Dein digitales Lagerfeuer
Dein digitales Lagerfeuer
 Lesedauer: 4 Minuten

Manchmal trägt Gott Badekappe

Es war um die Mittagszeit, als ich Gott begegnete. Sie stand hüfttief im warmen Wasser und kreiste gemächlich die Hüften.

Ihr Badeanzug mit den knalligen Applikationen verströmte fröhliche 80ies-Vibes. Ein verblichenes Fledermaus-Tattoo linste frech von ihrem rechten Schulterblatt.

Spätestens jetzt wusste ich mit Sicherheit, zu wem die glitzernden Crocs neben der Dusche gehörten.

Das gehört zum Altwerden dazu

Sie strahlte mich an und flutete den Raum mit Sonnenschein. Natürlich kamen wir ins Gespräch.

«Bei mir ist es eine Multisystem-Erkrankung.»
– «Bei mir Lungenkrebs.»

Was man halt so bespricht im Therapiebad.

«Oh. Lungenkrebs.» sagte ich und schluckte. Doch Gott strahlte immer noch: «Das kann alle treffen, so ist das halt.»

Es sei nur um die Haare schade, und wegen den Enkelkindern, alles andere gehöre zum Leben und ganz besonders zum Altwerden dazu.

Von Urzeitechsen und wortlosem Kreuzen

Das nächste Mal begegnete ich Gott, wie er vorsichtig Fuss vor Fuss setzend von der Dusche zum Becken tappte. Aus seinem Rücken stachen bläulich schimmernde Wirbelsäulenknochen, als wäre er eine längst ausgestorbene Urzeitechse.

Während wir stumm nebeneinander unsere Längen schwammen, konnte ich durch die schütteren Haare auf seine Kopfhaut sehen. Welche Gedanken darunter wohl schon gedacht wurden?

Jedes Mal, wenn wir einander kreuzten, kreuzten sich auch unsere Blicke. Worte brauchte es dafür nicht.

Nach schweigsamen 30 Minuten wartete er an der Einstiegsleiter, bis ich auf gleicher Höhe war und murmelte dann leise: «Nur weitermachen.»

Er verliess das Bad so langsam, wie er gekommen war.

Film Noir…

Manchmal trägt Gott eine Badekappe, unter der sich ein silberfeiner Mireille-Mathieu-Bob versteckt. Früher ist ihr Lippenstift noch nicht in die feinen Fältchen um den Mund geflüchtet, früher war sie eine der ersten, die im Kanton Schwyz Bikini statt Badeanzug trug.

Heute ist es mir, als schwämme ich neben der Titelheldin eines Film Noir,

ein kurzer Moment heiliger Nostalgie.

… und Rettungsinsel

Manchmal lässt sich Gott auf dem Rücken treiben, der grosse Kugelbauch ragt aus dem Wasser wie eine Rettungsinsel. Er trägt einen mächtigen Schnauzer, an dem Wassertropfen glitzern, und ich finde, jedem Schnauzer stünde ein solcher Perlenschmuck ganz ausserordentlich gut.

Seine ewiggleiche Begrüssung: «Sind wir wieder gleich weit…» bekräftige ich jedes Mal mit einem kurzen Nicken.

So ist das halt, mit Gott und mir.

Nach diesen Begegnungen spüre ich nie Bedrückung, im Gegenteil:

Ich fühle mich jeweils wie ein von Hoffnung berstendes Elementarteilchen, ein Dazugehör-Wesen, bereit, allen Lebens-Widrigkeiten mit robustem Gemüt entgegenzutreten.

Die Verkörperungen Gottes

Und so schwimme ich fast jede Woche mit Gott, und fast jede Woche empfängt mich Gott in einer anderen Verkörperung.

Immer ist sie menschlich und meistens versehrt.

Manchmal ist sie melancholisch, oft lebensvoll (das könnte auch «älter» heissen), ab und zu gesprächig und selten gänzlich stumm. Ich mag alle Verkörperungen, auch wenn mir die einen näher sind als die anderen – weil sie mir ähnlicher sind.

Und die Begegnungen beschränken sich selbstverständlich nicht nur aufs Therapiebad (obwohl ich glaube, dass Gott oft im Wasser anzutreffen ist), denn:

Gott ist immer und überall.

Nur ich bin manchmal nicht und nirgendwo. Oder zumindest zu absorbiert, um Gott wahrzunehmen.

Das Allerheiligste – das Herz

Im Therapiebad jedoch bin ich ganz und gar, und auch Gottes Verkörperungen sind freisichtiger:

Die Umkleide offenbart Vergangenes und Katheter, Gegenwärtiges und Geschwulste und dünne Haut wie Pergament, durch die man direkt ins Allerheiligste, ins Herz hineinsehen kann.

Und dieses Allerheiligste offenbart sich wirklich, wirklich immer, wenn man es lässt.

Es braucht nicht viel – nur etwas Übung vielleicht

Es braucht keinen extra vorbereiteten, rituell eröffneten Raum, keine fix geplante Zeit, keine geistige Expertise, nicht einmal eine göttliche Berufung oder ein ewig-lang-kompliziertes Theologiestudium.

Es braucht nur die innere Bereitschaft, die vielfältigen Verkörperungen Gottes wahrzunehmen und, wenn man mag und Kapazität hat, auf sie zu reagieren.

Mir hilft es auch, mich in meiner eigenen Fragilität zu üben. Mich als eine weitere wunderbar-unvollständige Verkörperung zu verstehen und gebrauchen zu lassen.

… und sich an besonders durchlässigen Orten aufzuhalten, in einem Therapiebad zum Beispiel, das hilft ziemlich sicher auch…

 

 

 

Sarah Staub ist Pfarrerin in der evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz und selbst betroffen von einer multisystemischen Körperbehinderung. Sie veröffentlicht bei RefLab in loser Folge Artikel rund um die Theologie der Behinderung und ihre eigenen Erfahrungen damit. Sie schreibt über Mut und Kirchenhoffnungen, und auf ihrem Instagram Profil «die fromme Häretikerin» postet sie Illustrationen und Texte.

Das Beitragsbild ist von der österreichischen Nationalbibliothek auf Unsplash.

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