Die Politikwissenschaftlerin Emilia Roig hat mit ihrem zweiten Buch «Das Ende der Ehe» auch ihren zweiten Bestseller gelandet. Ihre Thesen münden in eine Forderung: Die Ehe ist abzuschaffen, weil sie Ungerechtigkeit zementiert – gesetzlich, sozial und innerfamiliär. Dies vor allem wegen der Ungleichheit der mit Männlichkeit und Weiblichkeit assoziierten Genderrollen.
Thorsten Dietz, Janna Horstmann und Evelyne Baumberger waren alle an Podiumsversanstaltungen mit Emilia Roig in Bern und Zürich. Was uns von ihren Thesen einleuchtet, was wir zu radikal oder sogar unberechtigt finden, diskutieren wir jetzt im «Stammtisch». Und wir sprechen darüber, was das für die Kirche bedeutet, die von vielen Mitgliedern auch für Trauungen geschätzt wird.
Am Ende gibt’s zum ersten Mal im «Stammtisch» noch Fragen aus der Instagram-Community. Diskutiert auch mit und schreibt uns eure Meinung dazu als Kommentar!
«Das Ende der Ehe» ist 2023 bei Ullstein erschienen. Es ist auch auf Spotify als Hörbuch verfügbar.
Zur Frage «Ehe: Leitbild oder Auslaufmodell?» hat Thorsten zusammen mit Tobias Faix auch eine Episode ihres Podcasts «Karte und Gebiet» aufgenommen.
Und hier das erwähnte Essay zu toxischer Männlichkeit in «Das Magazin» vom 28.4.2023.
10 Gedanken zu „Das Ende der Ehe?“
Die These kurz durchdacht aufgrund meiner Erfahrungen: Mit Kindern könnte das nur innerhalb eines verbindlichen, kollektiven Lebens funktionieren (ähnlich Kibbuz) mit kollektiver Ökonomie, Produktion und Konsumaktion und kollektiver Betreuung und Erziehung der Kinder. In einem Paarlebensmodell und erst recht in einem singular-individuellen Lebensmodell kann das mit Kindern nicht funktionieren – oder nur im alleräussersten Glücksfall, wenn keine besonderen Schwierigkeiten mit den Kindern vorkommen.
Dass die herkömmlichen Geschlechtsrollenstereotype überholt sind, wird nach meinem Empfinden seit einem halben Jahrhundert andauernd rauf- und runtergebetet. (Nebenbei würde mich interessieren, ob Roig nur diese Rollenbilder oder die biologische Tatsache der zwei Geschlechter schlechthin abschaffen möchte.) Grosse Erwartungen weckte bei mir die Ankündigung, auszuleuchten, wie die Ehe unser gesamtes gesellschaftliches Leben strukturiert. Das wurde aber, falls ich nicht Wichtiges überhört habe, nicht weiter konkretisiert. Entscheidend für eine Reformierbarkeit der Ehe bzw. ihre Daseinsberechtigung scheint mir die von Janna vorsichtig angeschnittene Frage nach der Ausschliesslichkeit und danach, ob und inwiefern Liebesbeziehungen sich zu “freundschaftlichen Liebesbeziehungen” wandeln können und dürfen. Ich würde hier allerdings härter argumentieren und sagen: Die Definition der Ehe widerspricht fundamental der (nicht monogamen) Natur der Menschen. Die Ehe muss abgescchafft werden, weil sie den Leuten unhaltbare Glücks- und Sicherheitsversprechungen vorgaukelt.
Mit Interesse habe ich diesen Podcast gehört. Und war leider am Ende etwas enttäuscht. Wo war genau die Kritik an den Thesen von Emilia Roig? Ich hab sie irgendwie nicht so rausgehört.
Stattdessen viele feministische Allgemeinplätze und so richtig beantwortet haben Janna und Evelyne Thorstens kritische Rückfragen auch nicht.
Sehr gut fand ich den Teil über die Frage nach möglichen kirchlichen Ritualen für Liebe und Verbundenheit auch in anderen Partnerschaften, Freundschaften etc. ❤️
Ich bin nicht so sicher, ob die Sehnsucht nach DEM/DER einen Partner/Partnerin wirklich eine romantische ist. Ich denke da an die Reaktion Adams, als er Eva zum ersten Mal sieht, die Formulierung “ein Fleisch werden”, den Ausspruch Jesu “was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden”. Das sind ja nun keine Aussagen aus der Epoche der Romantik, sondern von viel früher und erstere jedenfalls aus Texten, die sich mit ganz grundlegenden Dingen unseres Daseins befassen.
Was ich vermisst habe, war der Aspekt des “aneinander Wachsens”, den man m.E. nicht mehr so hat, wenn man immer dann, wenn es schwierig wird, eine Beziehung beendet und die nächste beginnt, in der es angenehmer ist. Ich finde, es gehört auch zu Sozialkompetenz dazu, es miteinander aushalten zu lernen. Manchen Paaren hilft es ja, dass sie sich einmal dieses Eheversprechen gegeben haben, und das trägt sie durch Krisen hindurch. Aber ja, ich sehe auch den Aspekt des “Gefangenseins” in einer Ehe, wenn eine Scheidung gesellschaftlich abgewertet wird oder Abhängigkeiten bestehen.
Was ich schwierig fand, war das “jetzt lebt E. Roig eben mit einer Frau zusammen”. Diese Option haben halt heterosexuelle Frauen nicht, sofern sie nicht einfach nur eine WG mit einer Freundin haben möchten, sondern für eine Partnerschaft auch Sexualität eine Rolle spielt.
Schade finde ich Jannas Antrieb, aus Angst davor, in heteronormative Muster zu verfallen, nicht zu heiraten. Dass anscheinend ihr Glaube an sich und ihre Möglichkeiten, heteronormative Muster zu verändern, so schwach ist oder sie keine Hoffnung darauf hat, dass es auch Männer gibt, die bestimmte gesellschaftliche Standards kritisch sehen und verändern wollen. Ich denke, es wird keine Veränderungen geben, wenn wir Angst vor gesellschaftlichen Gegebenheiten haben.
Liebe Katharina, danke für dein ausführliches Feedback. Die Frage nach dem aneinander Wachsen beschäftigt mich auch, ich habe sie Emilia Roig sogar in der Fragerunde nach dem Podium in Bern gestellt. Sie meinte, Langlebigkeit sei für sie kein Kriterium (was meine Frage auch nicht recht beantwortete).
Noch zum letzten Abschnitt wegen der Veränderung: als Feministinnen setzen wir uns ja genau dafür ein, egal, welche Beziehungsform wir wählen und wie wir diese gestalten.
Danke, Evelyne, für die Rückmeldung!
Ich denke, wir leben in einer Zeit, in der viele sich zunehmend mit Demokratie, Pluralität schwer tun. In der Populismus und Nationalismus erstarkt und in der oft ein Reden miteinander nicht mehr möglich ist, weil zunehmend ein Rückzug in die selbstbestätigenden “Bubbles” stattfindet. Da wäre für mich die Frage, ob nicht gerade auf Langlebigkeit ausgelegte Beziehungen mit einer offiziellen “Bundesvereinbarung” die Pluralitätsfähigkeit fördern können. Wo gelernt werden kann oder muss, auch kontroverse Positionen auszuhalten und Dinge auszuhandeln.
Hinsichtlich des Einsatzes für Veränderungen: ja, und das ist auch wichtig so. Gerade in dem Kernbereich der Ungleichbezahlung und fehlenden Wertschätzung von Care Arbeit, über den ihr ausführlich gesprochen habt.
Ich nahm allerdings in der Aussage von Janna eine Hilflosigkeit wahr oder ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber diesen heteronormativen Mustern. Da hat mir das feministische “Tschakka!” 😉 gefehlt und ich denke, mit einer ängstlichen Haltung ist es schwierig, Veränderungen zu bewirken.
Was mich auch nicht interessieren würde: Gibt es Stimmen homosexueller Paare zu dem Vorschlag und den Thesen von Emilia Roig?
Sie haben ja sehr dafür gekämpft, auch heiraten zu dürfen.
Bei ihnen kann ich mir schwer vorstellen, dass sie die Ehe als Mittel zur systematischen Unterdrückung/Benachteiligung der Frau oder als Ausdruck und Hilfsmittel des Patriarchats wahrnehmen.
Gibt es auch homosexuelle Paare, die sich scheiden lassen, weil sie durch die Ehe eine Ungleichbehandlung festgestellt haben oder durch die Ehe dem/der einen Partner/in Altersarmut drohte?
Sorry; es muss heißen
Was mich auch NOCH interessieren würde 😅
Thorsten wie immer charmant abwartend und zurückhaltend: ich hätte mir gewünscht, dass er seine kritischen Punkte mehr einbringt, wie er es bei Karte und Gebiet tut…
Fortsetzung bitte! Als es für mich richtig spannend wurde, war der Stammtisch auch schon vorbei.
Für mich als Langzeit-Eheweib und Lohn-Arbeiterin im Care-Bereich wird es privat wie theologisch und politisch spannend, wenn es um Care und Geld geht – und wie aktuell und in Zukunft damit umzugehen sei.
Die Antworten des Patriarchiats und des Kapitalismus: unbefriedigend. Die Antworten der Bibel: bunter als gepredigt wird. Blöd für Carende und Care-Bedürftige: Den Job will keine mehr zu den aktuellen Konditionen machen. Wenig Geld, viel Druck und dazu Anfeindungen (resp. wohlmeinende Rechthaberei) von allen Seiten, gerne vom hohen Ross herunter, auf dem sich nicht nur Männer wohl fühlen.
Mir ist egal, nach welchen Formen und Formeln Menschen in ihren Häusern zusammenleben, solange die Systeme stabil genug für Kinder, Kranke, Alte und Menschen mit Behinderungen sind. Solange man solidarische Regeln vereinbart und Care nicht zur Armuts- oder Abwertungsfalle wird.
DAZU mehr, bitte! Danke!
Nel
Hey Nel, danke für den anregenden Kommentar! Wir nehmen die Aufforderung, mehr dazu zu machen, gerne mit. Herzlich, Evelyne