♂️

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