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 Lesedauer: 5 Minuten

Nachgefragt: LGBTQ-Pfarramt

Pfr’in Priscilla Schwendimann wird diese Stelle besetzen und gestalten. In einem Podcast hat sie vor gut einem Jahr ihre Geschichte erzählt und uns auf ihren Weg im Glauben als lesbische Christin mitgenommen. Wir haben nachgefragt, was sie sich von diesem Arbeitsschwerpunkt erhofft, weshalb die Kirche eine solche Stelle braucht und welche Hoffnungen sie für die Zukunft hegt.

Priscilla, du engagierst dich schon seit mehreren Jahren für LGBTQ-Anliegen inner- und ausserhalb der Kirche. Jetzt wurde ein eigenes Pfarramt dafür geschaffen. War das schon immer ein Traum von dir?

Jetzt muss ich gerade ein wenig schmunzeln. Es geht hier nicht um einen Traum von mir, sondern darum, dass das Christentum die letzten Jahrhunderte auf diesem Gebiet versagt hat. Nach wie vor findet Diskriminierung, gerade von LGBTIQ*-Menschen, statt. Das anerkennt die evangelisch-reformierte Kirche der Stadt Zürich und hat darum eine Stelle in diesem Bereich geschaffen.

Dass es ein eigenes Pfarramt dafür gibt, ist einerseits sicherlich ein Zeichen der Wertschätzung. Andererseits kann man sich auch fragen, ob die bisherigen Kirchgemeinden nicht offen oder sensibel genug sind für Menschen aus dieser Community. Wie schätzt du das ein?

Ich glaube, um die Frage beantworten zu können, müssen wir in die Geschichte zurückblicken. Diese ist leider für die Kirche keine schöne. Mir hat erst diese Woche Ernst Ostertag (91-Jähriger-LGBTIQ*-Aktivist) folgende Zeilen geschrieben:

Wir wurden auch von der Polizei verfolgt, misshandelt und erpresst. Das war 1961. Dadurch lernten wir, dass es Missstände gibt und dass wir sie im Namen der gesamten Gesellschaft ändern müssen. (Das zeigt auch der Film DER KREIS.) Es half uns niemand dabei, keine Kirche, keine politische Partei, keine sonstige Gruppierung. Nur unsere eigenen Gruppierungen. Es änderte sich langsam.

Diese Aussage tut mir mehr als weh, denn sie zeigt nicht nur, dass die Kirche jahrhundertelang versagt hat und teilweise sogar bei der Diskriminierung von queeren Menschen eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dass dieses Bild, welches viele Menschen nun in sich tragen, Zeit braucht, um abgebaut zu werden, ist klar. Eine solche Stelle kann helfen, in diesem Bereich einen besonderen Schwerpunkt zu setzen. Die Frage, ob die reformierte Kirche nicht bereits genug offen und sensibel ist, lässt sich daher nicht leicht beantworten. Ich persönlich habe die Kirche als sehr offen und auch sensibel wahrgenommen – es ist der Grund, warum ich hier Pfarrerin geworden bin. Aber ich nehme wahr, dass es für viele Menschen nicht genug ist und es daher diese explizite Pfarrstelle braucht.

Menschen definieren sich über unterschiedliche Zugehörigkeiten und Identitätsmerkmale. Z.B. Europäerin, Christin, queer, Akademikerin und Vegetarierin. «Queer zu sein» scheint ein sehr wichtiges Merkmal geworden zu sein. Steht «Queer-Sein» und «Christ-Sein» aus der Perspektive derjenigen, die beide Zuschreibungen vereinen auch heute noch in einem Konflikt? 

Welches Merkmal am Ende für einen entscheidend ist, ist natürlich sehr individuell. Aber ja, ich denke es gibt leider noch immer viel Konfliktpotenzial für Menschen, die sich als queer verstehen und glauben wollen. Einmal weil die Akzeptanz in der Kirche wie auch in Gesellschaft nach wie vor nicht vollständig gegeben ist (siehe aktuell die letzte Dok des SRF) – auch wenn sich schon vieles getan hat. Andererseits wird auch heute noch in einigen christlichen Gemeinden explizit oder implizit signalisiert, dass es nicht in Ordnung ist, LGBTIQ* und Christ:in zu sein. Das prägt die eigene Selbstwahrnehmung von LGBTIQ* und kann zu inneren Konflikten führen, die bis zur Frage gehen:

Muss ich mich zwischen meinem Queer-Sein und Christ-Sein entscheiden?

Das sollte nicht so sein. Vielmehr sollten die Menschen von der Kirche die Botschaft mitnehmen, dass Gott (und auch die Kirche) ein Ja zu ihnen hat und sie nicht aufgrund ihres Queer-Seins abgelehnt werden.

Lass uns träumen! Vielleicht entsteht aus deiner Arbeit eine Dynamik, die unsere Landeskirche insgesamt «queerer» macht! Wie könnten Menschen, die selbst nicht zur LGBTQ-Community gehören davon profitieren? Was würden sie erleben, lernen und neu entdecken?

Ich finde die Vorstellung, die Kirche queerer zu machen, irgendwie komisch. Denn man macht nichts queer oder eben nicht queer. Mensch ist queer oder eben nicht. So gesehen ist mein Ziel vielmehr, auf der einen Seite die LGBTIQ*-Community besser abzuholen, auf ihre Bedürfnisse – gerade im Bereich von Glaube und Seelsorge – gezielter einzugehen, andererseits aber auch die Kirche auf das Thema zu sensibilisieren. Damit geht die Kirche auf Bedürfnisse einer Gruppe ein, die lange Zeit marginalisiert worden sind.

Die Kirche kann dabei lernen, was es heisst, Berührungsängste abzubauen und Nächstenliebe zu leben, so wie wir sie bereits predigen. Und auf der anderen Seite bietet die Arbeit die Chance, Kirche neu zu denken und vielleicht auch neue Formate (Gottesdienst, Anlässe etc.) zu entwickeln und auszuprobieren.

Ich wünsche mir, dass dieses Projekt langfristig Menschen ein Zuhause gibt, die aktuell keins haben. Und dass Menschen, die bislang geglaubt haben, dass das Evangelium ihnen nicht gilt, dieses hören und annehmen können, sodass wir den Menschen den Zuspruch vermitteln können: «Ein geknicktes Schilfrohr wird Gott nicht abbrechen und ein glimmenden Docht nicht auslöschen.» (Jesaja 42)

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Segen für deine Arbeit!

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