Fremd- und Eigenwahrnehmung stimmen selten überein. Dass Reformierte Kirche eine eher nüchterne, trockene Angelegenheit sei, aber glauben selbst viele, die ihr angehören.
Eine Kerze anzünden erscheint fast schon als zu viel der Ekstase.
Aber stimmt das heute noch? Bei einer Institution, die gleichzeitig im Ruf steht, liberal und weltoffen, vielleicht sogar «zu offen» zu sein? Einer Kirche, die mit ihrer «Bekenntnisfreiheit» Individuen in Glaubensfragen weitreichende Entscheidungsfreiheit zutraut.
Elysium – im Rausche der Schöpfung
Wie halten es eigentlich reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer heute mit göttlicher Ekstase? Erreichen sie diese mit oder ohne Substanzen? Kommende Woche startet in Zürich ein spannendes Festival, das Aufschlüsse geben will: «Elysium» von 3.-15. Juni im Offenen St. Jakob.
Zu erleben sind Auszüge aus einer LSD-Oper, Diskussionen über «Gipfelerfahrungen» mittels psychedelischer Substanzen, ein Workshop mit holotropem Atmen, Einblicke in «Meisterpflanzen» des Amazonas und ein Pfingstgottesdienst mit Tiersegnung («Tierisch wild. Im Rausche der Schöpfung»).
Pilze, LSD und Human Enhancement
Das von der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Zürich/Citykirche Offener St. Jakob initiierte Festival knüpft an den Bewusstseinstrend unserer Gegenwart an. «Ich denke, wir sind mit dem Thema nicht off the track», sagt die Theologin Franziska Bark Hagen. Sie hat das Festival gemeinsam mit ihren Kollegen Patrick Schwarzenbach und Verena Mühlethaler initiiert.
Von der Aktualität zeugt ein Artikel, der gerade im «New Yorker» erschienen ist. Es geht um mystische Erfahrungen unter Drogeneinwirkung. Die Überschrift lautet: «This Is Your Priest on Drugs».
Dein Priester auf Drogen
Dutzende Religionsführer – Rabbis, Priester, Imame, Zenmeister – schluckten im Rahmen einer akademischen Untersuchung Psilocybin, gewonnen aus Magic Mashrooms – psychedelischen Pilzen.
Das Ergebnis: Viele Geistliche halten das im Trip Erlebte interessanterweise für tatsächlich real.
Ein weiteres spannendes Ergebnis der Studie: Die meisten haben das Göttliche als nährend und weiblich erfahren.
Einige meinten hinterher sogar, sorgfältig angeleitete Psychedelika-Einnahme könnte wieder mehr Sinn und Geschmack für Mystik in Kirchen bringen. Im «New Yorker» heisst es zugespitzt:
«Many are now evangelists for psychedelics.»
Kritiker:innen wenden ein, dass sich verinnerlichte Einsichten aus gelebter Erfahrung kaum über drogengestützte (Gipfel-)Erlebnisse erreichen liessen, quasi auf dem Weg der Abkürzung.
Billionengeschäft
Ebenfalls aktuell ist eine Meldung aus den USA über leistungssteigernde Substanzen. Die «Zeit» berichtet von Milliardären, die in Las Vegas gedopte Spitzenathleten gegeneinander antreten lassen – und ihre Biococktails bald schon jedermann verkaufen wollen. Ein potenzielles Billionengeschäft mit Human Enhancement.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada nennt das Vorhaben «gefährlich und unverantwortlich».
Es gibt Gesprächsbedarf!
Der Festivalname «Elysium» spielt auf Jenseitsgefilde der Antike an, die mythische Insel der Seligen. Dorthin werden Götter und Helden entrückt, die Unsterblichkeit erlangen. Auch dies ein Thema unserer Zeit, wie der Longevity-Trend oder Kryokonservierung (Einfrieren von Körpern oder Hirnen) belegen.
In Longevity fliessen immer grössere Forschungsgelder.
Den Anstoss für das Zürcher Festival gab ein «Psychonaut» aus dem Quartier: Claude Weill experimentiert seit über zwanzig Jahren mit LSD. Er veröffentlichte dazu auch ein Buch: «Elysium hin und zurück. Mit Psychedelika unterwegs in die zweite Lebenshälfte».
Das Festival bietet die Chance, nach Zugängen jenseits der in Kirchen jahrhundertelang üblichen Dämonisierung zu fragen und eine differenzierte öffentliche Auseinandersetzung mit einem wichtigen gesellschaftlichen Thema anzustossen – mit wachem Bewusstsein für Gefahren, Abhängigkeiten und kommerzielle Ausschlachtung.
Es gehe bei der Veranstaltungsreihe um grundsätzliche Fragen der Bewusstseinserweiterung und das Aufzeigen auch von Wegen ohne Substanzen, betonen die Veranstalter.
Kann auch Kirche high machen?
Franzsika Bark Hagen versteht auch Gottesdienste als eine Form der Erweiterung des Bewusstseins, sozusagen als softe Droge:
«Gottesdienste sind eine Möglichkeit, einen anderen Bewusstseinszustand anzuregen, unterschiedliche Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten, um uns verbunden zu fühlen.»
Die Theologin und Pfarrerin leitet seit 2022 das Pilgerzentrum in Zürich. Davor kuratierte die Judaistin und Künstlerin Ausstellungen und dozierte u.a. an der ETH Zürich und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Vom Festival erhofft sie sich,
«den eigenen Bewusstseinskosmos im Austausch mit anderen weiter zu spannen».
Finger weg von LSD!
Eigene Drogenerfahrungen hat die Pfarrerin keine gesammelt: «Ich kann nicht einmal Zigaretten rauchen, ohne in Ohnmacht zu fallen.» Schuld sei ihr niedriger Blutdruck. Vielleicht haben sie auch Warnungen ihrer Mutter von Drogenexperimenten abgehalten, einer Psychiaterin.
«Meine Mutter sagt: Finger weg von LSD! Manche Leute kippen. Das hat sie als in der Psychiatrie Arbeitende erlebt.»
Von Pauschalverurteilungen hält die Pfarrerin aber nichts. Sie verweist auf möglicherweise bahnbrechende Experimente mit Psychedelika-assistierter Therapie im palliativen Bereich, die derzeit unter anderem auch in der Schweiz laufen: in Kliniken in Basel und Uster («Sterben kann auch etwas Schönes sein»). Der Arzt Sivan Schipper wird zum Festivalauftakt am 3. Juni Einblicke geben («Stirb und werde»).
Selbstauflösung üben
Eine Wirkweise von LSD ist die Erfahrung der Auflösung des Ichs.
Das könne Menschen die Angst vor dem Sterben nehmen, die ja gerade eine Angst vor Auflösung sei, erklärt Franziska Bark Hagen.
«Menschen können mit Hilfe psychoaktiver Substanzen die Ich-Auflösung üben, Selbstauflösung zulassen und abschliessen anstatt sich ans Leben zu klammern.»
Die Performancekünstlerin Brandy Butler steuert ein Festival-Highlight bei. Sie erlebte das Sterben ihrer krebskranken Mutter und verarbeitete diese Erfahrung in ihrer LSD-Oper «Mitosis». Die Musik daraus ist beim Festival als Live-Konzert zu erleben.
Als Brandy Butlers Mutter starb, war LSD palliativ noch nicht verfügbar.
Süchtig nach Pilgern
Ist auch Pilgern eine Droge, möchte ich von der Pilgerpfarrerin Franziska Bark Hagen wissen. «Hey, ich komme gerade von einer dreiwöchigen Pilgerreise zurück», ruft sie. Die Pfarrerin ist einen Abschnitt des Jakobswegs allein gelaufen. Unterwegs sind ihr nur zwei Menschen begegnet. Auch das Handy blieb ausgeschaltet. Sie brennt darauf, wieder loszulaufen, versichert aber:
«Ich bin nicht süchtig nach pilgern. Aber ich kenne Leute, die danach süchtig sind.»
Die Pilgerpfarrerin berichtet von «wunderschönen Erfahrungen des Eintauchens während ihrer Pilgerreise, dem Durchlässigwerden und der Verbundenheit mit allem». Und stellt fest: «Ich habe LSD gut substituiert!»
Elysium – das Festivalprogramm
- 3. Juni 19 Uhr: Stirb und Werde. Podiumsdiskussion mit Sivan Shipper, Arzt und Fachmann für Psychedelika-assistierte Therapie in der Palliativmedizin, der Therapeutin Shunya Riesch und dem Pfarrer und Zen-Lehrer Hans-Walter Hoppensack.
- 6. und 7. Juni 19 Uhr: Mitosis. Über Leben, Tod und den Übergang. LSD-Oper als Live-Konzert adaptiert, von der Performancekünstlerin Brandy Butler.
- 8. Juni 10 Uhr, Tierisch wild. Im Rausch der Schöpfung, Gottesdienst mit Tiersegnung; Pfarrer Patrick Schwarzenbach (bekannt vom RefLab-Podcast «Holy Embodied») und dem Musiker Sacha Rüegg
- 8. Juni 18 Uhr, Trommelnacht: Ich öffne das Tor zur anderen Welt … (Workshop). Mit der Pfarrerin und Ritualbegleiterin Renate von Ballmoos
- 11. Juni 19 Uhr, Jeremy Narby: «Meisterpflanzen vom Amazonas» (Vortrag). Narby ist ein schweizerisch-kanadischer Anthropologe und Autor.
- 12. Juni 19.30 Uhr, Ecstatic Dance, Freier Tanz mit DJs/DJanes und Musiker:innen
- 13. Juni, 19 Uhr, Podiumsdiskussion Gipfelerfahrungen und ihre Integration. Mit dem Psychotherapeuten Thomas Welter, dem Autor und Psychonauten Claude Weill, der Ritualbegleiterin Renate von Ballmoos und Amina Ribeiro von der Santo-Daime-Kirche; Moderation Pfarrerin Verena Mühlethaler.
- 14. Juni, 13 Uhr: Holotropes Atmen (Workshop). Angeleitet vom Achtsamkeitslehrer und Coach Ahlaad Piwnik.
- 15. Juni, 10 Uhr, Windwolken Schwärme (Gottesdienst). Mit Pfarrerin Franziska Bark Hagen und Sacha Rüegg an der Orgel.
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