Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 7 Minuten

Wo kommst du her?

Ich werde immer wieder gefragt, wo ich eigentlich herkomme. Und natürlich ist die Frage berechtigt. Jeder kommt von irgendwo her, auch ich und wahrscheinlich bin ich auch gerade irgendwohin unterwegs, zumindest wenn du mich das am Bahnhof fragst oder nach einem Auftritt und – so viel habe ich in meinem Leben gelernt – an beiden Orten kommt im Anschluss an diese Frage etwa gleich viel Sinnvolles dabei heraus wie auf die Frage: „Darf ich dir kurz eine Frage stellen?“ Naja, das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen, weil jetzt sind wir ja schon mittendrin in der Konversation und nein, die bedrohte südostasiatische Braunpottwalbevölkerung ist mir nicht wichtig genug, dir Geld zu geben, das ohnehin nur bei Corris bleibt – wenn ich etwas für den Tierschutz tun will, spende ich für die RUAG, immerhin rüsten die den WWF für den Kampf gegen Wilderer aus. Aber ich schweife ab.

In meinem Fall verläuft die Konversation auf die vermeintlich unverwerfliche Frage nach der Herkunft meist folgendermassen ab: „Wo kommst du her?“ „Aus St. Gallen.“ „Nein, ich meine dein Name.“ Und seht ihr, da beginnt schon das Problem. Weil fangen wir mit dem Grundlegenden an: Mit dieser Frage sind nämlich schon zwei Verhaltensregeln verletzt, an die ich mich als gut integrierter Secondo eigentlich zu halten habe: Erstens die Grammatik (deineN NameN – ich kenne Menschen, die sind für banalere Fehler nicht eingebürgert worden, z.B. in Montligen) und zweitens: der Respekt vor der Regionalität.

„Hopp Sangalle füre mitem Balle“

Weil anstatt einfach zu schweigen, wenn sich jemand freiwillig dazu bekennt, aus St. Gallen zu kommen, als ob das nicht schon peinlich genug wäre, wenn wir uns in jeder längeren Konversation westlich von Winterthur immer fühlen müssen wie halbwollige Thurgauer mit einem Grossdorfkomplex, weil zwangsweise Toni Brunner, eine Bratwurst und „Hopp Sangalle füre mitem Balle“ ein Teil dieser Konversation sein werden und diesen Satz von Nichtsanktgallern zu hören, sich für uns so anhört, als würden unsere Gehörgänge zu den Klängen von DJ Antoine mit einem 45 Zentimeter Umschnalldildo penetriert – und das, obwohl diesen Satz NIE IRGENDJEMAND GESAGT HAT AUSSER HALBWOLLIGE THURGAUER UND SOWIESO BIN ICH FAN DES FC WINTERTHUR – Verzeihung – also, als ob man an diesem Punkt die Konversation nicht einfach angemessenerweise mit einem betretenen Schweigen beenden könnte oder von mir aus mit einer Geste des Mitgefühls, also zum Beispiel der Frage: „Brauchst du eine Umarmung?“, folgt stattdessen dann eben: „Nein, ich meine dein Name?“

Und in dem Moment weiss ich ja schon, dass da nichts mehr Gutes kommen kann. Weil auf die Antwort: „Der Name ist Albanisch“ dann ja höchstens noch Banalitäten kommen können wie „Ah, ich war auch schonmal in Kroatien am Strand!“, Pauschalisierungen wie „Oh, dann sind sie also Moslem? Entschuldigung, dass ich Ihnen vorher die Hand gegeben habe ohne zu fragen…“ oder schlicht offener Rassismus: „Ha, das sieht man dir gar nicht an.“ Momoll, du Tubel. Steck mich in Kappa-Trainerhosen und schneid mir die Haare und dann bin ich auch ein Quadratschädel mit Doppeladlertattoo auf zwei Beinen, aber im Unterschied zu dir bin ich etwas vorsichtiger mit Zuschreibungen über das Aussehen von Volksgruppen – meine Vorfahren standen in der Renaissance oben ohne Modell für griechische Göttinnen und nicht für das Gemälde „Gewitterlandschaft mit einem vom Blitz getroffenen Heuwagen“ – als Heuwagen.

Und das ist kein Gespräch, das ich führen möchte – nicht etwa, weil mir meine Herkunft peinlich ist, und nicht einmal, weil ich den meisten Klischees, die man über Albaner so haben kann, sowieso nicht entspreche: Ich habe kein Auto, ich spiele keinen Fussball und Brot ist bei mir nicht der Kerngehalt einer Mahlzeit, sondern eine Beilage. Und sehen Sie, die Personen, die den Gag verstanden haben, wissen genau, dass ich in etwa so viel über Kulturen vom Balkan weiss wie Roger Köppel über den Klimawandel. Beide haben wir unser gefährliches Halbwissen aus höchst unzuverlässigen Quellen mit Doktortiteln – bei mir ist es mein Vater, Doktor Ramadan Jahsari, bei Köppel wahrscheinlich eher „Dr.“ Daniele Ganser.

Po-Etry Hasler

Nein, es geht mir vielmehr um den Namen selbst. Ich mag meinen Namen. Ich bin verdammt froh, dass das St. Galler Kantonsgericht 1979, als es aus Etrit Jashari Etrit Hasler machte nicht auch noch auf die Idee kam, dass auch bei dem Vornamen gelte, ZITAT „es sei einem Schweizer Kinde nicht zuzumuten, einen solch fremdländisch klingenden Namen zu tragen.“ Er ist verdammt selten und ein bisschen schräg und er passt perfekt zu mir – so gut, sogar, dass mich dauernd irgendwelche Menschen fragen, ob es nicht ein Künstlername sei, der käme bestimmt von Po-Etry. Und seht ihr, nicht zuletzt, weil er mir auch zu schade ist, dass er herhalten muss für Konversationen über die Doppeladlergeste von Stephan Lichtsteiner, Messerschleiftechniken oder Autoversicherungsprämien, habe ich mir über die Jahre einige Erklärungen zurechtgelegt, die dann eben nichts mehr mit meiner Herkunft zu tun haben.

Zum Beispiel, dass meine Eltern in den Siebzigern wie alle anderen viel zu viele Drogen nahmen und während sie mich zeugten, Bob Dylan hörten und dass mein voller Name Etrit Roman Zalben Melber ein Anagramm von Robert Allen Zimmermann ist, in der vollen Überzeugung, dass dann schon einer von uns beiden für seine unverständliche Lyrik einen Nobelpreis erhalten würde (Damn you, Bob! Well played, aber damn you). Dass der Name in Wirklichkeit angelsächsisch sei und erstmals in den Llandav Charters im England des 12. Jahrhundert dokumentiert sei, jenem Dokument also, das JRR Tolkien als Grundlage für die Namensliste der Elfenkönige zur Hand nahm, weswegen im Silmarillion ein König in der welschen Schreibweise Eadred auftaucht. Dass es ein beidgeschlechtlicher Name sei, den auch eine japanische Kunoichi getragen habe, die in der Sengoku-Ära so viele Soldaten beim Liebesspiel meuchelte, dass in der Provinz Iga bis heute das Wort Etrit als eine Verwünschung gilt, dass man den nächsten Morgen nicht mehr erlebe, aber wenigstens befriedigt aus dem Leben scheide. Das ist doch mal ein Gesprächsstarter – da tun sich so viele Felder gleichzeitig auf, da ist man mit den Folgekonversationen locker den Rest des Abends beschäftigt.

Und wahrscheinlich werft ihr jetzt ein, dass das Gegenüber vielleicht gar keine so lange Konversation führen will. Und seht ihr: genau das ist das Problem. Denn es gibt genau zwei Gründe, wie man auf die Idee kommen kann, die Frage nach der Herkunft 30 Sekunden nach dem Kennenlernen zu stellen: Entweder die unendlich naive Vorstellung, dass die Frage nach der Herkunft auf ein Land, eine Ethnie, eine Hautfarbe beschränkt werden kann und dass da nicht unendliche viele andere Fragen mitschwingen: Fragen wie: „Leben deine Eltern noch und wenn nein, woran sind sie gestorben?“ „Bist du in einem Einfamilienhaus mit Swimming Pool aufgewachsen oder konntet ihr euch knapp einen Schwarzweissfernseher leisten?“ „Hattet ihr Haustiere und wenn ja, habt ihr sie gegessen?“ Die Frage: „Wo kommst du her?“ ist eben Stoff für Romane und nicht für One-Liner und sie ist so intim wie die Frage „ziehst du Penisse oder Vulven vor oder interessiert dich am Ende vielleicht beides nicht?“. Es gibt genau einen Ort, wo es gesellschaftlich akzeptabel ist, so eine Frage an den Beginn des Kennenlernens zu stellen – das ist der Swingerklub.

Aber natürlich, es gibt noch einen zweiten Grund, warum ich die Frage nicht gerne beantworte. Es gibt sie, die Menschen, welche die Frage stellen, weil sie glauben, mit diesem Stempel der Herkunft alles über einen zu wissen, das irgendwie wichtig sein könnte für den weiteren Verlauf einer Konversation. Dass es den Menschen ausmacht, wo er herkommt, und nicht, wo er hin will. Jene, die glauben, dass man es sich verdienen muss, von hier zu kommen und dass sie diejenigen sind, die bestimmen, wer es verdient hat. Und bei denen läuft die Konversation dann halt so ab: „Wo kommst du her?“ „Aus St. Gallen.“ „Nein, ich meine dein Name.“ „Der ist Rumantsch.“ „Oh, ich war auch schon mal in Schuls.“ „Das heisst Scuol, du ignoranter Unterländer.“ „Verzeihung, ich spreche halt kein Romanisch.“ „Ich auch nicht. Aber wenn dir die Herkunft so verdammt wichtig ist, sollte es dir vielleicht zu denken geben, wenn dich ein Albaner über dein Land belehrt.“

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