Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 5 Minuten

Muttersein: meine kleine Welt

August 2018: Ich sitze am Küchentisch mit meinem Säugling im Arm. Mein erstes Kind, ein paar wenige Wochen alt. Eine Frau aus der Gemeinde ist zu Besuch. Sie sagt: «Gell, wenn man einmal Kinder hat, kann man sich das Leben ohne gar nicht mehr vorstellen.» Ich antworte: «Doch, das kann ich.»

Mein Leben ohne Kind lag erst gerade ein paar Wochen zurück, Schwangerschaft mitgerechnet weniger als ein Jahr. Ich konnte dieses Leben noch in meinen Knochen spüren. Es war zum Greifen nah und doch plötzlich so unerreichbar.

Ich war in Schockstarre, fühlte mich wie eine leere Hülle, aus meiner gewohnten Bahn gerissen und Tag und Nacht den Bedürfnissen des kleinen Wesens unterworfen.

Fehlende Energie

Ich wusste nicht wohin und mit wem (ein grosser Teil meines Soziallebens war Begleiterscheinung meines Berufsalltags), und auch wenn ich es gewusst hätte, so fehlte mir oft der Mut und die Energie das Haus zu verlassen. Ich gebe es ganz ehrlich zu, mir ging in den ersten Monaten einige Male der Gedanke durch den Kopf: «Mein Leben ist vorbei, was habe ich mir nur gedacht!»

Internetforen sei Dank, wusste ich, dass ich damit nicht allein war.

Meine Gefühle bewegten sich im Normalbereich.

Ich wusste, es würde sich irgendwie einrenken, aber vorstellen konnte ich es mir nicht. Irgendwo las ich, dass dieses Gefühl bei Erstmüttern durchschnittlich etwas über vier Monate anhält.

Ein Rettungsanker

Drei Wochen nach der Geburt hängte ich die aufwändig gepackte Windeltasche an den Buggy und machte mich auf in die lokale reformierte Kirche, wo jeden Dienstag ein Mum & Baby-Treffen stattfand. Diese Treffen wurden zu meinem Rettungsanker. Donnerstags kam dann der Kaffeemorgen der Kirchgemeinde hinzu. Ich war mit Abstand die Jüngste, und die kleine, eingesessene Gruppe hatte Freude, dass eine junge Mutter mit ihrem Baby aufkreuzte.

Ich fand Orte, an denen ich mich sicher fühlte und wo ich mich für meine Unsicherheiten und komplexen Gefühle nicht schämen musste.

Dann kam der Tag, an dem ich zum ersten Mal in die U-Bahn stieg und ins Tate Britain fuhr. Alles ging gut, bis ich mit dem Buggy unten an der langen Rolltreppe in Pimlico stand und panisch eine Freundin anrief, um zu fragen, wie man das macht. Es ging dann, irgendwie. Ich war nach meinem Ausflug fix und fertig, aber stolz und erleichtert.

Ein Pub-Besuch

Irgendwann gingen mein Mann und ich auch wieder ins Pub, nachmittags um drei, mit dem Kinderwagen. Wir tranken verstohlen ein Bier. Am Nebentisch sass ein anderes Paar, ebenfalls mit einem Kleinkind. Wir kamen ins Reden und irgendwann sassen wir am selben Tisch. Die beiden sind heute noch gute Freunde.

So eroberte ich mir Schritt für Schritt meine Welt zurück.

Die Welt drehte sich noch, und ich mit ihr mit. Sie war anders und in ihrer Andersartigkeit gut. Irgendwann konnte ich mir das Leben ohne Kind wirklich nicht mehr vorstellen. Obwohl, das stimmt nicht ganz. Ich konnte mir das Leben ohne mein Kind nicht mehr vorstellen. Das Leben ohne Kind aber schon. Ich habe es ja einmal gelebt.

Was ich am meisten vermisse:

  • Spontan ein Bier im Pub trinken. Und nicht ständig in vernünftigem Masse trinken.
  • Ausschlafen, ausschlafen, ausschlafen.
  • Den ganzen Tag ohne Ablenkung lesen.
  • Mit leichtem Gepäck impromptu verreisen.
  • Abends ohne Absprache länger im Büro bleiben, weil ich grad im Flow bin, und dann auf den Treppen vor der Kirche sitzen und mit Mitmenschen über das Leben sinnieren.
  • Ins Theater, wann immer mich gerade die Lust packt.

Das zweite Kind

Februar 2023: 4 Uhr in der Früh. Ich habe gerade mein zweites Kind zum dritten Mal in dieser Nacht gestillt. Er ist erst ein paar Wochen alt. Ich schreibe Notizen für diesen Blog in ein Notizbuch. Yes, we did it again. Bin ich eigentlich wahnsinnig?

Gerade habe ich mir einige meiner Grundfreiheiten zurückerobert und zack, Grounding die zweite.

Ich habe es mir einfacher vorgestellt. Sicher, praktisch gesehen ist die zweite Runde einfacher. Das Handwerk (Windeln wechseln, füttern, Arzttermine, Tasche packen, etc.) habe ich im Repertoire. Aber emotional hat es mich gegen meine Erwartung ähnlich stark zusammengelegt wie beim ersten Kind, wenn auch auf eine andere Art und Weise.

Mir schwant: jetzt wird die Zeit wirklich knapp und die Welt klein. Mit unserem ersten Kind waren wir noch relativ flexibel, er war auch ein richtiges Anfängerbaby. Mit zwei Kindern wird es komplizierter. Wir brauchen mehr Platz, können zum Beispiel je nach Platzverhältnissen nicht mehr so einfach bei Freunden und Verwandten übernachten. Auch liess sich für ein Kind recht einfach ein Babysitter organisieren.

Und die Paarzeit wird nun wirklich erstmal für eine Weile Wunschdenken, weil man sich oft je auf ein Kind konzentriert.

Es ist einfach immer was.

Meine Welt wird kleiner

Ich sitze mit einer Freundin im Park. Eine mum friend, die ich durch meinen Sohn kennengelernt habe. Ihr zweites Kind ist 18 Monate alt. Ich schütte ihr mein Herz aus. Sie sagt: «Das zweite Mal fand ich auch viel härter. Die Welt wird so richtig klein. Ich habe es irgendwann akzeptiert, und von da an ging es.»

Ja, meine Welt ist derzeit klein.

Wozu ich mit meinem ersten Kind noch hartnäckig den Mut aufbrachte, fehlt mir nun schlichtweg die Energie. Vielleicht habe ich mich seit dem Mutterwerden und der Pandemie, die uns ja zwischen Kind 1 und Kind 2 noch zusätzlich gegroundet hat, einfach sehr weit von meinem Leben ohne Kind distanziert und weiss gar nicht mehr richtig, wie das geht. Eine ferne Erinnerung.

Willkommen in meiner kleinen Welt!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox

RefLab-Newsletter
Podcasts, Blogs und Videos, alle 2 Wochen
Blog-Updates
nur Blogartikel, alle 2 bis 3 Tage