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«Die Kreuzigung von Assange»

Der traurige Tod des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny im sibirischen Gulag wird gerade noch tief betrauert. Auch in Social-Media-Feeds des RefLab, wo ein Beitrag von Stephan Jütte («Jenseits von Mut und Wahnsinn») viral ging.

Da geht die Nachricht durch die Medien, dass Julian Assange nach Jahren der Isolation, zuletzt in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, nun die Auslieferung an die USA droht.

Assange, Gründer von WikiLeaks, ist eine kontroverse Figur, die sowohl Bewunderung als auch Kritik auf sich zieht.

Während ihn viele als Helden betrachten, der die Wahrheit ans Licht bringt, sehen ihn andere als Bedrohung für die nationale Sicherheit.

Assange wurde 1971 in Australien geboren und erlangte Bekanntheit durch die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten, die das Ausmass der US-Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan aufdeckten.

Kämpfer für Transparenz und Rechenschaftspflicht

Die Arbeit und das Engagement des Investigativ-Journalisten zielen darauf ab, Regierungsmissbrauch und undemokratische Praktiken aufzudecken. Assange hat sich wiederholt zu dem Ziel bekannt, die Transparenz und Rechenschaftspflicht von Regierungen zu fördern.

Im Jahr 2010 wurde Assange in Grossbritannien wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung in Schweden festgenommen. Er floh in die ecuadorianische Botschaft in London, wo er sieben Jahre lang Asyl erhielt, um einer Auslieferung zu entgehen. Die Vorwürfe wegen Belästigung und Vergewaltigung waren von zwei Frauen, Anna Ardin und Sofia Wilen, vorgebracht worden.

Die sexuellen Anschuldigungen, die Assange stets bestritt, sind in den Augen seiner Anhänger:innen politisch motiviert: ein Manöver, um den Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen.

Während seiner Zeit in der Botschaft setzte Assange seine Arbeit mit WikiLeaks fort. 2016 stand er in der Kritik, weil er Informationen aus dem US-Wahlkampf geleakt habe, zum Nachteil der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton.

Assange soll wissentlich vom russischen Geheimdienst gesammelte Papiere veröffentlicht haben. Damals gingen auch einige Anhänger:innen auf Distanz.

Forderungen nach sofortiger Freilassung

Im April 2019 wurde Assange schliesslich von der britischen Polizei verhaftet, um an die USA ausgeliefert zu werden. Dort droht ihm eine Anklage wegen Verstössen gegen das Spionagegesetz mit bis zu 175 Jahren Haft.

Assanges Schicksal hat Fragen über Pressefreiheit, Regierungsüberwachung und die Rolle von Whistleblowern in modernen Demokratien aufgeworfen. Sein Fall berührt Grenzziehungen zwischen Journalismus, Aktivismus und Rechtsstaatlichkeit.

Assange gilt als Präzedenzfall. Im Fall seiner Verurteilung könnte Investigativ-Journalismus künftig als Spionage bewertet werden.

Die extrem hohen Inhaftierungsraten und die brutale Gefängniskultur in den USA, insbesondere gegenüber People of Color, sind immer wieder Gegenstand der Kritik. In Bezug auf politische Gefangene wie Julian Assange gibt es internationale Forderungen nach seiner sofortigen und bedingungslosen Freilassung.

Sorge um das Leben des Whistleblowers

Die australische Regierung versucht, Druck auf die USA auszuüben, um die Auslieferungsversuche zu beenden. Amnesty International fordert ebenfalls die sofortige und bedingungslose Freilassung.

Stella Assange, die Frau von Julian Assange, äussert Besorgnis über das Leben ihres Mannes, falls er an die USA ausgeliefert wird. Der Vater kleiner Kinder gilt als suizidgefährdet.

Seine körperliche und psychische Gesundheit hat sich während der folterähnlichen Isolation drastisch verschlechtert. «Was Nawalny passiert ist, kann ihm auch passieren», sagte die Ehefrau von Assange heute in London.

Auch Künstler:innen und Kulturschaffende verlangen schon seit Jahren seine Freilassung. Der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei, der als Regimekritiker selbst Verschleppung und Isolationshaft ertragen musste, besuchte Julian Assange im britischen Gefängnis.

Russe will aus Protest Werke zerstören

Noch während sich Assange in der Botschaft von Ecuador befand, hatte er Ai Weiwei eine Tretmühle geschickt: als Bild für das Immergleiche seiner Tage wie für chronische Unterdrückung unliebsamer Stimmen. Ai Weiwei sagt über Julian Assange:

«Er verkörpert wirklich einen Grundwert, weshalb wir frei sind: Weil wir Redefreiheit und eine freie Presse haben. Seine Inhaftierung markiert den Zusammenbruch einer freien und zivilisierten Gesellschaft.»

Der russische Künstler Andrei Molodkin hat jetzt für den Fall, dass Julian Assange in der Haft stirbt, angekündigt, Kunst von Picasso bis Rembrandt zu zerstören. Mithilfe einiger Sammler:innen ist es Molodkin gelungen, Werke im Wert von 40 Millionen Dollar zusammenzubekommen.

Kunst als Geisel im Einsatz für politische Gefangene in verzweifelter und lebensbedrohlicher Lage: Der Kunstaktion haftet selbst etwas ohnmächtig Verzweifeltes an.

Sollten wir Kunst, wenn sie zerstört würde, mehr beweinen und beklagen als unsere politischen Gefangenen, würde das freilich viel über uns und über Machthörigkeit aussagen.

The Crucifiction

«The Crucifiction of Julian Assange» hiess vergangenen Sommer eine Ansprache des preisgekrönten Autors und Journalisten Chris Hedges in Oslo in der Kulturkirche Jakob. Dazu las die bekannte norwegische Schauspielerin und Regisseurin Liv Ullmann Passagen aus der Bibel (Jeremias 37, 11-21 und Matthäus 4,1-17).

Das Leiden von Assange, der sich als Atheist bezeichnet, wurde von Hedges in die Nähe von Jesus unschuldigem Leiden gerückt:

«My friend Julian is suffering. He is suffering for our sins and our indifference.

«Julian’s crucifixion is a public spectacle. It is not hidden. And yet we watch passively. We do not flood the streets with our protests. We do not condemn the executioners, including Donald Trump and Joe Biden. We give his crucifixion our silent consent.»

«Die Kreuzigung Julians ist ein öffentliches Spektakel. Sie ist nicht versteckt. Und doch schauen wir passiv zu. Wir überschwemmen die Strassen nicht mit unseren Protesten. Wir verurteilen die Henker nicht, auch nicht Donald Trump und Joe Biden. Wir geben seiner Kreuzigung unsere stille Zustimmung.»

Abbildung: Wandbild Julian Assange mit Heiligenschein, Stencil in Leipzig Connewitz, Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Julian_assange_stencil.jpg

Belmarsh: Mahnwachen und Menschenketten in Solidarität mit Assange.

1 Kommentar zu „«Die Kreuzigung von Assange»“

  1. Kommentar zu «DIE KREUZIGUNG VON ASSANGE»: Der Vergleich von Assange mit Jesus Christus, hinkt meiner Ansicht nach. Assange publiziert geheime Dokumente (ob dies der internationalen Diplomatie förderlich ist, steht auf einem anderen Blatt Papier geschrieben). Er ist politisch aktiv. Zudem hinterlässt Assanges angeblicher sexueller Missbrauch einen schalen Nachgeschmack. Jesus ging es nie um Politik, sondern um die Rettung der Menschheit. Assange ist für michweiss Gott keine Lichtgestalt. Das Motiv des Kreuzes halte in diesem Zusammenhang deshalb für vollkommen überdehnt und damit für verfehlt.

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