Die erneute Wahl von Donald Trump lässt uns an den bisherigen Vorstellungen davon zweifeln, wie politische Meinungen gebildet werden. Die Rationalität, welche Immanuel Kant noch als absoluten Massstab und Leitstern moderner Gesellschaften beschwor, und der «zwanglose Zwang des besseren Arguments», welchem Jürgen Habermas noch so viel zutraute, scheinen als lebensferne Konstrukte oder naive Kopfgeburten entlarvt.
Dafür gewinnt man einen Eindruck davon, was Friedrich Nietzsche mit dem unbedingten «Willen zur Macht» meinte – mit der anthropologisch angelegten Neigung des Menschen also, sich anderen gegenüber mit allen Mitteln durchzusetzen. Auch für erfundene Geschichten über südamerikanische Migranten, welche den Amerikanern die Hunde und Katzen wegfressen, ist sich ein solcher Wille nicht zu schade.
Und natürlich wird man an Harry Frankfurts Büchlein «On Bullshit» erinnert: Während ein Lügner bewusst die Wahrheit kennt und sie zu verbergen oder zu verdrehen versucht, ist dem «Bullshitter» nach Frankfurt die Wahrheit gleichgültig. Er sagt, was auch immer ihm nützlich erscheint, ohne Rücksicht darauf, ob es wahr oder falsch ist. Allein auf die Wirkung kommt es an – und gerade so werden mit «Bullshit»-Aussagen sogar neue Wirklichkeiten geschaffen: Es wirkt, es überzeugt… darum ist es auch wahr.
Haben wir damit die beiden Alternativen skizziert: Auf der einen Seite die vernünftigen Demokraten, die an die Kraft der besseren Argumente glauben – auf der anderen Seite die machthungrigen Republikaner, denen die Wahrheit gleichgültig ist, solange sie sich nur selbst durchsetzen können? Oder noch zugespitzter: Auf der einen Seite die urbanen Bildungsbürger, auf der anderen Seite die ländlichen Idioten?
Im Gespräch von Manuel und Peter wird klar, dass man es sich nicht so einfach machen kann – und dass sich der Kampf um die US-Präsidentschaft hervorragend eignet, fundamental verschiedene Verständnisse von Wahrheit und Wirklichkeit aufzudecken. Dabei kommt ein moderner, rational-argumentativer Wahrheitsbegriff ebenso zur Sprache wie ein pragmatischer und letztlich postmoderner Begriff von Wahrheit. Und es wird immer klarer, dass es in dieser Diskussion ohne Selbstbescheidung (oder Demütigung) derjenigen, welche die Bildung und Vernunft auf ihrer Seite wähnen, nicht gehen wird…
Viel Spass und Erleuchtung mit dieser spannenden Spezialfolge von «mindmaps»!
3 Gedanken zu „Special: Trumps Wahrheit“
Danke, dass ihr das Trump-Thema (auch um die „Wahrheit“ herum) so klar als Pragmatismus erklärt habt und aufgezeigt habt wie wir alle unsere Philosophie (Rationalismus) im Gepäck haben (neben vielem anderen) und nur weiterkommen, wenn wir einander zuhören (agree to disagree 😂)
Komplexe, spannende Sicht – ich habe früher oft so argumentiert: dadurch, dass jemand etwas Falsches mehrmals wiederholt, wird es nicht wahrer – das ist wohl nicht mehr so wahr 😉 … das geht halt von dem Glauben von uns Aufklärungs-Gläubigen aus, dass sich die Wahrheit durchsetzen wird… wie Ihr ja sagt hat Trump kein Interesse an Wahrheit, sondern an Macht: mit “we will make Amerika great again” verspricht er den ökonomischen Verlierern via politisch-wirtschaftliche Macht auch persönliche Ermächtigung… hier denke ich müssen wir humanistisch Engagierten noch klarer sehen: Machtlose, gedemütigte Menschen, die um ihre Existenz bangen, sind primär an Wohlstand und Selbstwert interessiert… Wahrheit ist das, was einem nützt? Am wenigsten verstehe ich, wie Trump & co es erneut schaffen, ihren Nutzen als Nutzen für alle (Amerikaner) zu verkaufen. Viel mehr als eine Ersatzreligion aus Wohlstandsevangelium & Machotum haben sie doch nicht zu bieten…was hat die letzte Amtszeit von Trump den unteren Schichten wirtschaftlich gebracht? Jesus hat meiner Meinung einer der “wahrsten” Sätze auch gegen Populisten gesagt: an ihren Früchten werdet Ihr sie erkennen! So hängen Wahrheit und Gerechtigkeit dann doch wieder zusammen…befreiungstheologische Ansätze helfen mir da weiter. Ich bin einverstanden mit Offenheit und Demut, aber nur, wenn wir uns damit nicht die Zähne ziehen lassen für den Widerstand gegen den weltweiten Machtzuwachs der Rechtspopulisten.
Vielen Dank, liebe RefLab-Leute. Ihr habt mir echt geholfen zu verstehen. Ich war eine von diesen, die verständnis- und fassungslos vor dem Wahlresultat standen und der diese Denke und Funktionsart fremd waren. Und der auch die vielen Statistiken und Erklärungsversuche nicht weiterhalfen, weil ich spürte, die Differenz ist tiefergehend und elementarer. Ich hab diese Folge in grossen Teilen sicher schon zehnmal gehört. Wenn es euch nicht gäbe, müsste man euch erfinden!