Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 4 Minuten

Post-Hope-Zeiten … und wie ich nicht durchdrehe

«Flood them with hope!»So halten wir in dieser Passionszeit gegen die Dauerflut eskalierender Nachrichten. Wir verweigern uns der Medienstrategie, mit der uns die Autokraten dieser Welt eine diffuse und lähmende Angst einjagen wollen. Wir lokalisieren die Angstauslöser und rufen trotzig:

«Von euch lassen wir uns nicht ängstigen!»

Nicht zur Hoffnung verpflichtet

Ja, es tut mir gut, für ein paar Momente achtsam auf die immer noch vorhandenen schönen Seiten des Lebens zu werden. Aber Hoffnungsflut will bei mir nicht reinschwappen. Sind solche Übungen am Ende ein Privileg derer, die bisher noch nicht viel abbekommen haben, wenn Demokratie, Frieden, Menschenrechte, Klima, Globalisierung, Wirtschaft usw. den Bach runtergehen? Bin ich, sind die christlichen Kirchen berechtigt, ja überhaupt verpflichtet, die Hoffnung hochzuhalten?

Meine Hoffnungen sind zu schwach, um mit ihnen die Furcht vor kleinen und grossen Untergängen zu vertreiben.

Ich brauche einen anderen Umgang mit meinen Ängsten.

Hoffnung im Stand-by-Modus

Ich dachte lange, ohne konkrete Hoffnung würde ich verzweifelt durchdrehen. Daher ging viel Energie dahin, die Hoffnung wieder zu finden. Bis ich bereit war, sie loszulassen und mich mit ihrer kleinen Schwester zu verbinden: Zuversicht. Oder vielleicht noch besser: Trotzkraft zum Aushalten.

Es gibt Zeiten, individuelle wie kollektive, in denen das Hoffen erst mal auf Stand-By zu schalten ist, weil das Stand- und Raumhalten gefragt ist.

Ich glaube, solche Zeiten durchleben wir gerade. In ihnen kommt alles darauf an, dass wir Ängste und Verzweiflung aushalten lernen. Was hat mir dabei geholfen?

Die Angst durchkreuzen

Der Glaube an den verängstigten Christus ist für mich eine grundlegende Ressource im Umgang mit Ängsten. Und es ist äussert passend, dass «Flood them with hope!» in der Passionszeit stattfindet. Dorothee Sölle hat es einmal so beschrieben:

«In Jesu Passionsgeschichte wird eine entscheidende Wendung vollzogen: die Wendung von der Bitte, verschont zu bleiben, zu dem verzweifelt klaren Bewusstsein, es nicht zu werden. Der Weg von Gethsemane nach Golgatha ist der Abschied von der (narzisstischen) Hoffnung.»

Für mich war es sehr wichtig, die Angst vor dem Tod meiner Frau anzuschauen und mir klarzumachen, dass ich nicht umhinkomme, sie zu durchqueren. Ansonsten hätte mich diese Angst fertig gemacht. Ich wende das mittlerweile auch auf all die Krisen unserer Zeit an. Wir werden nicht verschont werden. Die Dinge werden sich ändern, und es wird uns etwas kosten.

5 nach 12 ist mein Lebensmodus

Manchmal, wenn es mal wieder 5 vor 12 sein soll, erinnere ich mich daran, dass wir eigentlich um 5 nach 12 leben. Der apokalyptische High Noon liegt gewissermassen auch hinter uns.

Etwa die grosse Flut, von der viele religiöse Untergangserzählungen berichten. Diese uralten Geschichten erinnern uns daran, dass wir überlebt haben und daher immer auch als Davongekommene durch das Leben gehen.

Mich macht der Blick auf die überstandenen Untergänge gelassener und irgendwie auch grosszügiger, wenn ich sehe, was auf uns zukommt. Ich formuliere dann Sätze in der Zeitform des Futur 2: Wir werden in die Antworten hineingelebt haben; wir werden es überlebt haben; unser Leben wird eines Tages unter neuen Bedingungen aufgeblüht sein.

Prophylaktische Apokalyptik

Seit Menschengedenken erwachsen aus den apokalyptischen Ängsten jene kreativen Kräfte, mit denen der Untergang abgewendet wird. Wie eruptiv das sein kann, sahen wir an Bewegungen wie „Fridays for Future“. Wie leise das gehen kann, sehen wir an manchen Gerichten in den USA, die dem Präsidenten Einhalt gebieten. Eine prophylaktische Apokalyptik lässt Menschen millionenfach neue (Apfel)Bäumchen pflanzen.

Es gibt einen selbstvergessenen Mut der Verzweiflung, der zu dem führen kann, was man nicht mehr zu hoffen wagte.

Freundschaftliche Erinnerungen

Bei mir sind es letztlich andere Menschen, die mich die Zeit nach den enttäuschten Hoffnungen aushalten lassen, bis die Zeit für neue Hoffnung wieder reif ist. Autor:innen wie Volker Gerhardt, die einfach mal über die Wirkmacht der Liebe schreiben:

«Mögen Hass, Neid oder Habsucht Kriege erzeugen und für die alle Krisen überdauernde Vollbeschäftigung der Juristen sorgen: Das Ausmass und die Vielfalt der sozialen Folgen der Liebe werden von keinem anderen Gefühl übertroffen.»

RefLab Kolleg:innen, die auf die Idee kommen, kleine Geschichten zu erzählen, in denen sich das Leben unauffällig breitmacht und durchsetzt. Sie halten mir damit das offen, was für mich Hoffnung bis auf Weiteres sein kann:

Der Sinn für die Möglichkeit des Guten.

Foto by jplenio on pixabay

5 Gedanken zu „Post-Hope-Zeiten … und wie ich nicht durchdrehe“

  1. Wunderbare Zeilen und Gedanken. Die Hoffnung ist für mich immer wieder wie ein kleines, zartes Pflänzchen, das ich behüten will, das ich pflegen will, um dessen Fragilität ich zärtlich weiss. Hoffnung in diesen Zeiten ist für mich leise. Sie öffnet aber auch die Augen für die kleinen Momente, die doch dann so beständig und so kreativ beflügeln.
    Hoffnung ist für mich keine Leistung, die ich vollbringen muss; sondern Hoffnung ist etwas, das seinen Weg oft unbemerkt in mein Herz findet.
    DANKE.

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    • Vielen Dank für diese Gedanken, in denen das, was Hoffnung sein kann, noch einmal vertieft wird. Gerade das Bild vom fragilen Pflänzchen beschreibt für mich in diesen Frühlingstagen so treffend, wie wir mit der Hoffnung umgehen können, wenn sie uns leise zuwächst.

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  2. Ein beeindruckend feinfühlig geschriebener Artikel!
    Wie ich im Kommentar zu dem ebenfalls sehr anregenden Artikel “Die Evolutionsidee” bemerkt hatte, steuert unsere freiheitlich-demokratische Zivilisation AUF DEM AUGENBLICKLICHEN KURS tatsächlich gegen die Wand oder richtiger, auf ihre Ablösung durch ein rivalisierendes Gesellschaftsmodell.

    Da die (undemokratischen) Kräfte, die diesen suizidalen Kurs bestimmen, mitten im freien Westen leben, lässt sich durchaus noch etwas zum Guten ändern.

    Genau genommen wird sich bei Gelingen nicht nur etwas, sondern sehr vieles zum Guten ändern. Denn das Grundproblem unserer Zivilisation besteht darin, dass Personenkreise existieren, die nicht nur dazu gewillt sind, sondern auch in der Lage, die Bürger des freien Westens am Lernen aus historischen Fehlern zu hindern. Dadurch ist es zu einer Akkumulation von Fehlentscheidungen gekommen, ja, zur Kreation ganzer falscher Ideologien.
    Aber das Maß ist jetzt voll, der Bogen ist überspannt. Jeder weitere Versuch, die Bürger auf einen irrationalen Kamikazekurs zu führen, kann schon der letzte sein. Denn das Misstrauen wächst – und das ab einem bestimmten Punkt der Übertreibung explosionsartig. – Das hat nichts mit Gewalt zu tun. Im Gegenteil, der Stimmungsumschwung wird so viele Menschen erfassen, dass sie die Mehrheit bilden und alle Weichen demokratisch in die richtige Richtung stellen können.

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