Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 5 Minuten

Blackouttuesday Reloaded.

Das Jahr ist noch jung und ich weiß gerade nicht, der wievielte Moment kollektiver Empörung das schon ist, wie #againstantisemitism, #listentoscience oder #fightSexism etc.

Rassismus geht nicht weg durch Empörung. Es sitzt zu tief drin.

Tiefer als die Gesetze, die es verbieten und sehr viel tiefer als die persönliche Überzeugung, ganz bestimmt kein Rassist zu sein. Er durchdringt Strukturen und Herzen. Er hat unsere Sprache vergiftet von Schwarzmalen bis Weißwaschen. Ein Blackouttuesday ist viel zu kurz und ich nehme mir vor. Wo kommt Rassismus in meinem Alltag vor? Was kann ich ändern?

Ein Protokoll von sieben Schritten gegen bloße Kurzzeitempörung.

Schritt 1 ist leicht:

Entdecke den Rassismus der anderen.

In der Beschäftigung mit Verschwörungstheorien studiere ich fundamentalistische Endzeitbücher. Ein Buch von 1967 klagt über zunehmenden „Rassenhass“ – von Schwarzen gegen die Weißen in den Südstaaten der USA oder in Südafrika. Dahinter stecke der Teufel, denn der Westen sei nun einmal der Sitz des Christentums. Darum ist die „Vernichtung der weißen Rasse […] ein Hauptanliegen des Fürsten der Finsternis.“ Aber gut, fundamentalistische Endzeitliteratur fand ich schon immer furchtbar.

Bei Schritt 2 gerate ich selbst auf den Radar:

Falsche Farbenblindheit.

In den letzten Monaten habe ich mit meinen Kindern die Serie Riverdale geguckt, eine Collegeserie voller Liebe und Düsternis, Singen und Tanzen. Die Schauspielerin Vanessa Morgan beschwert sich letzte Woche auf Instagram darüber, wie sehr Schwarze in Serien als gefährliche oder unheimliche Schlägertypen dargestellt würden, oder als eindimensionale Nebenfiguren, die die weißen Hauptfiguren ins rechte Licht stellen. Die Serienmacher von Riverdale haben inzwischen Besserung gelobt – und ich fühle mich beschämt. Die Serie mag divers sein, was Geschlechterrollen und sexuelle Orientierung betrifft. Aber Vanessa Morgan hat Recht.

Und ich ärgere mich über mich selbst, mich nicht darüber geärgert zu haben. Es ist schlimm, wie normal sich der rassistische Blick anfühlt.

Mit Schritt 3 wird es noch ernster.

Weiß, weiß, weiß sind alle meine Bücher.

Mein Beruf sind Seminare und Vorlesungen. Und mein Curriculum ist zu weiß. Viel zu weiß. Die Pflichtliteratur aus Theologie und Philosophie stammt komplett von Weißen. Ich sehe meine Regale durch und finde viel zu wenig Entlastendes. Und ich bin schon zu alt, das auf meine Ausbildung zu schieben. Noch ist das Semester nicht vorbei: Ich muss meine Lehre ändern.

Schritt 4:

Kein Whitesplaining.

Bei Recherchen bekomme ich Flimmern im Gehirn. Ich stoße auf schwarze Stimmen, die systemischen Rassismus für eine Erfindung der Trumpfeinde halten und Black Lives Matter als linksextrem ablehnen. Und nein, es ist jetzt nicht mein Job, diesen Schwarzen zu erklären, was Rassismus ist.

Schritt 5:

Den üblichen Mustern der Polarisierung widerstehen.

Es gibt so viele Stimmen in dieser Auseinandersetzung – und nach dem ersten Schock sortiert sich das Feld gemäß der Polarisierung amerikanischer Kulturkämpfe.

Jeder findet auch die schwarzen Stimmen, die ihn bestätigen oder selbst am wenigsten herausfordern.

Alles geht weiter nach dem Motto: Mein Antirassismus ist nicht so selektiv und individualistisch wie deiner; und mein Kampf gegen Rassismus ist viel friedfertiger als deine Wut usw.

Mit Schritt 6 möchte ich:

Zuhören.

Ich bleibe bei zwei sehr verschiedenen Stimmen hängen, James Cone (1938-2018) und Festo Kinvengere (1919-1988). James Cones Black Theology und ihre These „Gott ist schwarz“ war 1969 ein Schock für die weiße christlich-fromme Welt. Ein überfälliger. In seinem letzten Buch Kreuz und Lynchbaum (2011; dt. 2019) beschreibt Cone die Schrecken der Lynch-Ära in den USA (1880-1940), als es weit verbreitet war, dass Weiße Schwarze an einem Lynchbaum zu Tode quälten, ohne irgendeine staatliche Verfolgung befürchten zu müssen.

Als Kind hat Cone noch die Angst kennengelernt, ob sein Vater sicher nach Hause kommt. Das alles geschah inmitten einer zutiefst christlichen Kultur, deren Sonntagspredigten erfüllt waren von Lob und Dank für die Gnade Gottes am Kreuz Jesu Christi. Cone legt den Finger in die Wunde:

Wenn eine Kreuzestheologie für solche Menschenverachtung wie das folgenlose Lynchen von Schwarzen nicht die Augen öffnet, dann kann sie nicht richtig sein.

„Gott ist schwarz“ steht für die Erkenntnis:

Gott ist nicht auf der Seite derer, die das Kreuz am Sonntag preisen; sondern auf der Seite derer, die es in der Woche erleiden.

Wer ihn da nicht findet, huldigt einem Götzen. Diese Theologie ist nicht zu schwarz; unsere ist zu weiß.

Einen ganz anderen Weg ging Festo Kivengere, ein evangelikaler Bischof der anglikanischen Kirche in Uganda. Festo Kivengere spielte eine wichtige Rolle beim sogenannten Aufbruch der Evangelikalen in den 1970er Jahren. Er hielt Vorträge auf dem Lausanner Kongress 1974 und weiteren Glaubenskonferenzen missionarischer Kreise. Einige seiner Bücher erschienen auf Deutsch. Gibt es eine Black Theology der Evangelikalen?

Kivengeres Buch „Ich liebe Idi Amin“ handelt von der Verfolgung vieler Regierungskritiker und Christenmenschen durch den Diktator Idi Amin. Idi Amin brachte viele Freunde und Kollegen um, auch seinen Freund Bischof Luwum. Festo Kivengere spürt, wie ihn dies wütend und hasserfüllt macht. Und er darüber unfähig wird, die Liebe Gottes weitergeben. Er schreibt: „So musste ich den Herrn um Vergebung bitten und um die Gnade, Präsident Amin mehr zu lieben.“

Als Stufe 7 schreibe ich mir ins Stammbuch:

Jetzt nichts einordnen, bewerten oder erklären.

Black voices matter. Und Dranbleiben. Blackouttuesday ist viel zu groß für einen Tag.

1 Kommentar zu „Blackouttuesday Reloaded.“

  1. YEAH🙏🏽
    Vielen Dank für diese erfrischende und mutmachende Aufstellung!
    Ganz genau – viel zu gross und zu wichtig für einen Tag 🙌🏽

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