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Papst Franziskus: Apostel der Wirtschaftskritik

Die Namenswahl war natürlich kein Zufall: Francesco. Jorge Mario Bergoglio, Nachfahre italienischer Auswanderer, identifizierte sich mit Franz von Assisi; dem reichen Bürgersohn aus dem umbrischen Städtchen, der alles weggegeben hat, sogar seine Kleider. Laut Legende.

Zu einer Zeit, dem Mittelalter, als die Städte zu Lasten des Hinterlandes enormen Wohlstand anhäuften.

Damals wurde das Gefälle zwischen Arm/Reich – eigentlich wie heute – scheinbar unbremsbar grösser und grösser. Francesco, «Il Poverello», wurde zur überragenden Gestalt einer Armutsbewegung; der wohl grössten seit den antiken Sklavenaufständen.

Der erste Papst Franziskus

Jorge Mario Bergoglio war der erste Papst der Kirchengeschichte, der sich nach Franz von Assisi benannte: ein unkonventioneller Namenspatron.

Von Franz von Assisi berichten Legenden, er habe zu tanzen begonnen, wenn er mit Worten nicht mehr weiterwusste. Einmal soll er sogar in Unterhose gepredigt haben, als Demonstration, dass man auch mit wenig auskommen kann.

Eine derart unkonventionelle Figur als Namenspatron verpflichtet.

Der erste Argentinier im Papstamt, geboren 1936, zog immerhin bei seiner Ankunft 2013 im Vatikan nicht, wie alle seine Vorgänger, in päpstliche Prunkräume ein. Er hat stattdessen mit einem Gästehaus in der Nähe der Vatikanstadt vorliebgenommen, der Casa Santa Marta. Die saloppe Begründung: Er brauche es, sein Leben «mit anderen zu teilen». Glaube sei für ihn Leben, intensiv gelebtes Leben.

Eine schöne Geste war auch die erstmalige Öffnung der päpstlichen Gärten der Sommerresidenz in Castel Gandolfo für «normale» Rom-Besucher:innen.

Kind einer Einwanderfamilie

Jorge Mario Bergoglio wuchs in Buenos Aires in einer kinderreichen Einwandererfamilie auf. Bevor er zu studieren begann – Geisteswissenschaften, Philosophie und Theologie – war er Türsteher, Hausmeister und dann Chemietechniker.

In seiner jüngsten Enzyklika («Dilexit nos») gab er Einblicke in seine Kindheit. Das Gefühl von Geborgenheit in der Familie war für seinen Glauben und sein Lebensvertrauen grundlegend:

«Ich denke daran, wie wir mit unseren Müttern oder Großmüttern die Ränder der selbstgemachten Panzerotti [gefülltes Teiggebäck] mit einer Gabel verschlossen. In diesem Moment des Kochenlernens, auf halbem Weg zwischen Spiel und Erwachsensein, übernimmt man die Verantwortung der Arbeit, um den anderen zu helfen.»

Er könne, schrieb er, Tausende solcher kleinen Details, wie das von der Gabel, aufzählen, die die Biografien aller Menschen ausmachen.

«Mit einem Witz ein Lächeln zu erzeugen, das Abpausen einer Zeichnung im Gegenlicht eines Fensters, das erste Fußballspiel mit einem Lumpenball, das Aufbewahren von Würmern in einem Schuhkarton, das Trocknen einer Blume zwischen den Seiten eines Buches, die Sorge um einen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, sich beim Abzupfen der Blätter eines Gänseblümchens etwas zu wünschen.»

Das Glück der kleinen Details

All diese kleinen Details, dieses «Gewöhnlich-Aussergewöhnliche», liessen sich nicht in Algorithmen fassen. Denn sie alle «haben mit der Zärtlichkeit zu tun, die man in den Erinnerungen des Herzens bewahrt.»

Ich musste beim Lesen an den Stil von uns Blogger:innen denken. Auch wir versuchen, ins Geschriebene Herz hineinzulegen – und Poesie. Es hat mich angesprochen, wie vieles in diesem Papstleben.

Vielleicht am allermeisten seine Enzyklika «Laudato si’» von 2015, seine Umwelt- und Klimaschutzschrift. Inspiriert unter anderem von Franz von Assisis «Sonnengesang».

In dieser Schrift geht um den Erhalt der Schöpfung, wozu auch Frieden gehört.

Frieden und Gerechtigkeit

Der Papst begnügte sich nicht damit, Kriege abzulehnen, sondern er versuchte Vorschläge für Frieden zu unterbreiten. Er fand vehement deutliche Worte.

«Wir wissen, dass das Verhältnis derer, die mehr und mehr konsumieren und zerstören, während andere noch nicht entsprechend ihrer Menschenwürde leben können, unvertretbar ist.»

Darum sei die Stunde gekommen, in einigen Teilen der Welt «einen gewissen Wachstumsrückgang zu akzeptieren», damit in anderen Teilen ein gesunder Aufschwung stattfinden könne, unter Rücksichtnahme auf die Schöpfung.

Die Zeichen der Zeit freilich deuten in eine andere Richtung: Wirtschaftskriege, Handelskriege, Stellungskriege, Rohstoffkriege, Drohnenkriege, und womöglich auch wieder: Glaubenskriege.

Spaltung der Gesellschaft

Franziskus‘ Pontifikat fiel in eine Zeit einer epochalen Spaltung auch der christlichen Welt und insbesondere auch innerkatholischer Spaltungen. Links-Katholikinnen hofften auf eine Wiederbelebung von befreiungstheologischen Ansätzen. Fromm-Rechte gaben dem Lateinamerikaner hingegen vom ersten Moment seines Amtsantritts an kaum eine Chance. Verschwörungstheorien zeichneten den Papst sogar als vom «wahren» Glauben abgefallen, nannten ihn Antichrist.

Franziskus wird in die Kirchengeschichte nicht als Revolutionär eingehen, aber als scharfer Kritiker des unreglementierten Kapitalismus, des Wirtschaftsliberalismus, des Konsumismus und der Überentwicklung.

Er stiess einige innerkirchliche Reformen und Initiativen an.

Anliegen waren ihm: die Förderung der Annäherung an den Islam; die Initiierung des «Synodalen Wegs» mit Weltbischofssynoden, bei denen erstmals auch Frauen und Nicht-Bischöfe stimmberechtigt waren. Er ermöglichte Frauen die Bekleidung hoher Ämter in der Kirche, die zuvor an die Priesterweihe gebunden waren.

In Bezug auf den Protestantismus bemühte er sich um eine weitere Annäherung. Franziskus war der erste Papst, der 2014 eine freikirchliche Gemeinde und eine Kirche der Waldenser besuchte. 2016 reiste er nach Schweden, um am Reformationsgedenken teilzunehmen.

Ein Schatten liegt auf Bergoglios Biografie, durch Vorkommnisse unmittelbar vor dem argentinischen Militärputsch im Jahr 1976. Zwei seiner Mitbrüder waren in Armenviertel gezogen und gerieten in Verdacht, mit der Guerilla in Kontakt zu stehen. Der spätere Papst habe sie als ihr Vorgesetzter nicht ausreichend geschützt, behauptet der eine bis zu seinem Tod; der andere zog die Vorwürfe später zurück.

Vance im Vatikan

Vergangenes Jahr hatte mit Javier Milei ein Landsmann des Papstes im Vatikan angeklopft. Der argentinische Staatschef, der den Papst zuvor im Präsidentschaftswahlkampf als dumm beschimpft hatte, wünschte nun eine Audienz. Als Präsident mit der Kettensäge betreibt Milei gerade einen radikalen Staats-, Sozial- und Bildungsabbau.

Der Apostel der Armen, Papst Franziskus, und der bekennende Anarchokapitalist könnten kaum unterschiedlicher sein.

Am Ostersonntag, nur wenige Stunden vor seinem Tod, empfing der Papst den amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance zu einer kurzen Privataudienz. Es war die Begegnung mit einem der profiliertesten Vertreter einer Politik, die ebenfalls in diamentralem Gegensatz zu seinen lebenslangen befreiungstheologisch inspirierten Anliegen steht.

Dass der Papst wenige Stunden später starb, am Ostermontag im Alter von 88 Jahren, ist der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien gestrickt werden.

Foto: Papst vor der Casa Santa Marta, Rom 2013, Wikimedia Commons.

1 Gedanke zu „Papst Franziskus: Apostel der Wirtschaftskritik“

  1. Guten Abend Frau Di Blasi

    Im Kontext des Todes von Papst Franziskus schreiben Sie im RefLab vom 21. April 2025 in der Überschrift:
    Papst Franziskus: Apostel der Wirtschaftskritik

    Franziskus sagte völlig zu Recht: Diese Wirtschaft tötet – wenn man an die Kinderarbeit für unsere Billigkleider denkt, oder an die Gemüse- und Früchteernten in Italien:
    ‘Seit Anfang der 1990er Jahre wird ein Großteil der harten Arbeit von osteuropäischen
    Wanderarbeitern übernommen. Doch seit viele Menschen aus afrikanischen Staaten die Flucht über das Mittelmeer antreten, arbeiten besonders diese auf den Orangenplantagen Süditaliens. Denn durch die Rechtlosigkeit, die sie durch ihren Flüchtlingsstatus bekommen, und die rassistisch strukturierte Gesellschaft werden die Geflüchteten besonders ausbeutbar. Für ganz Italien wurde die Zahl der migrantischen Arbeitskräfte im Agrarsektor auf etwas mehr als 400.000 geschätzt, was etwa 40 % der Arbeiter*innen in der Landwirtschaft ausmacht’.

    Jedoch, im Kontext der Information über sein Ableben, finde ich diese Überschrift in jeder Hinsicht deplatziert und despektierlich. Franziskus war, wie selten zuvor, ein Papst der glaubwürdigen Nachfolge Christi. Er stellte den Dienst an den Armen und ausgebeuteten Menschen – und der ausgebeuteten Mutter Erde – in das Zentrum seines Handelns und begegnete allen Menschen mit einer liebevollen, demütigen Präsenz. Auf Prunk und Würde verzichtete er und pflegte einen einfachen Lebensstil.
    Ist Ihnen das alles entgangen?

    Dass Franz von Assisi seine Kleider weggegeben hat, bezeichnen Sie lediglich als Legende. Wikipedia schreibt dazu: ‘In dieser Gerichtsverhandlung, die im Frühjahr 1207 öffentlich auf dem Domplatz stattfand, entkleidete sich Franziskus vollständig, verzichtete mit dieser Geste auf sein Erbe und sagte sich von seinem Vater los. Seine überlieferte Aussage: „Bis heute habe ich dich meinen Vater genannt auf dieser Erde; von nun an will ich sagen: ‚Vater, der du bist im Himmel‘.

    Ich finde Ihren Artikel im RefLab enttäuschend und unangemessen.

    PS: Ich hoffe, dass auch kritische Leserbriefe veröffentlicht werden.

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