Der Sommer in der mittelgrossen deutschen Stadt war unglaublich grau gewesen. Fast hatten wir vergessen, wie die Sonne aussah. Da erschien die Reise nach Athen, auch wenn es nur ein Ultrakurztrip mit zwei Übernachtungen war, als unverhoffter Lichtblick. Es war mein erster Griechenlandbesuch und meine erste Flugreise. Und natürlich war der Athener Himmel strahlend blau. Vom Flughafen ging es direkt zu Mikis Theodorakis. Und schon traten wir auch schon leicht verlegen in die lichtdurchflutete Athener Privatwohnung des Musikers und Komponisten ein, zum Homestory-Termin.
Theodorakis’ Domizil lag auf einer Erhebung in bevorzugter Wohnlage im Stadtzentrum. Es war nicht protzig, eher filigran, bot aber einen unüberbietbaren Ausblick: auf der einen Seite mit Sicht auf die über der Stadt thronende Akropolis, auf der anderen auf die blauglänzende Ägäis.
Kaum hatten wir uns etwas akklimatisiert und ein paar Schlucke gekühlter Limonade genossen, da erklärte uns Theodorakis mit volltönender Stimme vor der Meereskulisse: «Man nennt mich Beethoven der Ägäis». Sein fülliges graues Haar wallte und er sah wirklich ein wenig wie Beethoven aus.
Links die Akropolis, rechts die Ägäis
Ich erinnere mich, dass mir damals fast das Limonadenglas aus der Hand gefallen ist und ich nach ironischen Untertönen in der Stimme des Musikers fahndete. Mir erschien der unverblümte Narzissmus unglaublich. Zugleich fand ich Theodorakis lustig. Er strahlte Offenherzigkeit, Gastfreundlichkeit und noch mit Mitte 70 enthusiastische Lebensfreude aus. Er schien sich auf die kleine Reisegruppe aus Deutschland wirklich gefreut zu haben. Jedenfalls tat der Komponist, der unsere Grossvater hätte sein können, alles, um uns zu beeindrucken.
An die Fragen, die wir ihm stellten, und seine Antworten habe ich keine Erinnerung mehr, aber eine Szene auf der geräumigen Dachterrasse seiner Wohnung hat sich eingeprägt: Theodorakis schmauchte genüsslich Zigarre und zögerte nicht, uns von seiner jahrelangen Freundschaft mit dem kubanischen Staatschef und kommunistischen Revolutionär Fidel Castro in Kenntnis zu setzen. Zum Beweis präsentierte er eine Schachtel mit kubanischen Zigarren und einer persönlichen Widmung des Comandante.
«Fidel erkundigt sich regelmässig per Post, ob mein Vorrat an Zigarren schon aufgebraucht ist.»
Künstlerisches und politisches Engagement waren bei Mikis Theodorakis eng verwoben. Während des Zweiten Weltkriegs war der Komponist im Widerstandskampf gegen den Nationalsozialismus, anschliessend kämpfte er im Griechischen Bürgerkrieg aufseiten der Linken. Gegen die Militärdiktatur ging er erneut in den Widerstand.
Abschied von Idealen
Mehrfach wurde Theodorakis schwer gefoltert und durfte auf internationalen Druck schliesslich ausreisen. Bis Mitte der 70er-Jahre lebte er im Pariser Exil. Wiederholt wurde er ins griechische Parlament gewählt. Die linken Kampfgenossen nahmen es Mikis Theodorakis übel, dass er Ende der 80er-Jahre für die Liste der konservativen Partei Nea Dimokratia kandidierte. Der Freundschaft mit Fidel Castro aber scheint die überraschende politische Umorientierung keinen Abbruch getan zu haben.
Beim Abschiednehmen im Sommer 2000 beteuerte der Komponist, dass just auf dem grünen Hang hinter seiner Wohnung der Philosoph Sokrates für seinen zivilen Ungehorsam den tödlichen Schierlingsbecher habe trinken müssen. Wir hatten bereits geahnt, dass ein bedeutender Musiker wie unser Gastgeber nicht auf einem unbedeutenden Hügel leben würde.
Die Filme, für die Mikis Theodorakis Filmmusik komponierte, allen voran «Alexis Sorbas» mit Anthony Quinn in der Titelrolle, habe ich bis heute nicht gesehen. Einige Melodien aber hatte ich im Ohr, ohne zu wissen, von wem sie sind. Es war gut, dass der Kollege vom linken Blatt «Neues Deutschland» mich über die Wertschätzung aufklärte, die der Künstler insbesondere in der DDR genoss.
Während Miki Theodorakis Gefangenschaft haben Schulkinder in der DDR Sonnenblumen für den griechischen Volkshelden gemalt und ihm die Zeichnungen ins Gefängnis geschickt.
Erst Jahre nach meinem Besuch in Mikis Theodorakis Wohnung begriff ich, dass die selbstverliebt tönende Aussage vom «Beethoven der Ägäis» der Versuch war, ein Bild zurechtzurücken: Der Komponist wollte nicht auf ein paar simplifizierte Sirtakiklänge aus «Alexis Sorbas» reduziert werden. Tatsächlich hat der 1925 auf der Insel Chios Geborene in seinem langen Leben mehr als 1000 symphonische Werke und Liedkompositionen geschrieben. Darunter ist auch die Vertonung des Canto General nach Versen von Pablo Neruda. Aber für die meisten war und blieb er der Komponist eines Ohrwurms: Tadadam … Tadadam … Tüdeldümm.
Komponist von Kirchenmusik
In seinen Kompositionen finden sich vielfältige Anklänge an Volkslieder, die religiöse Musiktradition von Byzanz und die Nachkriegsavantgarde.
In den 80er-Jahren komponierte Mikis Theodorakis orthodoxe Kirchenmusik und Opern mit mythischen Heldinnen wie Lysistrata, die dazu aufruft, sich kriegerischen Männern sexuell zu versagen, um Frieden zu schaffen.
Seine Athener Wohnung war ein Künstlertreff. Der Dialog mit der künstlerischen und politischen Jugend blieb ihm wichtig. Jetzt ist Mikis Theodorakis im Alter von 96 Jahren in seiner Heimat gestorben. Als die Nachricht seines Todes am Donnerstagvormittag bekannt wurde, unterbrachen Radio- und Fernsehsender in Griechenland ihr Programm. In dem Land wurde anlässlich des Todes des beliebten Komponisten eine dreitägige Staatstrauer verhängt.
Foto: Wikimedia Commons
1 Gedanke zu „Sonnenblumen für den Künstler“
Theodorakis war Grieche durch und durch …. mit all seinen Widersprüchen, die das Land und sein Volk bis heute hat! Kein Griech:in will den Bürgerkrieg diskutieren, der von einer Grausamkeit und Wut behertscht wurde, der beispiellos war. Die Musik war und ist bis heute eimalig, ein bindendes Glied über alles hinweg – und er war es, dies seinen Landsleuten wieder in Erinnerung zu rufen.