Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 7 Minuten

Wetten, es gibt auch für Dich einen Garten?

Schnell geschnittene Szenen mit Menschen, die nichts mit sich anzufangen wissen. In ihren vier Wänden sind sie nahe an der Verzweiflung. Bis eine leise Melodie sie aufhorchen lässt. Die Gesichter hellen sich auf, die Augen werden weit. Manche springen durch Fenster und Holzwände, andere reissen die Türen auf und gehen durch die Hecke. Wie elektrisiert rennen sie auf die Strasse und versammeln sich jubelnd an einem übergrossen, bunten und vollbepacktem LKW. Er hält alles bereit, was sie zur Gartenarbeit an Werkzeugen, Materialien und Pflanzen brauchen.

Wenn der Baumarkt zum Tempel der Lebendigkeit wird

«Freu Dich wie ein Kind!», so lautet der Titel des Werbespots, der vor etwa drei Monaten von der Baumarktkette Hornbach veröffentlicht wurde. Er fängt für mich etwas von der unbändigen Energie ein, mit der wir Menschen uns jedes Jahr neu ans Gärtnern machen. Obwohl wir – entgegen jeder seichten Gartenromantik – wissen, wie anstrengend Gartenarbeit sein kann. Ich saug diese fiebrige Hochstimmung tatsächlich auf, wenn ich im Frühling in den Baumarkt gehe.

Willkommen im säkularen Tempel der Lebendigkeit.

Ohne Garten kein Menschsein

In dieser Atmosphäre verdichtet sich eine kollektive Erfahrung:

Mit den vielen Gärten, die wir anlegen, pflegen und hegen, schaffen wir uns Orte des Menschlichen.

Nur schon das Wort «Garten» löst bei den meisten Menschen positive Bilder, Erinnerungen und Gefühle hervor. Es scheint ein tiefes und kulturübergreifendes Bewusstsein dafür zu geben, dass erfülltes Menschsein und Garten zusammengehören. Anders kann ich mir die kreative Energie, die wir als kleine und grosse Gärtner:innen entwickeln, nicht erklären.

40 Gärten und kein Ende

Es ist nicht nur erstaunlich, sondern geradezu witzig, wenn wir uns anschauen, was wir mittlerweile alles an Gärten erschaffen und unterhalten. Jeder ist für uns von einem besonderen Nutzen.

Passende Gärten eröffnen uns bestimmte Erfahrungen, ohne die unser Leben weniger gedeihen und aufblühen würde.

Das zeigt sich auch daran, wie tief die Gartenvokabel in unseren Wortschatz eingesickert ist. Die folgende Sammlung listet 40 Gärten aller Art auf, ist nicht KI geprompted, sondern über mehrere Jahre entstanden, ändert sich ständig und ist gedacht als eine augenzwinkernde Wette:

Wetten, Du findest Deinen passenden Garten?

Wenn überforderten Eltern am Sonntag die Decke auf den Kopf fällt, lassen sie im zoologischen Garten die Kinder von der Leine. Die treffen dann im botanischen Garten höchstwahrscheinlich auf andere Exoten und finden es schliesslich doch gut, dass im Tiergarten nicht alles frei herumlaufen darf.

Von wegen Tieren: Es muss wahrlich nicht immer Fleisch sein, vor allem, wenn Du spontan was aus Deinem Gemüsegarten holen kannst. Für den fein abgestimmten Geschmack gehst Du schnell im Kräutergarten vorbei, und das Dessert hängt irgendwo im Obstgarten. Genussmomente, in denen Dir sonnenklar wird, warum der Nutzgarten alle Mühe wert ist.

Im Vorgarten kannst Du es überschaubar halten. Überlass den Grossgarten vorläufig den Profis und überfordere Dich nicht. Wer vom Leben niedergedrückt wurde, könnte von der Erhabenheit des Alpengartens aufgerichtet werden.

«Schau an der schönen Gärten Zier Ist doch klar, in was für einem Garten dem Liederdichter Paul Gerhardt diese Zeilen in den Sinn kamen! Ach ja? Wirklich?

Birgt denn der Wildgarten nicht die Schönheit eines Lebens, das Dir über den Kopf gewachsen ist? Es geht nicht immer so wohlgeordnet wie im englischen Garten zu. Und wer die Faszination und Schrecken eines Irrgartens durchquert hat, tritt verwandelt hervor.

Wer einen Flaschengarten hinbekommt, ist alles andere als ein Loser. Und niemand, der die umarmt, die fest und sturmerprobt im Baumgarten stehen, braucht sich zu schämen.

Man sagt, der Klostergarten sei der Ort, an dem Gott den Nonnen und Mönchen am nächsten kommt.

Ob die Gottsuchenden in den vatikanischen Gärten fündig werden? Aber vielleicht mögen wir angesichts der babylonischen Hängegärten doch wieder an Wunder glauben. Und wie schön wäre es, wenn wir unsere Zweifel an der Kirche mit denen besprechen würden, die im Pfarrgarten auf uns warten.

Ich sehe meine Mama im Blumengarten. Im Schlossgarten blüht der Zauber der Liebe. Wie gerne habe ich meiner Frau den Duft des Rosengartens mitgebracht. Jetzt findet meine Trauer sie im Grabgarten und ich giesse am Sommerabend ihre Blumen.

Darf man im Kurgarten joggen gehen? Wieviel Sehnsucht passt in einen Schrebergarten? Sind unsere Vergnügungsparks die moderne Version der verspielten Lustgärten?

Wie verstoffwechseln Stadtgärten den urbanen Stress? Und wie lange kann ein Innenhofgarten Lärm schlucken, ohne Tinnitus zu bekommen?

Jedenfalls: Klimafreude tanken im Solargarten; Adrenalin pumpen im Klettergarten; Mut finden im Hochseilgarten. Hitzköpfe schicken wir in den Eisgarten; im Anzuchtgarten fehlen die Chaoten, im Steingarten blühen sogar die Zarten. Und die Streithähne … ja klar, der Nachbargarten.

Und wer jetzt den Überblick verloren hat, steigt auf den Dachgarten oder chillt im Wintergarten. Früh übt sich das alles im Kindergarten. Und ich stosse auf die Gärten des Sommers an im Biergarten.

Gärten tun einfach gut

Was diese lückenhafte Auflistung deutlich werden lässt:

Gärten haben beglückende, lebendig machende und heilende Wirkungen, die wir an Leib und Seele spüren.

Das scheint eine Urerfahrung von uns Menschen zu sein, so dass der Garten zum Symbol wurde für einen eingehegten, umzäunten Ort – altpersisch als pairi-daé-za bezeichnet. Paradies ist der Raum, in dem das Leben sowohl geschützt als auch zur vollen Entfaltung gebracht wird.

«Gerade die Kulturen des Orients verbinden den Garten mit der Verheißung des Paradieses; für Religionen, die aus der Wüste kamen wie Judentum, Christentum und Islam, ist ein bewässerter Garten Ausdruck für ein Leben in Fülle.» Margit Eckholt

Was zieht uns in den Garten?

Ich möchte diesen lebensstiftenden Kräften des Gartens in drei weiteren Beiträgen zu dieser Sommerserie nachspüren. Denn sie geben uns die Antwort auf die Frage, was uns raus in den Garten zieht. Egal ob wir ihn anlegen und pflegen oder einfach seine Gäste sind.

Warum sind wir mehr oder weniger alle grünsüchtig? Woher stammt die sommerliche Begeisterung, die uns zum Gärtnern animiert?

Dabei werde ich mich zunächst mal theologisch zurückhalten, um niemand religiös zu vereinnahmen. Etwa in dem ich einfach behaupten würde, dass hinter unserer herrlichen Gärtnerei die Sehnsucht nach dem Garten in Eden steckt, jenem Paradies, mit dem auch Juden- und Christentum die Geschichte der Menschen beginnen lassen.

«Paradies im Quadrat»

Und doch glaube ich, dass jeder Garten so etwas wie ein «Paradies im Quadrat» (Karl-Heinz Steinmetz) darstellt.

Ein Ort, in dem wir im Kleinen die grosse Vision hegen und pflegen, nämlich dass eine andere Art in der Welt zu leben möglich ist.

Eine natur- und schöpfungsfreundlichere, menschlichere und harmonischere. In diesem Sinne gilt es dann doch, was der Schriftsteller Arnold Stadler schreibt:

«Wir leben jenseits von Eden. Haben aber noch eine Ahnung von da und eine Sehnsucht dorthin.»

Gewinne ich die Wette?

Es wäre mir eine Freude, wenn meine Gärtensammlung Euch, liebe Leser:innen, motiviert, mitzumachen und weitere Gärten hinzuzufügen. Lasst es mich unbedingt wissen und schreibt einen Kommentar.

Was sind Deine Lieblingsgärten? Was erlebst Du an diesen Orten? Und gibt es vielleicht Gärten, die verödet oder verschlossen sind? Oder gar solche, die erst noch erfunden und angelegt werden müssten?

Dann hätte ich die Wette verloren, allerdings mit Vorfreude auf die neuen Gärten der Zukunft.

 

Literaturhinweise:

Margit Eckholt: Was ist ein Garten? Gedanken einer Theologin, in: Erbe und Auftrag. Benediktinische Monatsschrift EuA 85 (2009), S. 258-269.

Uwe Habenicht: Draußen abtauchen. Freestyle Religion in der Natur, Würzburg 2022.

Brigitte Schäfer (Hrsg.): Gestaltete Lebensräume. Gärten als Orte der Verwandlung, WerkstattBibel 8, Stuttgart 2005.

Karl-Heinz Steinmetz: Paradies im Quadrat. Spiritualität des Gartens bis zum Beginn der Neuzeit, in: Internationale katholische Zeitschrift „Communio“ IKaZ 46 (2017), S. 372-381.

Holger Zaborowski: Gärten. Orte des Menschlichen, in: Internationale katholische Zeitschrift „Communio“ IKaZ 46 (2017), S. 392-40.

 

Führungen durch einen schönen Klostergarten bietet das Kloster Kappel

 

Foto von Annie Spratt auf Unsplash

Alle Beiträge zu «Der Sommer und die Gärten: Von den Orten des Menschlichen»

4 Gedanken zu „Wetten, es gibt auch für Dich einen Garten?“

  1. Also ich hätte da noch zu bieten:
    Sandgarten, Lachsgarten, Märchengarten (Ludwigsburg), Bibelgarten (es gibt eine Website zu Bibelgärten in Deutschland), Franziskusgarten (z.B. beim Kloster Siessen in Bad Saulgau) und bei uns in Berlin die “Gärten der Welt”, in Marzahn.

    Dort kann man unterschiedliche Gartenkulturen kennenlernen: chinesischer, japanischer, balinesischer, orientalisch-islamischer, englischer, italienischer, koreanischer Garten, Wassergarten, Nebelgarten, Staudengaren, Irrgarten, Labyrinth sowie ein christlicher und ein jüdischer Garten.

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    • Grosse Klasse, vielen Dank für diese tollen Gärten und die kurzen Erläuterungen dazu. “Gärten der Welt” muss ich mir unbedingt merken für den nächsten Trip nach Berlin.

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  2. Herzliche Grüße aus meinem kleinen Siegerländer Chaosgärtchen. Ich versuche immer wieder neu Ordung zu schaffen, bringe es aber einfach einfach nicht übers Herz, rechtzeitig im frühen Frühjahr die winzigen Pflänzchen von Mutterkraut, Färberkamille, Akelei, Klatschmohn, Ringelblume, Cosmea und Co. auszureißen. Obwohl ich längst weiß, was sie “anrichten” können in meinen sogenannten Gemüsebeeten – und im akuraten Vorgarten des Nachbarn…

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    • Siegerländer Gartengrüsse … die sende ich gerne zurück. Ich bin derzeit froh, wenn ich meine vier Pflanzen in der Wohnung und im Büro am Leben halte … dem Olivenstämmchen auf dem Balkon geht es leider gar nicht gut. Chaosgärtchen! Danke für die Ergänzung meiner Gartensammlung. Freu Dich dran.

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