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Weg mit dem Kreuz!

Hugo Stamm hat wieder zugeschlagen!

Der Sektenexperte und Watson-Kolumnist Hugo Stamm hat mal wieder zugeschlagen. Im neusten Beitrag seines «Sektenblogs» empört er sich über die Darstellungen des Gekreuzigten, die auch in unserer säkularisierten Gesellschaft noch immer in manchen öffentlichen Räumen anzutreffen sind. Besonders in katholischen Gebieten der Schweiz werden Kruzifixe in Spitälern oder Schulen nach wie vor geduldet; auch viele Pilgerwege und Berggipfel unseres Landes kommen nicht ohne dieses christliche Symbol aus.

Das ist für Stamm ein unhaltbarer Zustand: «Das Kruzifix muss weg», lautet seine Devise (und der Titel seines Beitrags). Die Anbringung von Kreuzen in nicht-sakralen Räumen ist schließlich auch im bundesgerichtlichen Urteil eine Verletzung der religiösen Neutralität. Und überhaupt sei eine Kreuzigung gemäß der neueren Studie eines schwedischen Forschers gar nicht so vonstatten gegangen, wie sie in Kirchen üblicherweise dargestellt werde, stellt Stamm klar. Allem Anschein nach sei Jesus nämlich nicht an eine kreuzförmige Holzkonstruktion genagelt, sondern an einen Pfahl gebunden worden.

Zur Begründung seiner Forderung nach der Abnahme öffentlicher Kreuze führt der Sektenexperte darüber hinaus pädagogische und psychologische Argumente an:

Der Anblick des Sohnes Gottes am Kreuz könne «Kinder und psychisch belastete Menschen ängstigen» und regelrecht traumatisierend wirken. Aus heutiger Sicht sei ein Kruzifix einfach verstörend, so dass «eine Anpassung an das heutige moralische und ästhetische Empfinden dringend gefordert» sei.

Streit um einen Wandschmuck?

Da der streitbare Beitrag offensichtlich keinen wirklich aktuellen Anlass hat – die Entlassung des heutigen Freidenkers und Kirchenkritikers Valentin Abgottspon, der es als Lehrer im erzkatholischen Kanton Wallis gewagt hatte, das Kruzifix in seinem Klassenzimmer abzuhängen, ist schon mehrere Jahre her – wirkt er ein bisschen wie eine halbherzig aufgewärmte Version des bayerischen Kruzifix-Streites.

Damals gingen im Bundesland der Berge, Lederhosen und Weißwürste die Wogen wirklich hoch. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1995 beschlossen, dass die Aufforderung der Volksschulordnung Bayerns, in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen, verfassungswidrig sei. Im Hintergrund standen Klagen von Angehörigen anderer Religionen wie auch von religionslosen Menschen, die an den allgegenwärtigen Kruzifixen Anstoß nahmen und sie als Provokation empfanden.

Das Urteil schlug ein wie eine Bombe, viele Bürger:innen sahen damit einen antichristlichen Kulturkampf lanciert, die CSU rief zum Volksaufstand gegen die Entscheidung auf, und in kürzester Zeit gingen nicht weniger als 256‘000 wütende Proteste beim Gericht ein.

Die frommen Bewohner Bayerns wehrten sich für das Kreuz, indem sie auf ihre Geschichte und Tradition verwiesen: Das Kreuz sei ein allgemeines Zeichen der abendländischen Kultur, ein gesellschaftliches Symbol, ein urtümlich-bayerischer Wandschmuck: «Kreuze gehören zu Bayern wie die Berge», rief der damalige Ministerpräsident Bayerns Edmund Stoiber der jubelnden Menge an einer Demonstration in München zu.

Ein traumatisierendes Zeichen

Das Kreuz als abendländisches Kultursymbol, das zu einem Land gehören kann wie die Berge? Oder gar das Kreuz als Auslöser heimeliger Empfindungen, als eine Vermittlerin des Gefühls, hier im «christlichen Westen», in der kleinbürgerlichen Idylle des bayerischen oder auch des walliser Landlebens zu Hause zu sein? So sehr es mich schaudert, das zuzugeben: Zumindest im Blick auf die unmittelbaren Intuitionen gegenüber dem Kreuzeszeichen bin ich im Team Hugo Stamm.

Ja, das Kreuz ist ein zutiefst belastendes, verängstigendes, traumatisierendes Zeichen. Es steht nicht für heimatliche Folklore, sondern für eine antike Hinrichtungsmethode ausgesuchter Grausamkeit.

Die von Stamm angeführte Studie – die übrigens in der theologischen Zunft auch kritisiert wurde und in der Zuspitzung ihrer Thesen kaum haltbar ist – tut dabei kaum etwas zur Sache. Ob nun Nägel, Seile, Hoch- oder Querbalken zur Vollstreckung des Todesurteils verwendet wurden: Als nettes Figürchen über dem Esstisch ist das besagte Hinrichtungsinstrument denkbar unpässlich. Und natürlich ist das nicht erst «aus heutiger Sicht» so, wie Stamm suggeriert.

Das Kreuz verletzt keineswegs nur das gegenwärtige «moralische und ästhetische Empfinden» – im Gegenteil: erst im Rückblick auf eine lange Erfolgsgeschichte des Christentums, erst in seiner kulturhistorischen Brechung ist es überhaupt denkbar, das Kreuz als harmloses Symbol abendländischer Existenz zu begreifen.

Auch und gerade in der Antike war das Kreuz ein ausgesprochen geschmackloser Hinweis auf einen schändlichen Tod, und das Kreuz Jesu Christi das verstörende Symbol einer neuen Sekte, die an einen Gott glaubte, der eines ebensolchen Todes gestorben war.

Zeit, sich wieder aufzuregen.

Auf diesem Hintergrund sollte man sich die gegenwärtige Argumentationslage noch einmal vor Augen führen:

Auf der einen Seite stehen Angehörige anderer Religionen ebenso wie Atheisten und Freidenker, welche sich darüber empören, dass in einem religiös angeblich neutralen Land noch immer gekreuzigte Christusse in Schulen und öffentlichen Einrichtungen von den Wänden schauen; dazu besorgte Eltern (und Sektenexperten), die beim Anblick der Grauenhaftigkeit dieser Hinrichtungsszene um die psychische Unversehrtheit des Nachwuchses bangen.

Und auf der anderen Seite dann die leidenschaftlichen Fürsprecher des christlichen Abendlandes, die Vertreterinnen der traditionellen Parteien mit einem «C» im Kürzel, die frommen Bürger des Landes, die beschwichtigend einwerfen, man solle sich nicht so zieren, das Kreuz gehöre als kulturelles Symbol doch einfach zur nationalen (oder regionalen) Identität.

Man wird sich fragen dürfen, wer denn hier den ursprünglichen Gehalt des Kreuzes klarsichtiger erfasst hat – diejenigen, die es als Dekorationsgegenstand verharmlosen, oder diejenigen, die sich davon schockiert zeigen und provoziert wissen…

Oder, um diese Frage mit einer weiteren zu beantworten:

Müssten es Christenmenschen nicht begrüßen, wenn ihre Zeitgenoss:innen nach Jahrzehnten des kirchlichen Bedeutungsverlustes und der schwindenden Selbstverständlichkeit des christlichen Glaubens das Kreuz wieder als das wahrzunehmen beginnen, was es von allem Anfang an war: ein Ärgernis, eine Frechheit, eine Provokation?

Für Paulus jedenfalls bestand kein Zweifel daran, dass es sich beim Kreuz um einen wortwörtlichen «Skandal» handelt (griech. skandalon; vgl. 1. Korinther 1,22). Ein Gott, der sich überwinden, demütigen, hinrichten lässt? Die Botschaft des gekreuzigten Gottes läuft nicht nur jedem ästhetischen Empfinden, sondern auch allen religiösen Erwartungen zuwider; sie liefert Grund genug, sich aufzuregen oder mit ihr seinen Spott zu treiben.

Und erst wer das Empörungspotenzial dieser Botschaft und ihres Symbols sieht, wird vielleicht auch zu ihrem Geheimnis vordringen.

7 Gedanken zu „Weg mit dem Kreuz!“

  1. Toller Text!

    Differenziert, Kritik und das Gegenüber ernstnehmend.

    Genau so, wie man es von einem frei denkenden Menschen und einem
    sachkundigen Experten erwarten darf.

    Mit lieben Grüssen
    Christian

    Antworten

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