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Rudolf Steiner: Auf Mystenpfaden zum Lebenslichte

Er gehört zu den faszinierendsten Figuren der gärenden Zeit um 1900 – und war zugleich auch ein wenig unheimlich: Rudolf Steiner, Goetheforscher, Geisteslehrer, Gründer der Anthroposophie.

Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem der 1861 im heutigen Kroatien geborene Österreicher nicht Impulse gesetzt hätte.

In seinem Denken verband Steiner Darwinismus, Spiritismus und Goethes Naturphilosophie auf eigenwillige Weise. Das 1894 herausgekommene Hauptwerk «Philosophie der Freiheit» wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und bis heute in mehr als einer Million Ausgaben gedruckt.

Die Gesamtausgabe seines Werks, darunter Mitschriften von 5000 Vorträgen, umfasst mehr als 300 Bände.

Der Geist Steiners lebt in der biologisch-dynamisch kultivierten Kartoffel aus dem Biomarkt ebenso fort wie im «Weleda»- Massageöl, in der Waldorfpädagogik genauso wie in der amerikanischen Lohas-Lifestyle-Bewegung oder der GLS-Bank.

Letztere verfolgt ethische Grundsätze und konnte in der Finanzkrise ihr Geschäft sogar verbessern.

Richtkräfte des 21. Jahrhunderts

Nicht zuletzt die Künstlerschaft war von dem Anthroposophen mit der hageren Gestalt und dem durchdringenden Blick magisch angezogen – und sie ist es zum Teil bis heute. Das Züricher Kunsthaus zeigte bereits Ende der 1990er-Jahre Einflusslinien auf: in der Ausstellung «Richtkräfte für das 21. Jahrhundert». Später folgen u.a. das Vitra Design Museum und das Kunstmuseum Wolfsburg dieser Spur.

«Es ist heute ein grösserer Tabubruch, Steiner im Kunstmuseum zu zeigen, als einen Swingerklub in einen Kunstverein einzuladen.»

Erklärte mir vor ein paar Jahren der Schweizer Kurator Markus Brüderlin. Er war damals Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg – und scheute den Tabubruch nicht. Er stellte Steiners Holzstuhlentwürfe neben Werke von Joseph Beuys und Kunst und Design der Gegenwart.

Beuys einflussreiche Idee der «Sozialen Plastik» ist ohne Rudolf Steiner nicht denkbar.

Gemeint ist mit «Sozialer Plastik» eine Kunst, die sozial und gesellschaftlich wirksam wird.

Impulsgeber der «Sozialen Plastik»

Beuys’ berühmtes Environment «Jungfrau Basisraum Nasse Wäsche» von 1979 geht mit seiner Dreiteilung (drei Zinkblechrinnen) direkt auf Steiners von 1917 bis 1920 entwickelte «Soziale Dreigliederung» zurück; ein Leitbild für die gesellschaftliche Entwicklung. Steiner hat diese und andere Ideen in vielfachen Variationen in Vorträgen ausgeführt und mit Tafelkreide skizziert.

Steiners Kreidezeichnungen sind heute Liebhaberstücke von ikonischem Wert; seine Anhänger:innen haben sie sorgsam konserviert und aufbewahrt.

Rudolf Steiner, als Geistesseher und charismatischer Lehrer verehrt, traute sich viel zu – mitunter auch zu viel. Teils auf Grundlage eigener Selbstüberschätzung, teils auf Drängen seiner Gefolgsleute griff er immer wieder zu Gips und Wachs, formte und kreierte – oder dichtete.

Auf Mystenpfaden

In seinen «Mysteriendramen» liess er dozierendes Personal mit Namen wie Hilarius Gottgetreu, Friedrich Geist oder Luise Füchtegott Sätze aufsagen wie:

«Ich weiss, wie Mystenpfade nur allein zum wahren Lebenslichte führen können.»

Sein erstes, einem Brand zum Opfer gefallenes Goetheanum im schweizerischen Anthroposophiezentrum Dornach sah ein wenig wie ein Rathaus für Schlumpfhausen aus. Ausgerechnet die Gugelhupfform wählte Steiner als gestalterischen Ausgangspunkt für den Holzbau.

Das zweite Goetheanum, nunmehr aus Beton, beeindruckt allerdings. Es ist ein Urbau des organischen Stils und beeinflusste unter anderem den Architekten Le Corbusier. Hans Scharoun nahm es ausdrücklich als Vorbild für seinen Theaterbau in Wolfsburg.

Geistiger Lehrer

Mehr als durch seine plastischen Schöpfungen wirkte Steiner aber als geistiger Impulsgeber. Sein Einfluss auf Wassily Kandinsky (das bekannte Werk «Über das Geistige in der Kunst» fusst auf Gedanken Steiners) und Paul Klee ist bekannt.

Die Maler Piet Mondrian, der Architekt Richard Neutra und die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler unterhielten mit ihm eine Korrespondenz. Franz Kafka erhoffte sich viel vom Geisteslehrer:

«Ich fühle, wie ein grosser Teil meines Wesens zur Theosophie hinstrebt, gleichzeitig aber habe ich vor ihr die höchste Angst.»

Eine persönliche Audienz 1911 scheint für Kafka aber eher enttäuschend verlaufen zu sein. Kafkas Tagebucheintrag endet mit einer peinlich genauen Beschreibung von Steiners Art, sich umständlich die Nase zu putzen. Der italienische Regisseur Federico Fellini setzte in seinem Film «Dolce Vita» (1960) dem «Doktor Steiner» und seiner Sozietät ein sonderbares Denkmal.

Fellini zeichnete Steiner als depressiven Salonphilosophen mit absolutem Willen zum Optimismus.

Komplexes Verhältnis zum Christentum

Rudolf Steiners Verhältnis zum Christentum war komplex und ambivalent. In seinen Ansichten verband er Elemente christlicher Tradition mit esoterischen und theosophischen Konzepten.

Daraus ergaben sich Anknüpfungspunkte wie auch deutliche Unterschiede zu etablierten christlichen Kirchen.

In letzter Zeit verengte sich die Perspektive vor allem auf Kritik an der problematischen Rassentheorie in Zusammenhang mit Steiners evolutionärem Entwicklungsansatz; seine Anhängerschaft grenze sich in diesem Punkt zu wenig ab, lautet ein Kritikpunkt.

Der früh verstorbene Markus Brüderlein hatte gehofft, mit Rekurs auf Steiner Auswege aus «Zynismus und Dekadenzkunst unserer Zeit» aufzuzeigen. Eines immerhin lässt sich sagen: Steiner hat vielerlei Impulse gesetzt. Daraus werden wahrscheinlich auch noch künftige Generationen noch Ideen schöpfen.

Foto: Blick aus dem Goetheanum in Dornach, Westtreppenhaus, Portal zur Terrasse, Taxiarchos228, Wikimedia Commons

1 Gedanke zu „Rudolf Steiner: Auf Mystenpfaden zum Lebenslichte“

  1. Danke für die Würdigung Rudolf Steiners. Ich persönlich erachte ihn als die bedeutendeste Persönlichkeit der nachapostolischen Zeit. Als dringend für das Fortleben des Christentums kann die intensive Beschäftigung mit seinen Darstellungen der übersinnlichen Weltzusammenhänge und dieser mit der materiellen angesehen werden. Weshalb, ist hier zu erfahren: [Link entfernt weil Werbung]

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