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Unsterblicher Tanz

Als Neuschweizerin wusste ich nichts von Godards Schweizbezug. Mir kommt es ehrlich gesagt auch kontraintuitiv vor. Kaum eine Gestalt ist im kollektiven Bewusstsein mehr mit Frankreich und Paris verbunden als der 1930 in Paris geborene Schöpfer experimenteller Kinofilme. Bereits seit den frühen 50ern aber besass der Regisseur, der einer französisch-schweizerischen Familie von Ärzten und Bankiers enstammte, laut Wikipedia-Eintrag die Schweizer Staatsbürgerschaft.

In einem Nachruf im Radio ist eine Journalistin zu hören. Nach jahrelangem Warten hatte sie einen Interviewtermin mit dem die Öffentlichkeit scheuenden Schöpfer legendärer Filme wie «Ausser Atem», «Die Verachtung» und «Elf Uhr nachts» ergattert. Sie sprach Godard als «lebende Legende» an. Muss sich komisch anfühlen, angesprochen zu werden wie ein Fossil, ein Relikt aus der Schwarzweissfilmwelt.

Schwarzweiss ist auch die berühmte Tanzeinlage aus «Bande à part» («Aussenseiterbande», 1964), aber kaum eine Filmszene ist gleichzeitig so farbig wie dieser kleine Szene, die ich so liebe. Drei Charaktere in einem Café, ein improvisierter Madison Line Dance zu Musik aus der Jukebox. Die entzückende Frau mit Hut und kariertem Rock, Anna Karina, war damals Godards Ehefrau.

Vorbild für «Pulp Fiction»

Als Anna Karina vor drei Jahren 79-jährig starb, hatten viele diese Szene im Kopf. Und so geht es mir jetzt auch bei der Nachricht von Godards Tod. Meine Kenntnis von Godards Werks ist unvollständig. Ich glaube, die Filme sind mir zu sehr Ikonen, als dass ich sie anders als mit ehrfürchiger Distanz bestaunen mag. Die Tanzszene aus «Bande à part» aber schaue ich mir immer wieder wie süchtig an:

Wie die drei das Café in eine Bühne verwandeln, wie sie mit den Fingern schnippen, die Gesten, das Stampfen, die coolen Mienen, die kleine Berührung am Rücken, dann plötzlich das Ausblenden der Musik, während der Tanz weitergeht.

Ich erinnere mich an eine Technoparty vor einigen Jahren in Berlin, wo genau diese Tanzszene in Endlosschleife an die Wand projiziert lief, als Untermalung elektronischer Beats. Quentin Tarantino hat die Szene aus «Bande à part» als Vorbild für den gemeinsamen Tanz von Mia Wallace und Vincent Vega in «Pulp Fiction» genannt.

Man kann sogar sagen, das Tanzintermezzo mit mehr als einer Million Aufrufen auf Youtube führt im Internet ein Eigenleben.

Etwas Unsterbliches ist in der ikonischen Szene der jetzt im Alter von 91 Jahren gestorbenen Kinolegende eingefangen, etwas ewig Junges, etwas, dass niemals altern und sterben kann.

Foto: Graffiti stencil of Jean-Luc Godard in Rue Villeneuve, Montreal, Canada; Wikimedia Commons

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