Kaum ein Thema polarisiert stärker als der israelisch-palästinensische Krieg. Auch ausserhalb der Konfliktregion. Auch bei uns.
Besonders in den vergangenen Monaten standen Meinungen vielfach unversöhnlich und schroff gegenüber. Scheinbar ohne Vermittlungsmöglichkeit.
Sogar Freundschaften zerbrachen über der Israelfrage.
Strittige Israelfrage
Gerade auch bei Christ:innen ist das Thema hoch aufgeladen. Allein der Hinweis darauf, dass es sich um keinen symmetrischen Krieg handelt, ist für manche zu viel Empathie für die eine Seite – und zu wenig Mitgefühl für die andere. Gleichzeitig bildet Empathie für Schwächere und Marginalisierte den Glutkern des christlichen Selbstverständnisses.
Vielleicht werden derart langanhaltende Megakonflikte irgendwann überhaupt nur noch durch persönliche Schicksale begreifbarer, auf allen Seiten der Konfliktlinien?
Künstlerische Auseinandersetzungen bieten die Chance, einen Schritt zurückzutreten. Und sich mit komplexen Wirklichkeiten aus verschiedenen Perspektiven auseinanderzusetzen. Zum Beispiel beim Palestine Arts Filmfestival in Zürich in der kommenden Woche.
Im Programmflyer steht: «Die Situation in Palästina war noch nie eine einfache, doch dieses Jahr ist sie besonders schwierig.» Der Eröffnungsfilm, «The Teacher», der palästinensisch-britischen Filmemacherin und Menschenrechtsaktivistin Farah Nabulsi hatte in London Premiere und war danach unter anderem in Toronto zu sehen.
Der Film ist ein Beispiel für eine multiperspektivische Annäherung an eine komplexe Konfliktlage.
Keine simplen Lehren
Der Lehrer im Zentrum des Films «The Teacher» hat keine einfache Lehrmeinung anzubieten. Er versucht, politischen Widerstand in Einklang zu bringen mit der Chance auf privates Lebensglück und der Unterstützung für Menschen in Extremsituationen. Die Jugendlichen, die er emotional betreut, sind hin- und hergerissen zwischen der Versuchung, sich einer Rachelogik zu ergeben, oder auf Frieden zu bauen.
Beides bedeutet Kampf und Gefahr.
Auch eine israelische Anwältin und ein amerikanisches Ehepaar kommen in dem Filmdrama vor. Das Paar fürchtet um das Leben ihres von palästinensischen Kämpfern gekidnappten Sohnes. Die Anwältin setzt sich für palästinensische Rechte vor dem Hintergrund expansiver israelischer Siedlungspolitik ein.
Schauplatz der Filmhandlung ist die seit mehr als fünfzig Jahren militärisch besetzte Westbank. Die Dreharbeiten erfolgten dort unter erschwerten Bedingungen.
Eine Schlüsselszene zeigt zwei Männer auf einem staubigen rotbraunen Sofa. Das Möbelstück steht auf einem Schutthaufen, der noch vor Kurzem das Haus einer palästinensischen Familie war. Der jüngere der beiden Männer war hier zu Hause. Er sagt zu einer internationalen Helferin mit trockener Bitterkeit:
«Welcome to our home.»
Daneben sitzt der Lehrer, dargestellt vom namhaften palästinensischen Schauspieler Saleh Bakri.
Viele Menschen in der Konfliktzone besitzen Hausschlüssel, aber die dazu passenden Häuser fehlen.
Alternative Erzählungen
Das Palestine Arts Filmfestival [1] verschafft mit etwa einem Dutzend Filmen alternativen Erzählungen ein Podium und bietet die Chance, Stereotypen aufzubrechen. Zu sehen sind unter anderem «Women of Freedom», «The Law and the Prophets» und «A Gaza Weekend».
Letzteres ist eine Komödie: Nach Ausbruch eines tödlichen Virus ist das vom Rest der Welt abgeschnittene Gaza plötzlich der sicherste Ort der Welt.
Witz – so eine Schlussfolgerung des slowenischen Philosophen und Psychoanalytikers Slavoj Žižek aus den Jugoslawienkriegen – ist in Kriegszeiten ein Überlebensmittel.
Die Aufmerksamkeit für palästinensische Geschichten wächst. Das zeigt auch die Vergabe des Pulitzer-Preises im Bereich nichtfiktionale Literatur in diesem Jahr an Nathan Thrall für «A Day in the Life of Abed Salama: Anotomy of a Jerusalem Tregedy». Der Autor ist ein amerikanischer Jude, der in Jerusalem lebt.
[1] Organisiert wird das Zürcher Palestine Arts Filmfestival von Aline Geissmann, Carli Sulzener, Zoé Clémence und Geri Müller. Letzterer ist ehemaliger Grünenpolitiker, Nahostexperte, Präsident der Gesellschaft Schweiz–Palästina und wegen seines politischen Engagements gelegentlich in die Kritik geraten.
Vom 12. bis 15. September gibt das Palestine Arts Filmfestival in Zürich mit etwa einem Dutzend Filmen Einblicke ins reichhaltige palästinensische Filmschaffen der Gegenwart (im Kino Arthouse Picadilly)
Palestine Arts Filmfestival 2024 Flyer (PDF)
Spendenmöglichkeiten für Gaza
Filmstill: Mohammad Abed El Rahman (li.) und Saleh Bakri in «The Teacher», Regie Farah Nabulsi, Cocoon Films/Palestine Arts Filmfestival Zürich.
Vergangenes Jahr stammte die Liturgie zum Weltgebetstag von palästinensischen Frauen. Im Podcast «Stammtisch» sprachen Felix Reich und Pfarrerin Chatrina Gaudenz darüber, was das nach dem 7. Oktober 2023 bedeutete.