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 Lesedauer: 5 Minuten

Vom Eisbären und anderen Migranten oder: das Refugium im Klimawandel

Liebe Frauen und Männer

Wir haben ja noch ein anderes altbekanntes Problem: die Klimakrise. Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten und dessen unübersehbare Konsequenz sind die Klimaflüchtlinge. Jetzt denkt sich natürlich jeder: «Was soll das jetzt? Wir haben bei uns doch gar keine Klimaflüchtlinge.»

Falsch gedacht.

Schauen wir uns doch nur mal den Graureiher an. Der Graureiher fliegt normalerweise jedes Jahr im Frühling zu uns in die Schweiz, pickt sich da die Rosinen raus, lebt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, vögelt sich durch die einheimische Vogelwelt, und wenn es dem gschnädderfrässigen Schmarotzer bei uns im Herbst zu garstig wird, zupft er ihn wieder gen Süden. Der Graureiher kommt und geht dann aber auch wieder. So gesehen ist er eher ein latenter Tourist.

Durch den Klimawandel sind jetzt aber seine bevorzugten Routen beeinträchtigt. Er kann sich zum Beispiel nicht mehr am Aletschgletscher orientieren, weil dieser eiskalte Greis ja jedes Jahr inkontinenter wird, und ein Smartphone mit der App der Vogelwarte Sempach hat der Reiher auch keins, welches die schnellste Route seines jetzigen Standortes zu seinem bevorzugten Ziel berechnen könnte. Jetzt ist also der Graureiher bei uns gestrandet und  weiss nicht mehr wohin.

Dann kommen natürlich sofort die Bürgerlichen und sagen:

So jetzt nämemer die huere Fiicher und setzeds uf em Furka us, dänn überleged die sich s’nöchscht Jahr grad zweimal öb sie wieder chömed!

Die Linken widersprechen, ohne zu zögern:

Ja aber wämmer d’Graureiher sottigne Umständ ussetzed, dänn sind diä desorientiert und so verwirrt, dass sie i sones Windrad chöntet ineflüüge. Drum muesch das zerscht mit de EU bespräche, will sie au Strom vo de Schwiiz beziend.

Dem Glättli Balthasar platzt der Kragen und er schlägt vor, dass er mit der Thunberg Greta Piccard Bertrands Solarflugzeug grau streicht und sie dann zu dritt im Tiefflug über den Furka fliegen; in der Hoffnung, die traumatisierten Vögel würden ihnen dann in den Süden folgen.

Googelt man «Klimaerwärmung», kommt aber nicht das Bild des Graureihers auf dem Furka, sondern das des Eisbären in der Arktis. Darunter die Schlagzeile: Der Eisbär sei bedroht, sein Lebensraum schmelze weg – wie ein Glacé in der Badi neben der Fritteuse.

Angesichts dieser Tatsachen habe ich mir dann ernsthaft überlegt, was das jetzt genau für uns Schweizer*innen bedeutet, und ich kann ihnen eins sagen: Nicht die Bedrohung des Eisbären ist das Problem, sondern die Bedrohung durch den Eisbären. Der Eisbär wird zum Klimaflüchtling und dem ist es sowas von egal ob es bei uns heisst: «Zue mache, keine meh ineloh!»

Die wahre Gefahr kommt aus dem hohen Norden! Verstönd Sie? Winter is coming!

10’000 White Walkers kommen zu uns. Eine Armada aus der Arktis, die schon bald die Aare hoch schwimmt, in den Bärengraben marschiert und unsere Braunbären verdrängt. Zuerst nehmen sie ihnen den Job und dann die Bärinnen weg. Die SVP kann da noch lange die ganze Schweiz zukleistern mit ihren Wahlplakaten, wo ein Eisbär mit Räubermaske zu sehen ist und auf dem geschrieben steht: «Schweizer zieht euch warm an! Die Gefahr ist jetzt weiss und kommt aus dem Eis.» Das nützt dann alles nichts mehr.

Gut, vielleicht kommt er nicht heute oder morgen, aber ich sage Ihnen: Der Eisbär hat die Grenzen überwunden bevor die SP die Überwindung des Kapitalismus überwunden hat, und er hat das Wahlrecht erhalten, bevor die SVP je eine Parteipräsidentin erhält.

Der Eisbär kommt, und zwar nicht im Gummiboot. Und er ist total ausgehungert von seiner langen Reise. Dann ist aber der Bär richtig los. Normalerweise frisst der Eisbär ja Robben, die gibt es aber nicht bei uns, darum frisst er das was ihm gerade in den Weg kommt. Das bedeutet, wenn sie ihr Kind zu spät vom Kindergarten holen, war der Eisbär bereits vor ihnen da. Und die Rede ist nicht etwa vom herzigen kleinen Lars oder Knut, sondern von einer drei Meter hohen, 450 Kilo schweren Tötungsmaschine in unschuldigem Weiss. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich niemals dem WWF beigetreten.

Aber das Schlimmste ist, dass dieser Siech unter Artenschutz steht, er geniesst sozusagen eine diplomatische Immunität; den kann man nicht einmal mit einer breit abgestützten Initiative ausschaffen.

Also: Um was gaht’s? Entweder wir gestalten den Aufenthalt des Eisbären bei uns so ungemütlich wie möglich, damit er direkt weiterzieht. Zum Beispiel durch eine saftige Steuer auf das Tragen von weissem Pelz. Davon ausgenommen wären selbstverständlich St. Moritz und Gstaad. Eine weitere Möglichkeit wäre die Körpergrösse für die Benützung des öffentlichen Verkehrs auf 2.30 Meter zu beschränken.

Oder er bleibt. Aber wenn er bleibt, muss er sich anpassen. Das heisst also, wenn er sich auf dem Aletschgletscher niederlässt, sich an unseren Murmeli und Graureihern satt frisst und ab und zu halt auch mal einen Extrembergsteiger in Funktionstextilien reisst, soll er das von mir aus machen. Dafür muss er sich aber auch lokal integrieren, das heisst: Der Eisbär muss Walliserditsch lernen. Und sonst: Güet Nacht am säxschi und ab ind’ Quarantäne!

Rebekka Lindauer ist Kabarettistin, Autorin und Musikerin.

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